# taz.de -- Cécile Lecomte im Porträt: "Ich lebe von der Überraschung"
       
       > Der Castor rollt nach Lubmin – und Cécile Lecomte plant wieder eine ihrer
       > spektakulären Kletteraktionen. "Der Castortransport ist die Achillesferse
       > der Atomindustrie", sagt sie.
       
 (IMG) Bild: Cécile Lecomte, hier bei einer Aktion gegen Gentechnik in Würzburg.
       
       LUBMIN dapd | Möglicherweise wird Cécile Lecomte wieder wenige Meter über
       den rollenden Castoren hängen. Oder sich von einem Gebäude abseilen, wenn
       am Donnerstag ein Zug aus Frankreich mit radioaktiv verstrahltem Material
       nach Lubmin transportiert wird.
       
       "Ich plane eine große Aktion", sagte die 29-jährige Französin zur
       Nachrichtenagentur dapd. Details könne sie natürlich nicht nennen. "Ich
       lebe von der Überraschung", sagt sie. Der Spitzname der durchtrainierten
       Anti-Atom-Aktivistin ist "Eichhörnchen". Schließlich hat sie schon durch
       waghalsige Kletteraktionen in ganz Deutschland die Polizei in Bedrängnis
       gebracht und einmal über Stunden einen Castortransport gestoppt.
       
       Auch bei diesem Castortransport vom südfranzösischen Cadarache nach Lubmin
       werden die Sicherheitsbeamten ein Auge auf die quirlige Aktivistin haben.
       Sie läuft bei jedem Großereignis zur Hochform auf. "Der Castortransport ist
       die Achillesferse der Atomindustrie", sagt sie. Die Aktionen der
       Demonstranten brächten die Menschen zum Nachdenken. "Es ist
       unverantwortlich, radioaktive Substanzen durch die ganze Welt zu
       transportieren", sagt sie. Dagegen wolle sie protestieren.
       
       Inzwischen gelten in Deutschland rund hundert Menschen als
       Kletteraktivisten. Einige Dutzend von ihnen hat Lecomte selbst ausgebildet.
       Sie versteht sich als Multiplikatorin. Vor einigen Jahren ist sie von
       Frankreich in die Lüneburger Heide gezogen. "Ein anders Land ist doch
       interessanter", sagt sie. Außerdem könne sie so sinnvoll zwischen den
       Kulturen vermitteln. Es scheint, als würde Lecomte ihr ganzes Leben in den
       Dienst der "guten Sache" stellen.
       
       "Ein anders Land ist doch interessanter" 
       
       Mit extremen Aktionen erregt die ehemalige französische Meisterin im
       Sportklettern nicht nur bei Atomtransporten Aufmerksamkeit. Sie protestiert
       gewaltfrei gegen alles, was ihrem Ideal widerspricht: Das Bahnhofsprojekt
       Stuttgart 21, der Anbau von Genmais, das System insgesamt. Gegen den
       "Kapitalismus an sich" hat sie schon drei Mal die Frankfurter Hochhäuser
       der Banken beklettert.
       
       Gegen ihre fantasievollen Ideen existieren bislang nicht einmal Gesetze.
       2008 musste ein Castor-Transport sechs Stunden lang still stehen, weil
       Lecomte in sechs Meter Höhe über den Gleisen hing. Die Polizei war ratlos
       und ließ Spezialkräfte einfliegen, um die Hochseilkünstlerin los
       zuschneiden. "Es war politisch sehr effektiv", sagt sie nüchtern.
       
       Weil sie genau oberhalb des Luftraumes der Gleise hing, wurde sie
       freigesprochen. Allerdings läuft zurzeit noch eine Berufung. Auch Lecomte
       wehrt sich juristisch: Der Lüneburger Polizeipräsident hat die Aktivistin
       in seinem Einsatzgebiet im Fernsehen als "absolut nervig und krank"
       bezeichnet. Daraufhin hat Lecomte ihn wegen Verleumdung angezeigt.
       
       Mehrfach musste Lecomte schon vor Gericht erscheinen. Auch aus kühlen
       Gerichtsprozessen machte sie ein Happening: Mit ausgefeilten juristischen
       Diskursen über die Freiheit der Bürger und ihr Recht auf den öffentlichen
       Raum hat sie die Richter mehrfach erstaunt. "Eine Verhandlung ist doch nur
       die Fortsetzung einer Aktion", sagt sie lachend. Lecomte scheint fast Spaß
       daran zu haben, öffentlich angeprangert zu werden. Das könne schließlich
       die Menschen aufwecken. "Menschen dürfen nicht aufhören zu denken, weil es
       da ein Gesetz gibt. Menschen dürfen überprüfen, ob das Gesetz überhaupt
       Sinn macht."
       
       Als Beruf würde Lecomte wohl tatsächlich Aktivistin angeben. Ihren Job als
       Lehrerin an einer Waldorfschule hat sie aufgegeben und sich ganz dem
       Protest verschrieben. Sie lebt von Spenden der "Bewegungsstiftung" in einem
       Bauwagen am Waldrand in Lüneburg. Sie versucht so wenig wie möglich zu
       konsumieren, nutzt Second-Hand-Kleidung und manchmal selbst ausrangiertes
       Essen von anderen.
       
       Ihr uneingeschränkt ökologischer Lebensstil wirkt nahezu unwirklich. "Ich
       habe auch meine Fehler", sagt sie. Wenn es draußen stürme und sie hocke
       alleine in ihrem Bauwagen, fühle sie sich unwohl. "Dann geht es auch mir
       schlecht", sagt sie. Aber es sei ihre Entscheidung. Und schnell fügt sie,
       nun wieder optimistisch, hinzu: "Ich habe das Glück, mein großes
       Kletterhobby mit etwas Sinnvollem verbinden zu können." Das sei ein großer
       Spaß, sagt sie enthusiastisch.
       
       Möglicherweise wird sie auch in dieser Woche wieder verhaftet werden. Die
       Polizei beobachtet Lecomte vor größeren Demonstrationen und setzte die
       zierliche Person zur "Gefahrenabwehr" schon einmal in viertägigen
       Gewahrsam. "Ich möchte aber nichts Verbotenes tun", sagt sie. Es ginge ihr
       um Kreativität, darum, Menschen zum Mitmachen zu bewegen. "Und wenn sie den
       Demonstranten Verpflegung bringen ist das auch eine großartige Aktion",
       sagt sie. Eine so quirlige Person wie Lecomte wird aber auch in Zukunft
       nicht beim Kuchen backen anzutreffen sein.
       
       14 Dec 2010
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Cécile Lecomte 
 (DIR) Schwerpunkt Atomkraft
 (DIR) Schwerpunkt Atomkraft
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) US-Depeschen bei Wikileaks: EU-Gentech-Lobby fordert Unterstützung
       
       Dokumente bei Wikileaks decken auf, wie ein spanischer Agrar-Staatssekretär
       die USA bittet, in Brüssel Druck zugunsten von Monsanto Gentech-Mais
       auszuüben.
       
 (DIR) Castor nach Lubmin: Einer ist raus ausm Betonblock
       
       Der Castor steht – aufgehalten durch eine Beton-Blockade von "Robin Wood".
       Rund 4.000 Beamte sind im Einsatz. Blockaden, Demos, Mahnwachen. taz.de
       berichtet live von den Protesten.
       
 (DIR) Castortransport nach Lubmin: Geheime Route
       
       Es rollt wieder ein Zug mit Atommüll von Frankreich nach Deutschland. Im
       Laufe des Tages soll er die Grenze passieren. Auf dem Weg nach Lubmin
       erwartet die Polizei Blockadeversuche.
       
 (DIR) 3000 Polizisten im Einsatz: Castor rollt Richtung Lubmin
       
       Seit Dienstag, 20:04 Uhr, rollt der Castor auf der Schienenstrecke. 3000
       Polizisten werden im Einsatz sein. Zahlreiche Aktionen sind geplant:
       Lichterketten, Demos, Blockaden – und Schottern.
       
 (DIR) Anti-Atom-Protest in Greifswald: Regen, Schnee und Castor
       
       Der erste Castor-Transport aus Frankreich in den Nordosten wird von
       Protesten begleitet: 3000 demonstrierten am Samstag in Greifswald – trotz
       winterlicher Temperaturen.
       
 (DIR) Atommüll nach Lubmin: "Wir sind noch nicht das Wendland"
       
       Der nächste Castortransport nach Lubmin steht bevor. Die Protestkultur
       gleicht nicht der im Wendland. Doch: Wie lebt man im Nordosten mit dem
       Atommüll?