# taz.de -- Taz-Serie Schillerkiez: Die linke Opposition: Alles soll so bleiben, wie es ist
       
       > Von ihrem Hauptquartier aus, der "Lunte", dokumentiert eine linke
       > Stadtteilinitiative jedes Anzeichen von Aufwertung im Schillerkiez. Im
       > Visier haben sie nicht nur Investoren, sondern auch das
       > Quartiersmanagement.
       
 (IMG) Bild: Auch da war die Stadtteilgruppe dabei: Protest gegen Tempelhofer Zaun 2009.
       
       Eine Viertelstunde redet Rechtsanwältin Ewa Gill nun schon, und immer noch
       kommen Nachzügler in den kleinen Seitenraum der Genezarethkirche. Es ist
       ein denkbar trockenes Thema, über das die Mietrechtsexpertin referiert:
       Betriebskostenabrechnung. Doch ihre Zuhörer - Studierende, Arbeitslose,
       viele Ältere - schreiben aufmerksam mit und grummeln so etwas wie
       "Frechheit", wenn Gill vor "Kostenfallen" warnt.
       
       Jochen Herberg, ein kleiner, grauhaariger Mittfünfziger, steht hinten im
       Kirchenraum an einem Tisch. Er hat Flyer gegen Mietsteigerungen sowie die
       linke Kiezpostille Randnotizen dort ausgelegt. Mit 20 Besuchern habe er an
       diesem Mittwochabend gerechnet, flüstert Herberg erstaunt. Jetzt seien es
       fast 70. Offensichtlich gebe es in der Nachbarschaft beim Thema Mieten
       "reichlich Infobedarf". Und vom Bezirk sei ja keine kostenlose Beratung zu
       haben.
       
       Herberg, ein nüchterner Typ in schwarzem Anorak und Jeans, ist Mitglied der
       Stadtteilinitiative Schillerkiez, die an diesem Abend zur Infoveranstaltung
       geladen hat. Der Langzeitarbeitslose ist einer, der, selbst wenn er sich
       aufregt, kaum eine Miene verzieht. Seit sieben Jahren wohnt er in dem
       Neuköllner Viertel, gerade schleppt er sich durch einen 1-Euro-Job:
       Beauftragter für Computertechnik an einer Schule. Jochen Herberg heißt
       eigentlich anders, aber seinen richtigen Namen will er nicht in der Zeitung
       lesen. Denn nicht alle im Kiez sind gut zu sprechen auf die
       Stadtteilgruppe.
       
       Die Veranstaltung finde in der Genezarethkirche statt, weil es sonst im
       Viertel kaum größere Räume gebe, berichtet Herberg. Und weil sich
       vielleicht nicht jeder dorthin traue, wo sich die Gruppe sonst immer trifft
       - im Stadtteilladen Lunte.
       
       Die Lunte ist das Hauptquartier der Stadtteilinitiative. Ein über und über
       mit Antifa-Plakaten zugehängter Infoladen in der Weisestraße, mit
       abgewetzten Sofas und "anarchosyndikalistischem Tresen" am Montag. Einmal
       die Woche sitzt hier die Gruppe zusammen, schreibt Flugblätter, plant
       "Kiezspaziergänge gegen Aufwertung", dokumentiert jede Veränderung im
       Viertel. Die Linken haben ein Ziel: den Schillerkiez vor der
       Gentrifizierung retten.
       
       Jochen Herberg würde das so nicht mehr sagen. Zu abgenutzt sei der Begriff
       Gentrifizierung, eine Kampfvokabel inzwischen. "Wir wollen einfach
       Mieterhöhungen und Verdrängung verhindern. Jeder, der hier wohnt, soll hier
       wohnen bleiben dürfen." Die Strategie: Aufklärung der Anwohner über
       Mieterrechte und Aufwertungsmechanismen. "Damit sich die Leute am Ende
       zusammensetzen und wehren."
       
       Es war die "Task Force Okerstraße", wegen der sich die Stadtteilinitiative
       vor anderthalb Jahren gründete. Eine soziale Einsatzgruppe, ins Leben
       gerufen vom Quartiersmanagement, die sich im Austausch mit Polizei und
       Justiz um die als "Problembereich" markierte Okerstraße kümmern sollte.
       "Nachbarschaftskonflikte, vernachlässigte Kinder aus Roma-Familien,
       Vermüllung" werden in einem Strategiepapier genannt.
       
       Eine Kriegserklärung 
       
       Die Linken indes werteten das als Gipfel einer forcierten Aufwertung des
       Viertels und sprachen von einer "Kriegserklärung". Schwachen werde mit
       Repression gedroht, Probleme würden ethnisiert. In der Folge trafen sich
       Protestierer zu "Drink-ins" vorm Quartiersmanagements, mit Transparenten
       zog eine Demo bis vor die Tür: "Packt eure Task Force ein, keine
       Ausgrenzung und Verdrängung." Noch heute ziert ein Graffiti die Jalousie
       des Büros: "QM einebnen".
       
       Drinnen will man zu den Linken wenig mehr sagen. Nur so viel: Es sei
       schwierig, mit "Akteuren im Dunkeln" zu kommunizieren, die sich in
       "pauschaler Kritik" ergingen. Das Quartiersmanagement widme sich sozialen
       Problemen, zu deren Lösung es keine Alternative gebe. Für Herberg ist es
       schlicht überflüssig. "Sozialarbeit ist nicht Aufgabe eines
       Privatunternehmens, sondern des Sozialstaats, eine Selbstverständlichkeit."
       
       Die "Akteure im Dunkeln" sind ein knappes Dutzend Linker aus dem Viertel.
       Nicht nur junge Studenten, sondern auch Ältere, Berufstätige wie
       Arbeitslose. Meist Leute, die sich Wissen über Stadtentwicklung angelesen
       haben und auf die große Kapitalismuskritik zielen. "Von 25 bis 60 Jahre,
       alles dabei", sagt Herberg. Die meisten würden schon viele Jahre vor Ort
       leben. Einfach Schillerkiezler, die nicht gewillt seien, sich vertreiben zu
       lassen.
       
       Die Handschrift der Gruppe findet sich überall im Kiez, rote Schriftzügen
       an Häuserwänden. "Wohnraum für alle statt Edelkiez" steht dort, oder
       "Integrier dich, Yuppie". Immer wieder auch das plakatierte Konterfei von
       Stadtentwicklungssenatorin Ingeborg Junge-Reyer (SPD): "Ich weiß, wo du
       nächsten Sommer nicht mehr wohnen wirst."
       
       Bis zu 50 Anwohner kommen, wenn die Linken alle paar Monate zu
       "unabhängigen Stadtteilversammlungen" in die Eckkneipe Lange Nacht laden -
       "von Nachbarn für Nachbarn". Dort kann es schon mal schroff werden. Dann
       wird Kritikern das Rederecht entzogen oder sich mit Kiezkünstlern
       gestritten, ob diese nun Förderer oder Hinderer der lokalen Aufwertung
       seien. "Schwierig, schwierig" sei der Kontakt zu den Linken, sagt Reinhard
       Lange, Galerist, Mitglied im Quartiersbeirat und seit fünf Jahren
       Schillerkiezler. Die Stadtteilgruppe neige zur Ausgrenzung anderer Gruppen,
       auch des Quartiersrats. Ihr fehle bisweilen das "Hinterfragen der eigenen
       linken Gebetsfloskeln". Etwa über die Task Force, die sich real für
       Menschen einsetze, die lange vernachlässigt wurden. "Aber das passt denen
       nicht ins Bild." Jedes Fensterputzen, sagt Lange, löse dort gleich
       Gentrifizierungspanik aus. Dabei gebe es ja "diese Gefahr", werde der
       Schillerkiez durch die Flughafenschließung für Investoren interessant,
       betont der Quartiersrat. "Wer das nicht sieht, ist ein Narr." Aber dagegen
       müsse man zusammen aktiv werden, an einem Strang ziehen. "Der Schillerkiez
       ist zu klein, um hier noch falsche Fronten aufzubauen."
       
       Jochen Herberg spricht lieber von Eigenständigkeit. Man wolle unabhängig
       agieren, ohne Verbandelung mit Parteien oder Institutionen. Das hat im
       Schillerkiez Tradition. Schon 1989 demonstrierten hier Linke "gegen
       Mietausbeutung, Spekulantentum und Stadtteilzerstörung". Seit gut 25 Jahren
       existiert der Stadtteilladen Lunte als linkes Epizentrum.
       
       Nur wenige Hausnummern weiter hat sich das "Syndikat" einquartiert: ein
       autonomes Kneipenkollektiv, ebenso alt wie die Lunte. "Wenn man so will",
       sagt Herberg, "sind das hier die ältesten Institutionen im Kiez." Deren
       aktuellstes Projekt: eine Pionierfläche auf dem Tempelhofer Feld, 1.000
       Quadratmeter groß. 19 Parzellen hatte der Senat auf dem ehemaligen
       Flughafengelände zur Zwischennutzung für die nächsten Jahre ausgeschrieben,
       eine ging an die Stadtteilgruppe. Einen Garten als Treffpunkt planen die
       Linken. Eine "offene Feldstruktur" mit Erwerbslosenfrühstück und
       Infoabenden.
       
       Joachim Oellerich von der Berliner Mietergemeinschaft lobt das Engagement.
       Eine Aufwertung im Schillerkiez sei nicht zu leugnen. "Es ist das Verdienst
       der Stadtteilgruppe, auf die damit einhergehenden Probleme früh aufmerksam
       gemacht zu haben." Und wo Mieter über ihre Rechte aufklärt würden, seien
       Mieterhöhungen nicht ganz so leicht möglich. Dank der Linken gebe es dafür
       heute wieder ein Bewusstsein und "etwas Widerborstigkeit" im Quartier.
       
       Es ist ein akribisch geführter Kampf, den die linken Schillerkiezbewahrer
       führen. Es wird dokumentiert, Fragebögen auswertet, Beratungen angeboten.
       Nicht das große, bunte Bündnis wird gesucht, wie etwa die Mediaspree-Gegner
       im Friedrichshain, sondern der Bund mit den Anwohnern von nebenan. Ihre
       Verunsicherung über die Zukunft des Schillerkiezes ist greifbar, nicht nur
       in der Genezarethkirche. Noch aber bleibt sie oft folgenlos. Die meisten im
       Stadtteil, sagt Herberg, seien mit ihren eigenen Problemen beschäftigt. "Da
       bleibt Politik als Erstes auf der Strecke." Und die Mittel der
       Stadtteilgruppe sind begrenzt. Ein bisschen Aufklärung, ein bisschen
       Hartz-IV-Beratung - während nebenan in der Lichtenrader Straße die ersten
       Lofts zum Kauf feilgeboten werden. 382.000 Euro im "Grundpreis", gleich
       neben "Europas größtem innerstädtischem Park".
       
       Die Erfolge der Linken 
       
       Dennoch betont Herberg die eigenen Erfolge. Das Quartiersmanagement habe
       sich geändert, sei selbstkritischer und offener geworden. Der Quartiersrat
       tage öffentlich. "Mit der Geheimpolitik ists vorbei." Dass das
       Quartiersmanagement für 2011 "Partizipation" zum Schwerpunkt gemacht und
       ein "Jahr des Dialogs und Miteinanders" ausgerufen habe, sei auch dem Druck
       von links geschuldet.
       
       Aber kann nicht auch hippe Alternativ-Infrastruktur zum
       Attraktivierungsfaktor werden? Herberg überlegt kurz, schüttelt dann den
       Kopf. Man sehe es an dem Haus mit dem Treffpunkt Lunte: seit Jahren selbst
       verwaltet, Mietwucher gebe es nicht. Aber man müsse aufpassen.
       
       Wie etwa im letzten August. Die Gruppe lud zu ihrem "unabhängigen
       Stadtteilfest" mitten auf der Weisestraße. Hunderte kamen, flanierten
       zwischen Volxküche-Zelten, Second-Hand-Tischen und der punkbespielten
       Bühne, plauderten an Bierbänken. Abends aber waren statt der Anwohner fast
       nur noch Alternative da, viele auch aus anderen Ecken Neuköllns und
       Kreuzberg. Da sei das Fest "eigentlich schon zu groß" geworden, sagt Jochen
       Herberg heute. Man wolle ja schließlich nicht noch Leute zum Feiern in den
       Schillerkiez locken.
       
       19 Jan 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Konrad Litschko
       
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