# taz.de -- taz-Serie Schillerkiez: Der Ex-Flugplatz: Wer bestellt das Feld?
       
       > Die Zukunft des Neuköllner Viertels hängt am Tempelhofer Feld. Und die
       > Bewohner wissen es. Das zeigt sich in den weit verbreiteten Befürchtungen
       > vor einer Aufwertung.
       
 (IMG) Bild: Was tun mit dem schönen vielen Platz vom ehemaligen Flughafen?
       
       Die Senatsbaudirektorin sieht erschöpft aus. Regula Lüscher stützt den Kopf
       in die Hände, ruft aus: "Ich will doch keinen Luxuskiez hier bauen!" Aber
       in der Neuköllner Genezarethkirche mag ihr keiner so recht glauben. "Das
       sagt die jetzt nur, damit wir Ruhe geben", zischt eine junge Frau mit
       großer Strickmütze ihrem Freund zu.
       
       Die Senatsbaudirektorin ist zu einer Anwohnerversammlung Anfang Dezember in
       den Schillerkiez gekommen, um über den Planungsstand auf dem Tempelhofer
       Feld zu informieren. Neben Bezirksvertretern und Mitgliedern des
       Quartiersrats sind die Nachbarn eingeladen, um über die Zukunft ihres
       Kiezes zu diskutieren. Sie erscheinen zuhauf: junge Eltern mit Baby im
       Tragetuch, Ladenbesitzer, alte Frauen, die mit der Handtasche auch den
       Zettel mit der Tagesordnung festhalten, einige Migranten. Gut 350 Personen
       drängen sich schließlich in der Kirche, die zugleich größter
       Veranstaltungsraum der Gegend ist. Ein ungewöhnlich großes Interesse für
       eine drei Stunden dauernde Abendveranstaltung über Kiezpolitik, die für
       2017 geplante Internationalen Gartenbauausstellung (IGA) auf dem
       Parkgelände, neue Wohnbebauung und die Pionier-Zwischennutzungen. Doch die
       Zukunft des Schillerkiezes hängt am Tempelhofer Feld. Und die Leute wissen
       es.
       
       Sieben Monate nach Umwandlung des ehemaligen Flughafengeländes in einen
       öffentlichen Park hat sich die Gemütslage im Kiez gründlich geändert. Aus
       einem Viertel von sozial Abgehängten, um die sich Sozialvereine kümmerten,
       ist ein "Quartier" mit einer aktiven Bürgerschaft geworden. Die Menschen
       haben schnell begriffen, dass es nicht nur ein Geschenk ist, die größte
       Grünfläche der Stadt vor der Haustür zu haben. Die neue Lage am Parkrand
       weckt Begehrlichkeiten. Nicht nur bei den Ausflugsgästen aus ganz Berlin,
       die zum Picknicken, Joggen und Flanieren kommen. Als künftiges
       "Prenzlkölln" ist die Gegend auch auf den Radar von Immobilienvermarktern
       und anspruchsvolleren Wohnungssuchenden gerückt. Viele Anwohner fürchten,
       dass nur diese Gruppen von den Senatsplänen für neue Quartiere am Park
       profitieren werden. Und nicht die Bevölkerung, die hier schon lebte, als
       auf dem Tempelhofer Feld Flugzeuge Lärm und Gestank verbreiteten.
       
       Die neue Grünfläche vor ihrer Haustür hat die Schillerkiezbewohner
       politisiert. "Hier entsteht gerade eine Bewegung, die bald in keine Kirche
       mehr passen wird!", ruft eine bürgerlich aussehende Kiezaktivistin der
       Senatsbaudirektorin zu und warnt: "Stuttgart 21 sollte Ihnen gezeigt haben,
       dass sich die Bevölkerung nicht für dumm verkaufen lässt." Klatschen und
       Jubel erfüllt die Kirche.
       
       Worte wie "Aufwertung", "Entwicklung" und "Bebauung" sind inzwischen
       Reizworte im Schillerkiez. Denn sie beschreiben einen Veränderungsprozess,
       der sich, in Berlin wie in anderen Großstädten, noch selten positiv für
       jene Bevölkerungsteile ausgewirkt hat, wie sie im Schillerkiez zu Hause
       sind: Mehr als die Hälfte der 20.000 Menschen, die auf 95 Hektar in zumeist
       einfachen Mietwohnungen wohnen, leben in schwierigen sozialen
       Verhältnissen, die Arbeitslosigkeit liegt über 40 Prozent. Diese Menschen
       fühlen sich offensichtlich nicht gemeint, wenn die Senatsbaudirektorin die
       "neuen Chancen für den Kiez" beschreibt. Als Lüscher die Pläne für ein
       neues, den Kiez "ergänzendes" Wohnquartier mit "erschwinglichem Wohnraum"
       vorstellt, fragt eine Frau: "Müssen die Hartz-IV-Empfänger und Armen dann
       weg?"
       
       Im Schillerkiez herrscht Angst vor Verdrängung. Angst, bald nicht mehr
       mithalten zu können mit den stetig steigenden Mieten. Angst, durch die
       geplante Wohnbebauung am "Baufeld Oderstraße" künftig von Wohlhabenden
       umringt zu sein. Angst, durch die IGA Abschied von der unbewirtschafteten
       Freifläche nehmen zu müssen, die sie erst vor kurzem dazugewonnen haben.
       Auch wenn Lüscher sehr betont, dass man "sozialverträglich" entwickeln und
       bauen möchte - hier schenkt ihr kaum jemand Glauben.
       
       Nicht ganz zu Unrecht: Mittlerweile liegen die Mieten für freiwerdende
       Wohnungen mit rund 7,50 Euro pro Quadratmeter inzwischen deutlich über dem
       Berliner Mietspiegel. Und Wohnraum ist begehrt. Stand 2008 noch ein Zehntel
       aller Wohnungen im Kiez leer, sind es nun vor allem Studierende und
       Künstler, die Schlange stehen, um zwischen Warthestraße und Flughafenstraße
       einziehen zu können. Die Chancen von Hartz-IV-Empfängern auf eine Wohnung
       sind nach Aussagen ortsansässiger Mietberatungen schlecht geworden.
       
       Daran werden die geplanten neuen Quartiere mit Wohnen, Gewerbe und einem
       Neubau für die Zentral- und Landesbibliothek nichts ändern - eher im
       Gegenteil. Auch wenn mit dem Wohnungsbau frühestens 2019 begonnen werden
       soll und vorher eine Bestandsaufnahme der sozialen Infrastruktur gemacht
       werden soll: Die für rund 3.000 Menschen geplante Wohnbebauung wird laut
       Baudirektorin "auf jeden Fall teurer als der Bestandswohnraum".
       
       Das ist auch ganz normal für einen Neubau - und doch muss sich Lüscher
       fragen lassen, warum der Senat das vom Bund erworbene Bauland nicht nutzt,
       um dort Sozialwohnungen zu errichten. Wo es in der Innenstadt kaum noch
       billige Wohnungen gibt. Die Frage, gestellt von einer Hartz-IV-Bezieherin
       in den Fünfzigern, wird demonstrativ beklatscht vom Publikum. Das zeigt,
       dass die Bewohner des Schillerkiezes nicht vorhaben, sich dem scheinbar
       Unvermeidlichen zu fügen - und eines der vielen innerstädtischen Quartiere
       zu werden, die von der Spirale aus Aufwertung, Verteuerung und Verdrängung
       heimgesucht werden.
       
       Dass Neubebauung nicht zwangsweise Reihenhäuser für Besserverdienende,
       sondern auch Abenteuerspielplätze, interkulturelle Gärten und
       Begräbnisfelder für Muslime bedeuten kann, schlägt sich zwar auch in den
       Senatsplänen nieder. Doch Regula Lüscher kann den Verdacht nicht
       zerstreuen, über die Menschen hinweg zu planen. Ihr Stadtplanerdeutsch
       macht die Leute misstrauisch, ebenso die Ankündigung, die für die IGA
       genutzte Parkfläche nach 2020 wieder öffentlich zugänglich zu machen.
       
       Dieses Misstrauen begründet sich in der Berliner Erfahrung, dass
       Zwischennutzungen eigentlich immer bleibende Veränderungen hinterlassen.
       Was weg ist, ist weg. Darum stößt die IGA auf wenig Gegenliebe, wie auch
       jegliche Art der Nutzbarmachung des bisher unstrukturierten öffentlichen
       Raums. "Lasst die Wiese Wiese bleiben, wir lassen uns hier nicht
       vertreiben!" steht auf einem Transparent, das eine Handvoll linker
       Szeneleute vor der Kirche hochhält. Und seit neuestem zieren Parolen wie
       "Integrier dich, Yuppie" und "Klasse gegen Klasse" Häuserfassaden im Kiez.
       
       Längst sind es nicht mehr nur die paar Aktivisten aus dem Umfeld des linken
       Stadtteilladens Lunte, die solche Parolen unterschreiben würden. In der
       Kirche greifen auch Menschen zum Mikrofon, die sich im öffentlichen Rahmen
       sonst nicht zu Wort melden würden: Hausfrauen, Hartz-IV-Bezieher, Senioren.
       Und Leute wie die ältere Dame mit strähnigem Haar, die Frau Lüscher
       einlädt, mal ein paar Stunden in ihrer Wohnung an der Oderstraße zu
       verbringen: schlecht saniert, laut. Aber jetzt mit Parkblick. "Dit Einzije,
       watt bei mir uffjewertet wurde, ist die Miete!", ruft sie und erzählt
       ausschweifend von lärmenden Parkbesuchern und Hundekot.
       
       Auch wenn ihre Wortwahl nicht die feinste ist und ihr am Ende das Thema
       entgleitet: Man lässt sie ausreden, es gibt Applaus auch von den erkennbar
       besser Situierten im Raum. Eine ungewöhnliche Solidarität ist im Raum zu
       spüren und ein Bemühen um Konzentration auf die Sache - auch wenn das nicht
       immer gelingt.
       
       Weitere Gesprächstermine seien geplant, versichert Senatsbaudirektorin
       Lüscher schließlich. Doch mit Anwohnerversammlungen allein wird es nicht
       getan sein. Der Drang zur Vernetzung wächst im Schillerkiez. Neben dem
       bereits bestehenden Quartiersrat gibt es bereits Zusammenschlüsse von
       Gewerbebetreibenden, Arbeitslosen und Kulturschaffenden. Auch die Chance,
       sich ab Frühjahr 2011 auf einer der vom Senat freigegebenen
       Zwischennutzungsflächen zu engagieren, haben viele ergriffen. Aus dem
       Schillerkiez kommen Ideen für urbane Landwirtschaft, ein
       Schüler-Umweltprojekt - und einen Stammtisch für Arbeitslose und
       Gentrifizierungsgegner.
       
       Der Stadtentwicklungsdirektorin steht ein langer, harter Dialog bevor.
       
       16 Dec 2010
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Nina Apin
       
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