# taz.de -- Revolution in Ägypten: "Wir gehen nicht, er geht!"
       
       > Panzer rollen auf den Tahrir-Platz zu, aber die Demonstranten halten sie
       > auf. Im Tiefflug donnern Kampfjets über Kairo. Männer fegen die Straße,
       > die jetzt ihnen gehört.
       
 (IMG) Bild: Am Tahrir-Platz in Kairo.
       
       KAIRO taz | Langsam rollt die Panzerkolonne am Ägyptischen Museum im
       Zentrum Kairos entlang. "Das Militär und wir sind ein und dasselbe", rufen
       die Menschen, klatschen und jubeln dem Militär zu. Soldaten winken zurück.
       An der Atmosphäre zwischen Armee und Demonstranten hat sich bislang nichts
       geändert, obwohl das ägyptische Staatsfernehen seit den Morgenstunden ein
       für die Demonstranten demoralisierendes Bild im Viertelstundentakt
       wiederholt: Mubarak sitzt im Krisenstab der Armee inmitten der versammelten
       Militärführung. Doch die Demonstranten hoffen weiterhin, dass sich die
       Armee auf der Straße auf ihre Seite schlagen wird.
       
       Auch wenn manche nun etwas vorsichtig geworden sind. Denn als die
       Panzerkolonne in Richtung des Tahrir-Platzes, des Platzes der Befreiung,
       rollt, der in den letzten Tagen zum Symbol für den Widerstand gegen das
       ägyptische Regime geworden ist, ändert sich die Atmosphäre. Auch an diesem
       Mittag hatten sich zehntausende Demonstranten dort versammelt, als
       plötzlich jemand laut rief, dass die Panzer im Auftrag Mubaraks den Platz
       besetzen wollten. Binnen weniger Minuten verbreitete sich die Warnung in
       dutzendfachen Echos.
       
       Und es dauert nur wenige Minuten, da hat sich die Menge vor den
       Führungspanzer gestellt. Jemand ruft: "Wir gehen nicht, er geht!" Sofort
       hallt der Ruf über den Platz. Ein Mann steigt auf den Panzer und fordert
       die Demonstranten auf, sich den Befreiungsplatz nicht nehmen zu lassen,
       auch nicht von der Armee, und macht ein Zeichen, sich vor die Panzer zu
       setzen. Hunderte folgen seinem Aufruf. Zwei Militärpolizisten bitten den
       Mann höflich, abzusteigen. Ein Offizier verkündet mit einem Megafon, dass
       die Panzer auf dem Weg zum Innenministerium seien, zur verhassten Zentrale
       des Polizei- und Staatssicherheitsapparats. Die Demonstranten beginnen
       untereinander zu diskutieren.
       
       Das ist eine der faszinierenden Beobachtungen: Sie haben keinerlei
       politische Führung, aber sie besprechen von Minute zu Minute, wie es
       weitergehen soll. Es ist, als würde das Wort "Volksaufstand" an den Ufern
       des Nils neu erfunden, der ägyptische Aufstand hat nicht einen, sondern
       viele Köpfe. "Die wollen uns reinlegen", rufen einige. "Die wollen in
       Wirklichkeit unseren Platz besetzen.
       
       "Wenn ihr zum Innenministerium wollt, könnt ihr auch diese Seitengasse
       nehmen", ruft einer. Das wird schnell zum Konsens. Sie öffnen den Weg und
       bilden ein Spalier, damit die Panzer dorthin abbiegen können. Doch schon
       nach zwei Panzern schließt sich das Menschenmeer wieder. Und das Ganze wird
       wieder zu einem Kräftespiel zwischen der Armee und den Demonstranten. Mit
       der großen offenen Frage, wem die Loyalität der Soldaten gehört.
       
       In immer tieferen Flügen donnern Kampfjets über die Stadt. Die
       Demonstranten machen Siegeszeichen zum Himmel. "Jede Bewegung ist ein
       Segen, es kann alles nur besser werden", spricht sich einer der
       Demonstranten Mut zu. Völlig bizarr wirkt die Gruppe von Männern, die in
       dem Trubel die Straße fegen. "Wir machen das, weil das unser Platz und
       unsere Straße ist", sagt einer. Auf die Frage, warum er nicht schon letzten
       Monat auf die Idee gekommen ist, das zu machen, antwortet er: "Weil da die
       Straße noch Mubarak und seinem Sicherheitsapparat gehörte."
       
       Wenn er nicht die Straße kehrt, ist er Apotheker, erzählt er noch, um
       hektisch weiterzuarbeiten, so als ob er das Regime mit dem Besen
       hinwegfegen könnte. Zu diesem Zeitpunkt ist die Menge bereits auf
       hunderttausend Leute angeschwollen - genau zu dem Zeitpunkt, als die
       offizielle Ausgangssperre der Armee beginnt. Die Kampfjets hatten mit ihrem
       Dröhnen Kairo darauf aufmerksam gemacht, dass etwas Besonderes geschieht.
       Als die Menschen ihre Fernseher einschalten und die Bilder vom
       Befreiungsplatz sahen, haben sich viele auf den Weg gemacht.
       
       Einen halben Kilometer weiter spielt sich eine andere Szene ab. Eine Gruppe
       Soldaten hat drei mutmaßliche Plünderer gefasst. Ihre Augen sind verbunden,
       ihre Arme gefesselt. Die Soldaten schlagen auf sie ein. Immer wieder
       versuchen Passanten, sich auf die Männer zu stürzen. Sie rufen: "Bringt
       ihnen bei, was wirkliche Moral ist", bevor sie die Soldaten am Ende
       wegführen.
       
       Wer sind die Plünderer? 
       
       Die Wut ist groß. Viele glauben, dass ein Plan hinter den Plünderungen
       steckt. Das sind ehemalige Offiziere der Staatssicherheit", ruft einer der
       Passanten. "Wer hat die Gefängnisse denn aufgemacht und die Kriminellen
       rausgelassen?", fragt ein anderer. Keiner weiß genau, was wirklich bei den
       Plünderungen vor sich geht. Aber die Vermutung, dass das Chaos ein Teil der
       Taktik von Präsident Mubarak ist, damit die Menschen wieder nach ihm und
       seinem Sicherheitsapparat rufen, macht die Runde.
       
       Tausende Häftlinge machen die Straßen unsicher, die die chaotische Lage zu
       ihrer Flucht genutzt haben. Aus Kreisen der Sicherheitskräfte verlautete,
       mindestens vier Haftanstalten seien betroffen. Mehrere Häftlinge sollen
       getötet worden sein.
       
       Angesichts der Massenproteste hatte Mubarak am Samstag seine Nachfolge
       geregelt: Erstmals seit seinem Amtsantritt 1981 ernannte er einen
       Stellvertreter. Vizepräsident soll der Geheimdienstchef Omar Suleiman
       werden. Die Personalentscheidung wurde als Kehrtwende von seinem
       dynastischen Kurs gesehen, bei dem sein Sohn Gamal als favorisiert galt.
       Als Nachfolger von Ministerpräsident Ahmed Nasif benannte Mubarak den
       Luftfahrtminister Ahmed Schafik.
       
       Unterdessen berichtete das Staatsfernsehen, die Hauptstadtbüros von
       Al-Dschasira seien geschlossen worden. Es ist wie so vieles in Kairo:
       Keiner weiß genau, warum etwas geschieht, aber jeder weiß, dass Ägypten nie
       wieder so sein wird wie zuvor.
       
       30 Jan 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Karim Gawhary
 (DIR) Karim El-Gawhary
       
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