# taz.de -- Tony Scotts "Unstoppable": Rennen auf Schienen
       
       > Tony Scotts "Unstoppable - Außer Kontrolle" zeigt eine Zeitbombe in
       > freier Fahrt. Der Film könnte ein toller Bewegungsfilm sein. Aber leider
       > gehts nicht ohne Moral.
       
 (IMG) Bild: Kaum gesehen, schon vorbei: Szene aus "Unstoppable".
       
       Zur Kultur des neuen Kapitalismus, schreibt der Soziologe Richard Sennett,
       gehört, dass Berufserfahrung nichts mehr wert ist. Was Personalchefs
       heutzutage begeistert, ist Potenzial, nicht Expertise. Wer über lange Jahre
       gut in sein Fachgebiet eingearbeitet ist, gilt als unflexibel. Gewünscht
       sind Leute, die sich binnen kurzer Zeit in unterschiedliche Aufgabenfelder
       einarbeiten. Wer nie ein Fachgebiet hatte, ist dieser Logik nach eher in
       der Lage, jede Umstrukturierung mitzutragen.
       
       Aber ist das eine gute Idee? Eher nicht, findet Sennett. Ganz sicher nicht,
       findet Tony Scott. In seinem jüngsten Actionfilm "Unstoppable - Außer
       Kontrolle" singt er ein Hohelied auf ein Berufsethos, das auf Jahrzehnte
       der Erfahrung gründet und sich aus dem Antrieb speist, die eigene Arbeit
       wirklich gut zu machen.
       
       Verkörpert wird dieses Ethos von Denzel Washington, der den Zugführer Frank
       Barnes gibt. Seit 28 Jahren ist er im Dienst, nur noch wenige Wochen
       trennen ihn vom erzwungenen Vorruhestand. Nun muss er mit einem jungen
       Kollegen einen Güterzug überstellen, von einem Rangierbahnhof im ländlichen
       Pennsylvania zu einem anderen. Der junge Mann, Will Colson (Chris Pine),
       hat gerade seine viermonatige Ausbildung hinter sich gebracht und den Job
       vermutlich nur bekommen, weil er der Neffe eines einflussreichen Mannes
       ist; dass Barnes das ärgert, liegt nahe.
       
       Im ersten Bild des Films sieht man, wie Colson auf einer Couch aufwacht;
       dann sieht man von der Couch aus auf eine Küche, in der eine komplette
       Kleinfamilie - Vater, Mutter, Kind - frühstückt, in einer weiteren
       Einstellung blinkt Colsons Ehering überdeutlich, so dass man kombinieren
       muss: Couch - andere Leute - Ehering, da scheint etwas nicht zu stimmen.
       
       In der Parallelmontage setzen zwei Rangierarbeiter das Drama in Gang, sie
       schlampen und ein Frachtzug mit 39 Waggons setzt sich unbemannt in
       Bewegung: Also Tonnen einer brandgefährlichen Chemikalie mit 77 Meilen in
       der Stunde.
       
       Was darauf folgt, ist eine atemberaubende Studie von beschleunigter Masse.
       Die Materialität des Zugs, der Schienen, der Weichen, die Bewegung vor der
       herbstlichen Landschaft, die Kreuzungen von Schiene und Straße, all das
       setzt Tony Scott so gekonnt in Szene, dass man noch nach Verlassen des
       Kinos Angst bekommt, wenn ein Zug in den U-Bahnhof einfährt. Mehrere
       Versuche, den unbemannten Zug zum Stehen zu bringen, scheitern spektakulär;
       schließlich liegt es an Barnes und Colson, das Unglück durch den
       halsbrecherischen Einsatz ihrer Diesellok zu verhindern.
       
       Wäre "Unstoppable" nur dieses Rennen auf Schienen, ausgetragen von tausende
       Tonnen schweren, fauchenden, dampfenden Ungetümen, Scott hätte einen
       tollen, reinen Bewegungsfilm gedreht. Aber leider gehts nicht ohne Moral.
       Mit seinen Heldentaten überwindet Colson seine Ehekrise. So bietet
       "Unstoppable - Außer Kontrolle" nicht nur die rauschhafte Erfahrung
       beschleunigter Masse, sondern vor allem eine Wiederaufrichtungsfantasie für
       einen kränkelnden Mann.
       
       11 Nov 2010
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Cristina Nord
       
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