# taz.de -- Nina Hagen in der Gethsemanekirche: Gottes Antifa singt Halleluja
       
       > Nina Hagen hat sich taufen lassen und singt in der Berliner
       > Gethsemanekirche Gospel. Mit protestantischer Botschaft: Obrigkeit und
       > Pfaffen sind ihr gleich suspekt.
       
 (IMG) Bild: Heimgekehrt: Rotzgöre Hagen.
       
       In einer Viertelstunde soll ihr Konzert losgehen, da rauscht Nina Hagen in
       den Vorraum des Klos der Gethsemanekirche und ruft: "Grüß Gott, ich muss
       noch mal pissen." Diese Frau gibt mit 55 immer noch die Rotzgöre. Aber
       trotzdem scheint die Dame, die spirituell immer etwas eigenwillig gepolt
       wirkte, nun heimgekehrt zu sein.
       
       Schräg gegenüber der Gethsemanekirche steht das Haus, in dem die kleine
       Nina Hagen als Kind überzeugter Atheisten aufwuchs. Dennoch fand sie hier
       antike Bibeln zum Lesen vor, wie Hagen in ihrer vor Kurzem erschienenen
       Autobiografie mit dem genial-vermessenen Titel "Bekenntnisse" erzählt. Dass
       sie unter die Fittiche der evangelischen Kirche geschlüpft ist, als sie
       sich am 16. August 2009 in der Schüttorfer Kirche taufen ließ, erscheint
       nach der Lektüre der "Bekenntnisse" nur logisch. Darin erzählt sie von
       früher Suche nach Gott, von Drogenerfahrungen, enttäuschter Liebe und
       falschen Propheten.
       
       So steht Nina Hagen als neue Christin, bis auf eine blaue Schärpe ganz in
       Schwarz gekleidet, mit ihrer Band vor dem Altar der Kirche, um den Gospel
       zu verkünden. Erst mal aber erzählt sie davon, wie sie nach zwei Tagen
       Presswehen, die ihre Mutter an den Rand ihrer Kräfte brachten, ins Licht
       der Welt blinzelte und sich dachte: "Das muss wohl die DDR sein.
       Wunderschön!"
       
       Punk und Christentum schließen sich nicht aus, nein. Ganz besonders hier
       nicht, in der ehemaligen Hauptstadt der DDR, in Kirchen wie dieser, wo sich
       Punks und Protestanten 1989 zusammenfanden, um die Tyrannen zu stürzen.
       Schon die damaligen Montagsdemos hätten es gezeigt, meint Nina Hagen: "Eine
       Volksdemokratie funktioniert nur mit dem Volk Gottes."
       
       Und das Volk Gottes ist zu ihr gekommen. Die Jungen und die Alten, die
       Punkmädchen mit blauen Haaren und die pubertierenden Christinnen, der
       schwarze Mann mit den Rastalocken, der alte Freak und der Priester. Viele
       Frauen sitzen auf dem Boden vor dem Altar. Die Leute haben ihren Spaß,
       klatschen mit und wiegen sich zu Ninas Gesang. "Why should the devil have
       all the good music?" Die Antwort: "Rock n Roll belongs to Jesus!"
       
       Dieser Gospel hat wenig mit Innerlichkeit, Selbsterkenntnis, Frömmigkeit zu
       tun. Hagen hat sich die expressive Form der Glaubensausübung der
       afroamerikanischen Christen angeeignet. Mahalia Jackson habe sie einst per
       Telefon aus dem Himmel angerufen und ihr gesagt: "Nina, du musst Gospel
       singen!"
       
       Mit der Botschaft ihrer christlichen Songs - "Take Jesus with you
       everywhere you go!" - lässt es Nina Hagen aber nicht bewenden. Sie spielt
       auch Woody Guthries "All you fascists bound to lose" und das
       Brecht-Eisler-Stück "Im Gefängnis zu singen". Darin heißt es: "Sie haben
       Pfaffen und Professoren, die viel Geld bekommen und zu allem bereit sind.
       Ja, wozu denn? Müssen sie denn die Wahrheit so fürchten?"
       
       Nina Hagens frohe Botschaft ist eine radikal evangelische, wenn auch nicht
       grade lutherische: Die Obrigkeit ist ihr genauso suspekt, wie es ihr Gurus
       und Pfaffen sind. Das "finale Highlife bei Gott" erwartet sie zwar
       hoffnungsfroh, die "Fete der Ewigkeit" ist aber kein Trost, der den
       "Planeten der Controlfreaks" erträglich oder gar schmackhaft machen soll.
       Weil alle Teil der Liebe Gottes sind, jeder für sich und alle zusammen,
       gilt es, den Faschismus überall zu bekämpfen, lautet der Kern der
       Hagenschen Theologie. "Du sollst nicht töten und deinen Nächsten lieben als
       dich selbst. Was ist denn daran so schwer zu verstehen?" Außerdem plädiert
       Hagen für eine strikte Trennung von Staat und Kirche, "damit nicht
       irgendwelche Faschisten das Gute unterwandern können".
       
       Nach über zwei Stunden Lobpreis des Herrn verneigt sich Hagens Combo vor
       dem Kreuz und tritt ab: "Die Liebe siegt immer. Friede sei mit euch!" Die
       Leute gehen glücklich nach Haus.
       
       24 Nov 2010
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ulrich Gutmair
       
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