# taz.de -- Atommüll nach Lubmin: "Wir sind noch nicht das Wendland"
       
       > Der nächste Castortransport nach Lubmin steht bevor. Die Protestkultur
       > gleicht nicht der im Wendland. Doch: Wie lebt man im Nordosten mit dem
       > Atommüll?
       
 (IMG) Bild: Mit Stacheldraht gesichert: Gelände des ehemaligen VEB Kernkraftwerk bei Lubmin.
       
       LUBMIN taz | Minus ein Grad zeigt das Thermometer an der Lubminer
       Seebrücke. Gischt und Schnee vernebeln die Sicht. Eine Woche bis Tag X. Der
       Castor kommt. Nicht ins Wendland diesmal, sondern in den hohen Norden,
       tiefen Osten, kurz vor der polnischen Grenze.
       
       20 Kilometer westlich: Greifswald. 60.000 Einwohner, 12.000 Studenten.
       Mindestens 3.000 Menschen werden hier am Samstag gegen den Atomtransport
       aus Frankreich ins nahe Zwischenlager demonstrieren, erwartet die lokale
       Anti-Atom-Initiative.
       
       Bürgermeister: 2.400 Jobs 
       
       Amtsgericht, Anwaltszimmer. Axel Vogt ist seit August 2009 Bürgermeister
       von Lubmin, 2.000 Einwohner. Im Anwaltsanzug, zwischen zwei Verhandlungen,
       erklärt der bei seiner Wahl noch parteilose Vogt, jetzt CDU, er sehe in
       puncto Zwischenlager "die Nachteile nicht". Vogt sieht vor allem: Jobs.
       
       Etwa 2.400 Jobs biete der "Energie- und Technologiestandort Lubminer
       Heide". In den einstigen Werkhallen des VEB Kernkraftwerk Bruno Leuschner
       fertigen heute Metaller Bauteile. Nebenan lagern Castoren sowie schwach-
       und mittelradioaktiver Müll, vor allem aus dem Rückbau der Meiler hier und
       in Rheinsberg.
       
       Vogts Vorgänger Klaus Kühnemann hatte sich noch gegen Atomtransporte
       engagiert. Er kämpft jetzt für einen Antrag, der Vogt verpflichten soll,
       das Mögliche zu tun, um das Seebad Lubmin nicht mit Atommüll in Verbindung
       zu bringen. "Zwischenlager Lubmin" - das könne dem Tourismus schaden. Vogt
       dagegen sagt, jetzt werde erst recht über die Nähe von Zwischenlager und
       Seebad diskutiert. Dabei seien 2010 erstmals über 50.000 Gäste gekommen.
       
       Ins Restaurant an der Seebrücke hat sich heute durchs Schneegestöber nur
       ein Paar getraut. Inhaberin Heidrun Moritz, 62, erinnert sich, wie sie als
       junge Chemielehrerin an Atomkraft geglaubt habe. Für blauäugig hält sie das
       heute, nach Tschernobyl, nach den Bildern aus der Asse. Die gebürtige
       Greifswalderin hat sich mit dem Haus am Meer einen Traum verwirklicht. "Wir
       können damit leben, was hier oben ist, wir haben das in der DDR gebaut, wir
       müssen mit den Resten leben."
       
       Gastronomin: Einbußen 
       
       Aber dass hierher noch mehr Müll kommt, von außerhalb? Vom "Hin- und
       Hergekarre" halte sie nichts. Viele dächten hier so, aber sie trauten sich
       nicht, das zu sagen. Hat sie Einbußen wegen des Atommülls? "Stornierungen,
       ja, die gibt es, immer wenn das Thema in den Medien ist." Aber später
       buchten die Leute wieder. Zur Demo gehe sie nicht. "Falsch", das wisse sie.
       "Aber so deutlich Stellung beziehen - als Unternehmerin?"
       
       In einem Greifswalder Jugendzentrum sitzt Silke Schnabel an letzten
       Vorbereitungen. Ihr Vater, erzählt die 27-Jährige, arbeitete als Schlosser
       im AKW, leide seit den Achtzigern an Neurodermitis, "nach einer erhöhten
       Strahlendosis". Dass aus Lubmin kaum jemand protestiere, wundert sie nicht.
       "Die sagen, wir müssen hier weiterleben."
       
       Dass viele hier noch DDR-obrigkeitshörig seien, weist sie zurück. "Aber auf
       dem Land am meisten geholfen haben uns Zugezogene aus Westdeutschland." Und
       die Initiativen aus dem Rest der Republik. "Was hier entsteht, da muss man
       sich keine Illusionen machen, ist studentengetragen." Und: "Wir sind noch
       nicht das Wendland."
       
       Grünen-Politikerin Ulrike Berger, 31, die die Demo angemeldet hat, hat
       trotzdem das "Gefühl, dass die Luft hier brennt". In Lubmin sei es
       komplizierter: "Die eine Hälfte im Dorf hat jemanden, der bei der EWN
       arbeitet, die andere will sichs nicht mit der ersten verscherzen."
       
       Manch einer sei dem VEB noch dankbar, etwa für dessen Wohnungsbauten.
       Demonstrieren und vor allem die Mahnwachen nächste Woche, das sei
       schließlich etwas "für die waschechten Anti-Atomaktivisten". Bei
       Minusgraden und Schnee an der Ostsee.
       
       10 Dec 2010
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Jan Michael Ihl
       
       ## TAGS
       
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