# taz.de -- Urlaub in Ägypten: "Hauptsache, es regnet nicht"
       
       > So richtig Urlaubsstimmung ist nicht mehr in Scharm al-Scheich, aber
       > wenigstens redet keiner mehr von Haien. Die Proteste in Kairo lassen die
       > deutschen Urlauber eher kalt.
       
 (IMG) Bild: Strandstilleben, aufgenommen 2009 in Scharm al-Scheich, "Naama Bay".
       
       SCHARM AL-SCHEICH taz | Vor dem Gate A 22 in der Abflughalle in Nürnberg
       ist fast nur das Rascheln der Tageszeitungen zu hören, hinter denen die
       meisten Wartenden ihre Köpfe verschanzt haben. Es ist vor allem ein Thema,
       das die Fluggäste nach Scharm al-Scheich, einem der wichtigsten
       Tourismusorte Ägyptens, zu bewegen scheint. "Sonne ist." – "Na, Hauptsache,
       es regnet nicht", tauscht sich eine Reisegruppe älterer Herrschaften in
       aufeinander abgestimmten Beigetönen aus.
       
       Die Proteste auf den Straßen Kairos, die auf den Titeln der Zeitungen
       gezeigt werden, scheinen die meisten hier eher kaltzulassen. "Die
       Urlaubsgebiete sollen ja ruhig sein. Hauptsache, die lassen uns nicht
       verhungern", sagt eine ältere Frau in Begleitung ihres Mannes. Der ergänzt:
       "Außerdem ist ja das Militär im Sinai. Da fühlen wir uns sicher." Sie
       wollen für vier Wochen ans Rote Meer reisen und strahlen Optimismus aus.
       "Sonst werden wir halt ausgeflogen. Da vertrauen wir den deutschen
       Behörden."
       
       Auch die Hamburgerin Marina Heise, 48, gehört zu den wenigen, die sich
       trotz der verschärften Reisehinweise des Auswärtigen Amtes nicht von ihren
       Urlaubsplänen abbringen ließ. Seit einem Unfall sitzt sie im Rollstuhl.
       "Ich habe keine Angst, aber ich genieße es mit Vorsicht." Ohne ihren Bruder
       wäre sie nicht geflogen. Der sei schon öfter in gefährlichen Gebieten
       unterwegs gewesen.
       
       Stephan Huth, 42, war viele Jahre beim Militär und bezeichnet sich selbst
       als Weltenbummler. "Die Lage ist undurchsichtig, aber nicht gefährlich",
       analysiert er. Was er viel bedenklicher finde, seien die tausenden
       geflohenen Häftlinge. "Und notfalls fliegt uns das Militär raus."
       
       Eine unangenehme Diskrepanz empfindet die 26-jährige Bürokauffrau Karin
       Blechinger angesichts ihres Urlaubs: "Wir liegen in einer Deluxe-Anlage,
       und drum herum müssen die Menschen um ihr Recht auf ein besseres Leben
       kämpfen. Da ist schon ein fader Beigeschmack dabei." Dann pustet sie eine
       lila Strähne aus dem Gesicht und lacht. Ihre Kollegin sei aber viel
       schlimmer dran. Diese habe erst nach Tunesien fahren wollen und dann
       umgebucht auf Ägypten. "Die fliegt jetzt auch da hin."
       
       "Bombenstimmung" 
       
       Bei der Passkontrolle flötet die blonde Zollbeamtin mit Blick auf eine
       Sonnenbrille fröhlich: "Geht bestimmt nach Ägypten. Da ist jetzt sicher
       eine Bombenstimmung." Ihr schnauzbärtiger Kollege versucht die Situation
       mit einem sachdienlichen Hinweis zu beschwichtigen: "Bei der
       Morgenbesprechung hat man uns gesagt, die Hälfte hat die Reise abgesagt."
       Tatsächlich ist die Abbrecherquote noch viel höher. Nur 50 von ursprünglich
       280 Reisenden finden sich im verwaisten Großraumflugzeug ein.
       
       Angekommen in Scharm al-Scheich trotten sie verloren in die leere
       Empfangshalle. Dafür herrscht Gedränge im Abflugbereich gegenüber. Vor
       allem Familien mit Kindern brechen ihren Urlaub ab. Dänemark und Schweden
       rufen Urlauber zurück. Viele Deutsche, Franzosen und Holländer folgen. Eine
       dänische Familie mit zwei kleinen Kindern ist erst vor zwei Tagen
       angekommen. "Da sagte man uns noch, es sei alles okay", sagt der Vater.
       Eigentlich wollten sie drei Wochen bleiben. "Jetzt heißt es, wir sollen
       lieber zurück."
       
       Der Schalterbeamte am Informationsservice des Flughafens, Disouky, 36,
       drückt drastisch das aus, was hinter den fassungslosen Gesichtern vieler
       Reisebegleiter vorgehen mag, die vergebens mit ihren Schildern auf
       ankommende Urlauber warten: "You are facing a desaster."
       
       Der letzte ähnlich desaströse Urlauberschwund, an den sich der
       Reisebegleiter Remon Asis erinnern kann, war nach den Bombenanschlägen 2005
       in Scharm al-Scheich. Der 28-Jährige arbeitet seit seinem 19. Lebensjahr im
       Touristikbereich. Seine Familie wohnt in der Nähe von Kairo und hat ihm
       gesagt, er solle bloß im Sinai bleiben. Da sei er sicherer. "Hier ist es
       ruhig, weil alle Arbeit haben und nur den Nachteil vom Protest sehen: dass
       die Urlauber nicht mehr kommen." Die Hotels hätten schon viele ihrer
       Mitarbeiter nach Hause geschickt.
       
       Normalerweise seien um diese Zeit mehr Touristen als Ägypter in der
       zentralen Fußgängerzone. Jetzt schlendern vereinzelte Urlauber entlang,
       aber vor allem sieht man viele junge Ägypter, die vor den Läden sitzen, in
       denen nichts mehr los ist. Von dem Militär, das Berichten zufolge nach
       Scharm al-Scheich gekommen sein soll, ist in der ganzen Stadt nichts zu
       sehen. Auch die Polizei will nichts vom Militär wissen. Dort heißt es, die
       Sicherheitslage sei ganz normal, und es seien nicht mehr Beamte als sonst
       eingesetzt.
       
       Tatsächlich ist das Tourismusgebiet auf der Sinai-Halbinsel eine
       abgekapselte, künstlich hingebaute Welt, dort, wo vorher einfach nur ein
       kleines Fischerdorf war und Wüste mit wenigen Beduinen. Alle, die hier
       arbeiten, stammen aus anderen Teilen Ägyptens, wo ihre Familien noch
       wohnen.
       
       Nur Bargeld gibt es nicht 
       
       Von der Krise merkt man hier nichts, außer daran, was fehlt: An keinem
       Geldautomaten gibt es mehr Bargeld. Die Banken sind geschlossen. Auch der
       Sprit wird langsam knapp, sodass die Taxipreise trotz Nebensaison schon in
       die Höhe schießen. Im Minibus bekennt ein junger Mann in rotem T-Shirt:
       "Ich liebe Mubarak. 30 Jahre haben wir in Frieden gelebt." Sofort fährt der
       Kopf eines anderen jungen Mannes herum: "Ich habe Arbeit, trotzdem möchte
       ich, dass Mubarak abtritt. Wer das Internet abstellt, hat etwas zu
       verbergen und möchte die Diskussion beenden."
       
       Nachdem der ägyptische Präsident Husni Mubarak am Dienstag erklärte, in
       sechs Monaten abzudanken, funktioniert am Tag darauf das Internet zwar
       wieder, doch an der Abwanderungsbewegung hat sich nichts geändert. Jedes
       Jahr fährt das belgische Ehepaar Missault aus Brügge in dasselbe Hotel in
       der Naama Bay. Seit einer Woche sind sie hier. "Sonst ist der Strand um
       diese Zeit voll, dieses Jahr war es nur die Hälfte, und inzwischen ist nur
       noch 5 Prozent belegt", sagt Norbert Missault, 71.
       
       Nur in den ersten zwei Reihen der Strandliegen haben sich ein paar
       Sonnenhungrige verteilt. Familien mit Kindern sieht man gar nicht mehr.
       Innerhalb von zwei Tagen hätten schon 4.500 Niederländer Ägypten verlassen.
       Auch die Missaults fliegen morgen zurück, obwohl sie eigentlich drei Wochen
       bleiben wollten. Die Reisegesellschaft sagte ihnen zwar, sie seien noch
       sicher, aber bei ihrem Sohn, der morgen kommen sollte, hieß es, er dürfe
       nicht fliegen, weil es nicht sicher sei. "Da stimmt doch etwas nicht. Wenn
       es nicht 100 Prozent sicher ist, fliegen wir auch zurück", sagt Christiane
       Missault, 70. In der ganzen Woche, in der sei hier seien, hätten sie nur
       telefoniert. "Das ist ja kein Urlaub."
       
       Auf einer Bank neben der Hauptstraße sitzt der 23-jährige Mustafa Ahmed
       Oseme und starrt auf sein Handy. Er arbeitet eigentlich an der Rezeption im
       Hotel Regent, ist aber am Morgen gefeuert worden. "Ich bin freigestellt mit
       offenem Ende. 80 Prozent der Belegschaft ist nach Hause geschickt worden."
       
       In der Tasche hat er schon ein Busticket nach Kairo, wo auch seine Familie
       wohnt. "Morgen bin ich bei den Protesten dabei. Mubarak muss verschwinden.
       Ich bin froh, dass ich die Chance habe, Teil dieser historischen Situation
       zu sein." Er hat an der zweitgrößten Universität Ägyptens, der Helwan
       University, Wirtschaftswissenschaften studiert. Seit seinem Abschluss im
       Juni 2010 hat er keine Arbeit gefunden und ist deswegen hier gelandet. "Ich
       arbeite von Tag zu Tag, ohne Sicherheit und kann wie jetzt einfach
       rausgeschmissen werden."
       
       Er arbeitet 12 Stunden am Tag, 30 Tage im Monat, dann hat er 10 Tage frei.
       Von seinem Verdienst von 800 ägyptischen Pfund hat er in diesem Monat ein
       Viertel weniger bekommen.
       
       Kurz gib es "Mubarak"-Rufe 
       
       Als am Mittwochnachmittag in Kairo die Regierungsgegner von
       Mubarak-Anhängern angegriffen werden, hallen auch kurz einige
       "Mubarak"-Rufe durch Scharm al-Scheich. Das Grüppchen, das dazu hupend
       durch die Straße fährt, ist aber ebenso schnell wieder verschwunden, wie es
       aufgetaucht ist.
       
       Hier bekennen sich erstaunlich viele zu dem sonst so verhassten
       Präsidenten, wahrscheinlich, weil es den Menschen hier im Gegensatz zum
       Rest des Landes relativ gut geht wie zum Beispiel dem Restaurantbesitzer
       Dia, 43: "Wir sollten ihn respektieren. Er geht in sechs Monaten, und jetzt
       müssen die Proteste aufhören. Wir sind nicht Afrika. Wir wollen keine
       Aufstände in unserem Land."
       
       Dass so viele Ägypter in Scharm al-Scheich Mubarak-freundlich eingestellt
       sind, überrascht auch die Britin Corri, 43, die seit fünf Jahren hier als
       Tauchlehrerin arbeitet. Nur zwei der rund 30 Mitarbeiter des Tauchcenterc,
       zu dem auch ein Hotel gehört, seien regierungskritisch. "Wie wichtig mehr
       Redefreiheit hier wäre, merkt man doch daran, dass all die Jahre nie offen
       über die Regierung geredet wurde, und jetzt diskutieren alle darüber."
       
       Sie und ihr Kollege Kevin, 47, sind um acht Uhr abends die einzigen Gäste
       in dem Restaurant. Nach wie vor bekomme sie aber noch Buchungen für
       Februar, allerdings nur von Briten und Russen. Kevin erklärt das so: "Wir
       Briten haben Irland. Wir kennen terroristische Anschläge und Aufstände. Das
       lässt uns kalt."
       
       Eine viel schlimmere Krise habe den Tourismus zuvor heimgesucht: Vor zwei
       Monaten hat es fünf Haiangriffe an der Küste gegeben, einer davon war
       tödlich. "Das war ein viel schlimmeres Imageproblem für Scharm al-Scheich.
       Das wurde hoch und runter geschrieben in der britischen Presse und hat
       einen enormen Einbruch im Tourismus zur Folge gehabt." Insofern hat die
       angespannte Sicherheitslage durch die Proteste zumindest für diesen Sektor
       sein Gutes: Von Haien redet hier niemand mehr.
       
       3 Feb 2011
       
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