# taz.de -- Linkspartei im Nordwesten: Hamburger in der Zonen-Falle
       
       > Dora Heyenn von der Linken kämpft gegen eine Wahlschlappe. Wird sich in
       > Hamburg die Zukunft der Partei entscheiden? Oder nur die der Linkspartei
       > im Westen?
       
 (IMG) Bild: In der Zange der Bundespartei: Dora Heyenn, Spitzenkandidatin der Bürgerschaftswahl in Hamburg, nebst Oskar Lafontaine und Klaus Ernst.
       
       HAMBURG taz | "Oskar kommt" steht auf dem Plakaten, mit denen die Hamburger
       Linkspartei für ihren Wahlkampfauftakt wirbt. Man hat am
       Freitagspätnachmittag nach Harburg geladen, in den ärmeren Süden der Stadt.
       Fast jedes zweite Kind in Harburg wächst in einem Hartz-IV-Haushalt auf.
       Hier, wo sich kein Tourist hin verirrt, wohnt ein Teil der
       Linkspartei-Klientel. 19 Prozent der Arbeitslosen haben 2008 links gewählt,
       mehr als die CDU. Am 20. Februar wird die neue Bürgerschaft gewählt. Für
       die Linkspartei geht es dabei um viel, sehr viel.
       
       Langsam füllt sich die Friedrich-Ebert-Halle, ein Backsteinbau, dessen
       Inneneinrichtung vergilbt wirkt. Rund 700 Leute kommen. Das Publikum ist
       grauhaarig, meist männlich. Die Jüngeren sind oft Migranten.
       
       Erst redet der Parteichef, Klaus Ernst. Er greift SPD und Grüne wegen Hartz
       IV an, plädiert für einen Mindestlohn, kritisiert die krassen
       Reallohnsenkungen und dass es in Hamburg zu viel Leiharbeit gibt. Es ist
       eine ordentliche Wahlkampfrede, aber zu schnell, zu laut, zu bayerisch. Es
       ist die Rede eines IG-Metall-Funktionärs, nicht die eines Parteichefs.
       
       Auch Oskar Lafontaine schlägt auf die SPD ein. Aber er hält eine
       Parteichef-Rede, suggestiv und nachdenklich, mal schnell, mal langsam, mal
       laut, mal leise. Und immer mit Blick auf das Grundsätzliche. Er zitiert
       Ludwig Erhard und Warren Buffett und versucht "das Gemeineigentum" als
       sinnstiftende Idee der Linkspartei zu entwerfen. Er sagt: "Die Millionäre
       in Hamburg müssen Linkspartei wählen. Sonst werden sie in der nächsten
       Finanzkrise ihr ganzes Geld verlieren."
       
       Am Ende der Veranstaltung drängt sich Lafontaine gen Ausgang, umringt von
       einem Pulk von Fans, Journalisten, Fotografen, Kameraleuten. Klaus Ernst
       gibt ein knappes Radiointerview und redet mit einem Rentner. Es ist nicht
       leicht, Lafontaines Nachfolger zu sein. Ernst ist spät gekommen, fast zu
       spät. Mit seinem Porsche wär das nicht passiert, frotzelt ein Genosse.
       Ernst wird sein Image als Salonsozialist nicht mehr los. Es gibt kein
       anderes, das es ersetzen könnte.
       
       In Hamburg entscheidet sich am 20. Februar auch, wie lange Gesine Lötzsch
       und Klaus Ernst noch Linksparteichefs bleiben. Zum ersten Mal seit die 2007
       liegen die Hamburger Genossen in Umfragen bei nur fünf Prozent.
       Ausgerechnet jetzt, vier Wochen vor der Wahl. Wenn die Linkspartei es nicht
       wieder in die Hamburger Bürgerschaft schaffen sollte, wäre das ein Debakel,
       für die Linkspartei in Hamburg, für Ernst und Lötzsch, für die gesamte
       Linkspartei. "Wenn Hamburg schiefgeht, wackelt die Partei im Westen",
       fürchtet ein Spitzengenosse in Berlin. Es wäre das erste Mal, dass die
       Linkspartei wieder aus einem Landtag fliegt. Und ein böses Zeichen für die
       Wahlen in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg Ende März, wo der Sprung
       über die Fünfprozenthürde noch schwieriger wird.
       
       Die Linkspartei hat seit ihrer Gründung 2006 keine Wahl verloren. Es ging
       immer nur bergauf. Der Erfolg war da, die Neigung, nötige interne Konflikte
       auszutragen, gering. 2011 muss die Partei nun nicht nur sieben Wahlkämpfe
       bestehen. Sie führt auch die lange aufgeschobene Debatte um das
       Grundsatzprogramm, das im Herbst verabschiedet werden soll. Dabei kommen
       die verdeckten Widersprüche zwischen Pragmatikern und Ideologen, dem
       Gewerkschaftsflügel und Libertären zum Vorschein. Es ist Druck im Kessel.
       
       "Wenn Hamburg kippt, fliegt uns der ganze Laden um die Ohren", so ein
       Linksparteipolitiker. Denn dann drohen Flügelkämpfe und eine Situation, in
       der Ohnmacht und Autoritätsmangel des Duos Ernst und Lötzsch vollends
       sichtbar würden. In der Fraktionssitzung am Dienstag in Berlin herrschte
       eine "ziemlich nachdenkliche Atmosphäre", so ein Bundestagsabgeordneter.
       Pragmatiker wie Jan Korte geben die Devise aus: "Das Problem ist erkannt.
       Jetzt hilft nur Geschlossenheit." Bloß kein Streit vor Wahlen. Wenn es
       sogar die soliden Hamburger Genossen nicht schaffen, wer dann?
       
       Dora Heyenn nippt an ihrem Bier, isst ein paar Erdnussflipps und schaut auf
       die Plastikblume auf dem Bistrotisch des Panoramahotels in Harburg. "Wie in
       den 70ern" sagt sie und lacht. Eigentlich sollte jetzt nach dem
       Wahlkampfauftakt noch eine Pressekonferenz in dem Hotel stattfinden. Aber
       Oskar Lafontaine und Klaus Ernst sind schon weg, die Interviews geführt.
       Der Pressetermin fällt aus, ihr, der Fraktionschefin der Linkspartei in
       Hamburg, hat niemand Bescheid gesagt. "Mal früher nach Haus, auch nicht
       schlecht", sagt sie. Morgens steht sie um sechs Uhr an U-Bahnhöfen und
       verteilt Infomaterial.
       
       Heyenn war schon in den 90er Jahren Parlamentarierin, im Landtag von
       Schleswig-Holstein, für die SPD. 1999 trat sie dort aus, nach Lafontaines
       Abgang. Danach zog sie sich ins Private zurück. Sie ist Lehrerin, ihr
       Habitus bürgerlich. In den 80ern hat sie sich einen Namen mit Büchern über
       Keramik gemacht. "Von Politik war ich kuriert", sagt sie im Rückblick auf
       1999. Als die WASG gegründet wurde, war sie wieder dabei. Wegen der
       sozialen Schieflage. Auf der Straße habe sie immer öfter Männer gesehen,
       die in Mülltonnen nach Pfandflaschen suchten. Ein Unding in einer reichen
       Stadt wie Hamburg, findet sie.
       
       Die Linksfraktion in Hamburg ist etwas Besonderes. Vielerorts gab es bei
       den West-Linken Skandale, aufreibende Flügelkämpfe und persönliche Fehden.
       In Hamburg nicht. "Wir machen konkrete Sacharbeit, das kommt an" sagt
       Heyenn. Zuletzt hat man dafür gesorgt, dass in dem neuen Polizeimuseum die
       NS-Zeit nicht unter den Tisch fällt. In der Bürgerschaft, wo die CDU
       routinemäßig eigentlich jede Zusammenarbeit mit der Linkspartei abblockt,
       ist es Heyenn sogar gelungen, mal einen gemeinsamen Antrag mit allen
       Fraktionen durchzusetzen: für ein Hamburg ohne Gentechnik.
       
       Es konnte auch passieren, dass der CDU-Bürgermeister Ole von Beust sich in
       der Bürgerschaft auf der Stuhllehne des Linkspartei-Finanzexperten Joachim
       Bischoff zum Plaudern einfand und dessen Rede zum HSH-Nordbank-Skandal
       lobte. Auch SPD-Mann Olaf Scholz bescheinigte der Linksfraktion vor ein
       paar Monaten in der taz "ordentliche Arbeit zu machen."
       
       "Sogar Bild verreißt uns nicht mehr automatisch, sondern zitiert, was wir
       sagen", sagt Heyenn.
       
       Nach einem Auftritt in der Handwerkskammer, so Dora Heyenn, kündigten ihr
       ein paar Mittelständler an: "Eine Stimme kriegen Sie von uns" - in der
       Hansestadt ist ein Splitting der Wählerstimmen möglich.
       
       Die Professionalität der Hamburger Linksfraktion ist nicht
       selbstverständlich. Die PDS Hamburg war in der Bundespartei berüchtigt für
       Sektierertum und stundenlange Schlachten um die Tagesordnung. Das, so
       Heyenn, verliere sich eben, wenn man "sich um konkrete Themen kümmert".
       Weltrevolution und Fraktionskampf war gestern, heute geht es um
       gebührenfreie Kitas, Altersteilzeit für Lehrer, Schlaglöcher auf den
       Straßen und sozialen Wohnungsbau.
       
       Die Erfolgsgeschichte der Linkspartei in Hamburg spiegelt sich auch in den
       Mitgliederzahlen: 800 waren es 2007, jetzt sind es 1.400. Dass die
       Linkspartei um den Einzug in die Bürgerschaft bangen muss, liegt an Gesine
       Lötzschs Kommunismus-Wort. Die Debatte ist "nicht so toll", so Heyenn
       lakonisch. Es gebe in Hamburg viele, die aus der DDR geflohen sind, sagt
       sie. Zehn Genossen sind wegen Lötzschs Kommunismus-Äußerung ausgetreten.
       
       Für die Hamburger Linkspartei ist die Diskussion eine Art böser Zeitreise.
       Eine Woche vor der Wahl 2008 gab es die Affäre um Christel Wegner. Die
       DKP-Frau saß für die Linkspartei in Hannover im Landtag und gab in einem
       Interview kund, dass Mauer und Stasi gar nicht so schlimm waren. Der
       Linkspartei in Hamburg kostet das bei der Wahl 2008 etwa zwei Prozent. Der
       Hartz-IV-Klientel in Harburg ist die Debatte gleichgültig, aber bei der
       "kritischen Intelligenz" (Heyenn) in Altona und Mitte schadet das K-Wort.
       Die DDR-Geschichte folgt der Linkspartei wie ein Schatten.
       
       Gesine Lötzsch wird im Hamburger Wahlkampf auch auftreten. Eher versteckt.
       Neben Gregor Gysi. Und erst am 18. Februar, kurz vor der Wahl, wenn das
       Rennen wohl gelaufen ist.
       
       23 Jan 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Stefan Reinecke
       
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 (DIR) Linke schafft Wiedereinzug in Hamburg: Die große Erleichterung
       
       Euphorisch reagiert die Bundesspitze der Linkspartei auf den Wiedereinzug
       in die Hamburger Bürgerschaft. Ein Scheitern wäre einer Katastrophe gleich
       gekommen.
       
 (DIR) Debatte Grüne in Hamburg: Wir wählen ein Lebensgefühl
       
       Armut, Erwerbslosigkeit, Gentrifizierung – über diese Themen ist der
       Grünen-Anhänger in Hamburg erhaben. Lieber glaubt er an die Fantasien eines
       kuscheligen Großstadtlebens.