# taz.de -- Debatte FDP: Wut auf die Demokratie
       
       > Die FDP-Mitglieder fühlen sich als die Leistungsträger der Gesellschaft,
       > sehen sich aber verlacht. Das Potenzial für eine rechtspopulistische
       > Wandlung der Partei wächst.
       
 (IMG) Bild: Wäre er jetzt der richtige Mann für die rechtspopulistische Wende der FDP? Jürgen Möllemann. Schon vor seiner Partei im freien Fall.
       
       Das Jahr 2010 war für den parteipolitischen Liberalismus in Deutschland ein
       denkbar freudloses. Ist die FDP überhaupt noch als eine liberale Partei zu
       charakterisieren? Was in aller Welt hat diese Partei der besser
       verdienenden Schnösel noch mit den großen Traditionen des Liberalismus zu
       tun, mit eigensinnigen Diskursen, widerborstiger Zivilgesellschaftlichkeit
       und couragierter Aufklärung?
       
       Indes: Der Liberalismus in Deutschland stand nie für diese schönen
       Tugenden. Unternehmen wir einen kleinen geschichtlichen Exkurs.
       
       Im gesamten 19. Jahrhundert, also, als parteipolitisch alles begann, waren
       die Liberalen keineswegs lupenrein demokratisch gesinnte Republikaner. Das
       allgemeine Wahlrecht lehnten sie ab. Die Liberalen fürchteten sich vor
       einer Herrschaft des Pöbels. Daher lautete ihr Programm: Nur die Stimme von
       Bürger mit Besitz und Bildung sollte zählen.
       
       Später dann kooperierte die Mehrheit der Liberalen mit Bismarck. Die
       Einheit der Nation und koloniale Größe war den Liberalen Herzenssache. Das
       trieb sie um, nicht der Schutz der individuellen Freiheit. Zwischen den
       1870er und 1940er Jahren schlitterte der Liberalismus europaweit in eine
       tiefe Krise. Die Jugend des europäischen Bürgertums wandte sich verächtlich
       vom liberaleren Individualismus ab und den dynamisch-populistischen
       Kampfbewegungen von rechts zu. In Deutschland wurden die frühen Hochburgen
       des Liberalismus zu Zentren der radikal-nationalistischen Formationen.
       
       Daher hatte es eine gewisse Folgerichtigkeit, dass die FDP in den späten
       1940er und frühen 1950er Jahren als nationale Rechtspartei auf Stimmenjagd
       ging. Sie umwarb die verbitterten Anhänger der vergangenen Diktatur. Das
       war nicht sonderlich libertär oder freisinnig, aber es war zunächst höchst
       erfolgreich. In Hessen etwa kamen die rechten Freidemokraten bei den
       Landtagswahlen von 1950 auf 31,5 Prozent der Stimmen; die CDU war mit 18,8
       Prozent deutlich abgeschlagen. Kurz: Der parteipolitische Liberalismus
       regenerierte sich in den Aufbaujahren der Bundesrepublik als Rechtspartei
       des nationalen Bürgertums. Was bedeutet dieses Erbe für die Freien
       Demokraten heute?
       
       Die linksliberale bürgerliche Mitte hält es in Deutschland im Jahr 2010 mit
       der Partei der Grünen. Hier ist für die FDP nichts zu gewinnen. Allerdings
       haben die Modernisierungsströme der letzten Jahrzehnte in der Gesellschaft
       nicht nur links-libertäre Wertemuster begünstigt, sondern sie haben auch
       reaktive Einstellungswelten produziert. In dieser gesellschaftlichen
       Teilwelt stößt man auf Staatsverdrossenheit, Verachtung gegenüber den
       großen Volksparteien, aber erst recht auf Verdruss über Grüne und ihre
       Ökopredigten. Der Ärger über hohe Abgabenlasten und die Wut über den zu
       teuren Wohlfahrtsstaat haben ebenso Hochkonjunktur wie die Affekte gegen
       Transfer beziehende Migranten. Diese antilibertären Gegenmilieus sind von
       Oslo bis Marseille in allen westeuropäischen Gesellschaften zu finden. Sie
       machen rund 15 bis 25 Prozent der Bevölkerungen aus.
       
       Allein in der Bundesrepublik ist dieses Segment bisher parteipolitisch
       verwaist, es ist normativ im Parteienspektrum nicht vertreten. Das muss
       nicht so bleiben. Seit Jahren flackert die Entrüstung der Kleinbürger im
       Geiste auch in der Bundesrepublik auf. Nur haben involvierte Protagonisten
       bislang daraus langfristig kein Kapital schlagen können. So schlummert der
       Protest mehr und mehr im riesigen Lager der Nichtwähler. Die Frustrationen
       dort wachsen, vor allem da sich jetzt alles um die Grünen, die kulturellen
       Gegner des rechten Kleinbürgertums und der autoritär gesinnten
       Arbeiterschaft dreht. Elogen auf die Grünen schüren den Unmut vieler
       Handwerker, etlicher Kleinunternehmern, einiger Rentner und vieler
       Erwerbslosen.
       
       Dieser Unmut könnte den Freien Demokraten zugutekommen; zumindest wenn die
       Partei sich ein wenig bewegt. Auch die Basis der FDP ist derzeit zutiefst
       verunsichert, denn sie wird in diesen Monaten verhöhnt und fühlt sich
       wieder an die Wand der 5-Prozent-Hürde gedrückt. Gleichwohl sehen sich die
       freidemokratischen Mittelständler unverdrossen als die wahren Fleißigen im
       Land, als die Leistungsträger und Melkkühe der Republik. Sie sind also
       verbittert und längst nicht mehr gouvernemental oder staatstreu orientiert.
       
       Eine neue, noch nicht veröffentlichte Parteimitgliederstudie, die jüngst
       von Politologen an der Universität Düsseldorf erstellt wurde, hat ergeben,
       dass die Mitglieder sich seit 1998 - dem Zeitpunkt der letzten Erhebung -
       gemäß ihrer eigenen Einschätzung weiter nach rechts bewegt haben. Diese
       zunehmende Entfernung von der Mitte führt zu einem Entrüstungsliberalismus.
       Der findet sich mittlerweile in ganz Europa und hat in den Niederlanden und
       Dänemark für liberale Regierungschefs und Mehrheitsparteien gesorgt. Auch
       in Deutschland ist eine solche Konstellation denkbar. Das weiß auch Angela
       Merkel.
       
       So eröffnete die große Taktikerin in den letzten Wochen die Jagd auf die
       Grünen, und zwar mit dem typischen Kampfvokabular der entrüsteten
       bürgerlich-konservativen Mitte. Im Grunde aber ist diese rechte bürgerliche
       Mitte klassisches Terrain für einen rechten Liberalismus. Der kann auf
       diesem Gebiet zielstrebiger und ungehemmter agieren als eine
       christdemokratische Volkspartei. Denn die wird zumindest von den Resten
       kirchlicher Ethik und sozialkatholischer Werteorientierung sowie einem
       gewissen honorablen bürgerlichen Verantwortungssinn eingehegt.
       
       Mit allen guten Gründen, die es gibt, kann man froh sein, dass die FDP die
       Stimmungslage nicht für sich zu nutzen weiß und weiter konfus und ohne
       Zukunftsperspektive durch die parlamentarische Landschaft stolpert. Noch
       hat sie niemanden, der bürgerlich seriös auftritt und gleichzeitig einen
       harten rechten Liberalismus auch in der Innen- und Gesellschaftspolitik
       repräsentiert, im Stile des entschlossen handelnden Tribuns. Es fehlt
       bislang ein Oskar Lafontaine von rechts. Aber das muss nicht so bleiben.
       
       13 Dec 2010
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Franz Walter
       
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