# taz.de -- Dortmunder Skandalfirma Envio: Giftfirma ohne Gewissen
       
       > Die Dortmunder Entsorgungsfirma Envio hat ihre Arbeiter mit Chemiekalien
       > verseucht. Behörden-Dokumente belegen jetzt, dass die Gesundheit der
       > Menschen keine Rolle spielte.
       
 (IMG) Bild: Bei einer Kontrolle im April 2010 gab es für die Arbeiter nicht einmal giftresistente Handschuhe.
       
       DORTMUND taz | Geschäftsführer Dirk Neupert fühlt sich unschuldig verfolgt.
       Sein Dortmunder Recyclingbetrieb Envio hat Hunderte Arbeiter und Anwohner
       nicht nur mit der verbotenen Industriechemikalie PCB, sondern auch mit den
       krebserregenden Seveso-Giften Dioxin und Furan verseucht. Dennoch will
       Neupert noch immer nichts von der Gesundheitsgefährdung seiner Mitarbeiter
       wissen: "Relativieren" müsse man die Belastung, habe Neupert auf der
       Envio-Aktionärsversammlung getönt, berichten Teilnehmer.
       "Menschenverachtend" und "kalt" sei Neupert aufgetreten, sagt etwa der
       Fondsmanager Andrew Murphy.
       
       Dabei belegen Arbeitsschutzdokumente, die der taz von den Kontrollbehörden
       jetzt zur Verfügung gestellt wurden, dass Neupert die Verseuchung seiner
       Mitarbeiter wissentlich in Kauf genommen haben muss: Noch bei einer
       Überprüfung im April 2010 fehlte in dem auf das Recycling alter
       Transformatoren und Kondensatoren spezialisierten Betrieb selbst einfache
       Schutzkleidung wie etwa PCB-resistente Handschuhe - dabei suchte das
       nordrhein-westfälische Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz da
       schon seit mehr als einem Jahr die Quelle der massiv erhöhten PCB-Werte im
       Dortmunder Norden.
       
       Bei Envio aber waren Messinstrumente, die Arbeiter vor dem ebenfalls
       giftigen Reinigungsmittel Perchlorethylen, mit dem das PCB aus den Trafos
       gewaschen werden sollte, zerlegt. Die Entlüftungsanlage, die die Giftstoffe
       aus der Atemluft filtern sollte, war defekt. Die von den Kontrollbehörden
       vorgeschriebene Trennung in einen Schwarz- und einen Weißbereich - also in
       kontaminierte und gereinigte Flächen - existierte nicht. Stattdessen
       verbrachten die Envio-Opfer auch Teile ihrer Pausen neben dem Giftmüll der
       Elektroindustrie, aßen sogar dabei.
       
       Um die Arbeitsgeschwindigkeit zu erhöhen, wurde selbst vorhandene
       Sicherheitstechnik außer Betrieb gesetzt: "Mehrere Sicherheitsschalter […]
       waren offensichtlich durch Manipulation überbrückt und somit wirkungslos",
       notierten die Arbeitsschützer der für die Kontrolle der Giftfirma
       zuständigen Bezirksregierung Arnsberg - die Beamten, die über
       Betriebsänderungen und -vergrößerungen jahrelang immer wieder nur nach
       Aktenlage entschieden hatten, waren endlich aufgewacht. "Als
       Ordnungswidrigkeit und, bei vorsätzlichen Handeln, als Straftat" seien die
       frühkapitalistischen Arbeitsbedingungen zu bewerten, warnten sie
       Geschäftsführer Neupert.
       
       Für viele Leiharbeiter aber, die bei Envio ausgetauscht wurden, als sie
       anfingen, kritische Fragen zu stellen, kamen die Kontrollen zu spät. In
       ihrem Blut finden sich PCB-Konzentrationen, die mehr als 25.000-mal so hoch
       sind wie die des Durchschnitts der Bevölkerung - nach jahrzehntelanger
       weltweiter Verwendung trägt jeder Mensch Spuren von PCB in sich. Den hoch
       belasteten Beschäftigten drohen neben Krebs jetzt auch Leberschäden sowie
       Erkrankungen des Immun-, Nerven- und Hormonsystems.
       
       "Maßlos enttäuscht" zeigten sich vor der Aktionärsversammlung deshalb auch
       Anteilseigner des international tätigen Konzerns - mit Stilllegung und
       Insolvenz des Dortmunder Betriebsteils ist der Wert ihrer Aktien um rund 90
       Prozent gefallen. Geschäftsführer Neupert weist trotzdem alle Verantwortung
       von sich. In Wirklichkeit sei der Regierungswechsel in Nordrhein-Westfalen
       schuld an der Zahlungsunfähigkeit seiner Firma, argumentiert er ernsthaft:
       Der neue Landesumweltminister Johannes Remmel von den Grünen mache einfach
       zu viel Druck auf die Arnsberger Kontrollbehörden.
       
       5 Dec 2010
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Andreas Wyputta
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Umweltskandal in Dortmund: Die vergifteten Menschen
       
       In Dortmund hat ein Recyclingunternehmen über Jahre Arbeiter und Anwohner
       verseucht. Ihr Blut ist mit krebserregenden Giften belastet. Die Behörden
       schauten weg.
       
 (DIR) Envio-Skandal in Dortmund: Giftmüll aus Kasachstan
       
       Der Skandal um den Dortmunder Entsorgungsbetrieb weitet sich aus. Interne
       Dokumente belegen, dass deutsche Behörden beim Import kasachischen
       Giftmülls mithalfen.
       
 (DIR) PCB-Skandal bei Envio: Vergiftet dank Behördenversagen
       
       Unabhängiges Gutachten bestätigt: Mangelhafte Kontrollen machten
       PCB-Verseuchung hunderter Arbeiter der Dortmunder Giftfirma Envio überhaupt
       erst möglich.
       
 (DIR) Dortmunder Envio-Skandal weitet sich aus: Gift in Luft und Boden
       
       In Nordrhein-Westfalen könnten in drei weiteren Recyclingfirmen Arbeiter
       verseucht worden sein. Die Unternehmen versuchen, die PCB-Werte
       herunterzuspielen.