# taz.de -- Polizist erinnert sich an Räumung der Mainzer Straße vor 20 Jahren: "Die Räumung war schon vorher absehbar"
       
       > Für die besetzte Mainzer Straße gab es keine friedliche Lösung - da war
       > sich Rot-Grün vor 20 Jahren einig, sagt Bernd Finger von der Westberliner
       > Polizei.
       
       taz: Herr Finger, Sie waren 1990 beim Ostberliner Magistrat zuständig für
       Sicherheitsfragen. Wie haben Sie die Räumung der Mainzer Straße erlebt? 
       
       Bernd Finger: Kurz vor der Wende war ich Ausbildungsleiter der Berliner
       Polizei für den Kriminaldienst. Nach dem Mauerfall bin ich als einer der
       ersten Westbeamten nach Ostberlin entsandt worden, um die Zusammenarbeit
       mit der Regierung de Maiziere und dem frei gewählten Magistrat zu
       organisieren. Unsere gemeinsamen Ziele waren die demokratische Umgestaltung
       und der Dialog mit der Bürgerbewegung an den Runden Tischen. Ich war da
       also nicht als Polizeibeamter dort, sondern als Leiter der Abteilung
       Öffentliche Ordnung und Sicherheit im Magistrat der Hauptstadt der DDR.
       
       Mit der Besetzung von 130 Häusern war im Sommer 1990 der Höhepunkt der
       Anarchie erreicht. 
       
       Trotz gegenteiliger Behauptungen hatte die alte, real-sozialistische DDR
       das Wohnungsproblem nicht gelöst. Im Gegenteil: Gerade im Altbau standen
       viele Wohnungen leer und verkamen in ihrer unsanierten Substanz. Diese
       wurden erst still, später dann öffentlich besetzt. Das ist also kein
       polizeiliches, sondern ein soziales und politisches Thema gewesen.
       
       Wie hat der Magistrat auf dieses politische Thema geantwortet? Es heißt
       immer, die Staatsmacht im Osten sei implodiert. 
       
       Im Magistrat ist damals ein eigener ressortübergreifender Arbeitsbereich
       eingerichtet worden, der als Anlaufstelle für alle Fragen rund um das Thema
       Wohnungspolitik diente. Dieser Arbeitsbereich sollte auch das Gespräch mit
       den Besetzern suchen. Ziel war ein Bleiberecht, das auch bei ungeklärten
       Eigentumsfragen standhalten sollte. Mit anderen Worten: Wir wollten eine
       Verhandlungslösung. Und wir wollten Rechtssicherheit für die Menschen, die
       in der sich auflösenden DDR in ungeklärten Wohnverhältnissen lebten.
       
       Die Räumung der Mainzer Straße am 14. November 1990 war das Gegenteil einer
       Verhandlungslösung. 
       
       Wir stellten im Verlauf des Jahres 1990 fest, dass in die besetzten Häuser
       immer mehr West-Berliner kamen. Dazu gehörten auch solche, die einen
       Hausbesetzerhintergrund hatten. Damit veränderte sich auch die
       Gesprächskultur. Wir mussten feststellen, dass es einigen nicht mehr nur um
       die Legalisierung von Wohnraum und damit ihrer Lebensverhältnisse ging,
       sondern darum, dem Hausbesetzer-West-Mythos der frühen 80er-Jahre
       nachhängend regelungslose Freiräume zu schaffen, also rechtsfreie Räume.
       Viele Häuser wurden auch regelrecht kaputt besetzt. Es prallten im gewissen
       Sinne zwei sehr unterschiedliche Lebenserfahrungen und Philosophien von Ost
       und West aufeinander.
       
       Wie haben Sie darauf reagiert? 
       
       Trotz der schwindenden Dialogbereitschaft mancher Besetzer hat sich der
       Magistrat immer wieder zu Verhandlungen bereit erklärt und diese auch
       geführt. Es gab aber auch viele DDR-Bürgerrechtler, die erschrocken waren
       über die von den West-Besetzern erklärte Gewaltbereitschaft und dass ihre
       Gesprächsbereitschaft so brüsk zurückgewiesen wurde. Sie haben ihr
       Gegenüber als sehr elitär empfunden, als Leute, die eine völlig andere Form
       des Umgangs pflegten. Dabei war gerade ein offener, gewaltfreier Dialog ein
       tragendes Ergebnis der friedlichen Revolution.
       
       Die Besetzer haben damals auch das Rote Rathaus besetzt, den Sitz des
       Ostberliner Magistrats. 
       
       Es bedurfte großen Verhandlungsgeschicks von Thilo Schwierzina, damals
       Oberbürgermeister von Ostberlin, und von Thomas Krüger, Stadtrat für
       Inneres, unter ausdrücklichem Hinweis auf die friedliche Revolution zu
       deeskalieren. Doch bald zeichnete sich ab, dass eine Verhandlungslösung von
       manchen Hausbesetzern nicht mehr gewünscht war und als Verrat am
       Westberliner Hausbesetzer-Mythos betrachtet worden wäre.
       
       Welche Rolle spielte der rot-grüne Senat? 
       
       Seit den Wahlen vom März 1990 bis zur Vereinigung gab es nach einigen
       Zwischenschritten den MagiSenat, die Zusammenarbeit von Westberliner Senat
       und Ostberliner Magistrat und die Abstimmung in wichtigen Fragen. Der
       MagiSenat wurde bis zu den ersten gemeinsamen Wahlen zum Abgeordnetenhaus
       am 2. Dezember 1990 und der folgenden konstituierenden Sitzung des
       Parlaments weitergeführt.
       
       Wie hat der MagiSenat auf die Radikalisierung reagiert? 
       
       Die federführende Magistratsseite hat sich dort bald nicht mehr in der Lage
       gesehen, für einige bestimmte Häuser eine Verhandlungslösung herbei zu
       führen.
       
       Also Räumung. 
       
       Damals fiel die Entscheidung, dass diese Häuser nach Übertragung der
       Berliner Linie auf die gesamte Stadt geräumt werden müssen.
       
       Das bedeutete, dass die Berliner Linie, die in Ostberlin Verhandlungen für
       die Häuser anbot, die vor dem 24. Juli besetzt waren, allen Besetzungen
       danach aber die Räumung androhte, für die Mainzer Straße nicht galt? 
       
       Ja. Die Zeichen in der Mainzer Straße standen nicht auf Verhandlung,
       sondern auf Abbruch der Verhandlungen. Die Protagonisten der Westberliner
       Hausbesetzerszene haben den Dialog nicht gewollt, den Dialog aber auf der
       Besetzerseite dieser Wohnhäuser dominiert.
       
       Die Entscheidung zur Räumung fiel also nicht erst am 13. November, sondern
       bereits vorher. 
       
       Die Entwicklung, die zur Räumung führen musste, war schon vorher absehbar
       und letztlich trotz allen politischen Bemühens nicht aufhaltbar.
       
       Gab es da einen Dissens mit dem Senat, an dem ja auch die Alternative Liste
       von Renate Künast beteiligt war? 
       
       Nein. Der MagiSenat und auch die Fraktionen der Stadtverordnetenversammlung
       in Ostberlin hatten eine gemeinsame Bewertung der Situation. Sowohl was die
       Möglichkeit der Legalisierung aller anderen Häuser anbetrifft als auch das
       Erkennen der faktischen Unmöglichkeit, dieses auch in der Mainzer Straße zu
       schaffen.
       
       Die Alternative Liste, Bündnis 90 und auch zahlreiche Bürgerrechtler haben
       bis zuletzt gemeinsam mit dem Magistrat nach Alternativen zur Räumung
       gesucht. 
       
       Das war im Grunde unmöglich. Bis zuletzt war auf der Besetzerseite
       keinerlei Bereitschaft zu einer rechtlich hinreichend tragfähigen Regelung
       zu erkennen. Im Gegenteil. Da wurde immer weiter hochgerüstet. Es gab
       massive Befestigungen, die Vorbereitungen zur Verhinderung der Räumung
       liefen auf Hochtouren.
       
       Der damalige Polizeipräsident Georg Schertz sagte der taz, die Entscheidung
       zur Räumung sei während einer Lagebesprechung in der Nacht zum 14. November
       1990 gefallen. 
       
       Damit meint er den konkreten Einsatz, also den Beginn der Räumung. Die
       grundlegende politische Entscheidung ist vorher gefallen.
       
       Wussten Sie, dass es nach dem Bau von Barrikaden am Morgen des 12. November
       zur Räumung der Mainzer Straße kommen würde? 
       
       Das wusste ich. Die Vorbereitung eines derart großen Einsatzes passiert
       nicht von heute auf morgen. Das kann man nicht erst in der Nacht
       entscheiden.
       
       Die Alternative Liste und Renate Künast sagten und sagen, sie hätten nichts
       von der Räumung gewusst. 
       
       Ich möchte nicht den Auflösungsprozess der damaligen rot-grünen Koalition
       kommentieren. Was ich sagen kann: Sowohl der Magistrat als auch der Senat
       waren sich einig, dass an der Räumung in diesem Straßenzug kein Weg mehr
       vorbeiführt. Das wurde in vielen Sitzungen der Stadtverordnetenversammlung,
       des dortigen Innenausschusses und auch an den Runden Tischen öffentlich
       diskutiert. Daran waren auch Vertreter von Bündnis 90 und der
       Bürgerbewegung beteiligt.
       
       Welche Rolle spielte Thomas Krüger bei der Räumung? 
       
       Der Stadtrat für Inneres, Herr Krüger, war wie der Magistrat insgesamt an
       der Entschlussfassung beteiligt, nicht aber an der Ausführung. Die erfolgte
       durch die Gesamtberliner Polizei. Volkspolizei im herkömmlichen Sinne kam
       damals nicht zum Einsatz. Federführend war zu diesem Zeitpunkt nach der
       Wiedervereinigung am 3. Oktober 1990 bereits die Senatsinnenverwaltung. 
       
       Wusste Herr Momper vor seinem Abflug nach Moskau, dass die Mainzer Straße
       bei seiner Rückkehr geräumt sein würde? 
       
       Ich habe nicht daneben gesessen.
       
       16 Nov 2010
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Uwe Rada
       
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