# taz.de -- Google Street View: Eine Burka für mein Haus
       
       > Für manche Bürger ist Google Street View eine Bedrohung – weil diese
       > Angsthasen ihre Häuser verpixeln lassen konnten, ist das Bild nun nicht
       > mehr geschlossen. Schade!
       
 (IMG) Bild: Sieht ja schrecklich aus! Verpixeltes Haus in Berlin.
       
       Schrecklich banal, aber im Hinblick auf das ganze Bohei um Google Street
       View erwähnenswert: Es ist nicht unwichtig, zu wissen, wie es irgendwo
       aussieht. Der Ortskundige ist immer im Vorteil, was immer er mit diesem
       Vorteil anstellen will.
       
       Gegen Ende des 16. Jahrhunderts beispielsweise war Portugal die einzige
       nennenswerte kontinentaleuropäische Kolonialmacht, satt und fett - weil das
       Seefahrervolk wusste, wo es etwas zu holen gab in Afrika, Südamerika und
       Asien. Am Ende waren die Portugiesen so satt und fett, dass sie die lästige
       Fleißarbeit, ihre Besitzungen, sicheren Häfen und Handelsstationen zu
       kartografieren, lieber angeheuerten und aus portugiesischer Sicht sicher
       ambitionsfreien Leuten überließen, die so was gerne machten und gut
       konnten. Es waren also ein paar alte Niederländer, die auf diese Weise in
       alle Staats- und Betriebsgeheimnisse der arglosen Portugiesen eingeweiht
       wurden. Auf ihren Erkenntissen, die immer auch Ortskenntnisse waren, sollte
       bald das "Goldene Zeitalter der Niederlande" fußen - und der Niedergang der
       Portugiesen, die nicht ahnten, dass ihre ganze schöne Nautik wertlos war -
       und sie besser mal verpixelt hätten, wo ihre stolzen Handelsschiffe überall
       ankerten.
       
       Heute nun leben wir in gewissermaßen hyperöffentlichen Zeiten. Unsere
       elektronischen Atlanten kennen, sehr zum Leidwesen altmodischer Romantiker,
       keine weißen Flecken mehr. Unkenntlich ist nur noch, was "aus
       Sicherheitsgründen" ein Geheimnis bleiben soll. Das kann ein Hafen der
       Kriegsmarine sein oder eine Luftwaffenbasis, ein Staudamm, ein
       Treibstofflager - und, seit Google Street View, ein Altersheim in Berlin
       oder ein Einfamilienhaus in Hamburg. Die Zivilmachung der ursprünglich
       militärischen Errungenschaft des technisch gestützten Ausspähens zeitigt
       nun ein Maß an Transparenz, das offenbar auch manche Zivilisten dazu
       nötigt, ihren Besitz qua Verpixelung "vor ungebetenen Blicken" zu
       verbergen.
       
       Es hat etwas von einem rührenden Abwehrzauber - gerade so, als könnten
       damit Einbrecher abgewehrt werden, als wäre die zeitlich enorm versetzte
       Betrachtung via Street View irgendwie schmutziger und gefährlicher als der
       reale Augenschein von der Straße aus.
       
       In Essen hat sich neulich die bürgerliche Verbergungssucht gegen die
       entsprechenden Hausbesitzer gewendet, indem es zu harmlosen Eier-Attentaten
       ausschließlich gegen verpixelte Häuser kam. Tatsächlich wirken beim
       virtuellen Street-View-Spaziergang unkenntlich gemachte Immobilien wie mit
       der digitalen Burka schaulüsternen Blicken entzogen, wie blinde Stellen in
       der kartographischen Google-Matrix - Enklaven des Privaten, die störrisch
       ins Öffentliche hineinragen und verhindern, dass sich uns die Welt
       wenigstens virtuell als geschlossen darstellt. Das provoziert, klar, wie
       überhaupt alles Verborgene und Geheime zum Widerspruch reizt.
       
       Dass sich dahinter vor allem ein fragwürdiges und mindestens latent
       paranoides Verständnis von Nachbarschaft verbirgt, hat eine
       Twitter-Nutzerin namens Ellebil mit einem ausdruckbaren Zettel für den
       Hausflur hübsch auf den Punkt gebracht: "Liebe Mitbewohner, da mindestens
       eine/r von Ihnen ihre/seine Privatsphäre durch Google-Streetview bedroht
       sieht, möchte ich alles zum Schutze Ihrer Privatsphäre tun und werde
       demnächst keine Pakete mehr für Sie entgegennehmen. Ich kämpfe für Ihre
       Privatsphäre (außerdem habe ich Angst, dass Sie Pakete aus dem Jemen
       bekommen könnten)!
       
       Mit freundlichen Grüßen …"
       
       Ihre Unterschrift hat sie, "zu unserer aller Sicherheit", natürlich
       vorsichtshalber verpixelt.
       
       24 Nov 2010
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Arno Frank
       
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