# taz.de -- Revolution in Ägypten: Islamisten wollen mit Regierung reden
       
       > Die Muslimbruderschaft will über Krisenlösungen verhandeln. Der Präsident
       > Israels warnt vor einer Machtübernahme der Religiösen, und al-Baradei
       > befürchtet neue Gewalt, sollte Mubarak bleiben.
       
 (IMG) Bild: "Halt's Maul" steht auf dem Zettel, den sich am Samstag ein Anti-Mubarak-Demonstrant auf dem Tahrir-Platz über den Mund geklebt hat.
       
       KAIRO/JERUSALEM/NEW YORK dapd/afp/rtr | Die Muslimbruderschaft hat am
       Sonntag Gespräche mit der ägyptischen Regierung über eine Lösung der
       politischen Krise im Land angekündigt. Vertreter der bisher offiziell
       verbotenen Organisation wollten sich noch im Laufe des Tages mit
       Vizepräsident Omar Suleiman treffen, um über "legitime und gerechte
       Forderungen" zu verhandeln, hieß es am Morgen in einer Mitteilung.
       
       Wie auch die Demonstranten in der Innenstadt von Kairo bestehe die
       Muslimbruderschaft auf einen sofortigen Rücktritt von Präsident Husni
       Mubarak, sagte ein Sprecher der Organisation, Mohammed Mursi. Die
       islamistische Gruppe gilt als stärkste Oppositionskraft im Land. Treibende
       Kräfte hinter den anhaltenden Protesten waren hingegen eher weltlich
       orientierte junge Leute.
       
       Auch am Sonntag vormittag gingen die Proteste auf Kairos zentralen
       Tahrir-Platz in Kairo weiter. Rund 6.000 Demonstranten versammelten sich,
       um den Rücktritt von Präsident Husni Mubarak und seiner Regierung zu
       fordern. Koptische Christen wollten dort einen Gottesdienst feiern. Die
       Kopten sind in der Frage, ob man gemeinsam mit den Muslimbrüdern eine
       Allianz gegen das korrupte alte System bilden sollte, gespalten. Das
       geistliche Oberhaupt der Kopten, Papst Schenuda III., hatte Mubarak am
       Samstagabend den Rücken gestärkt.
       
       Am Tag zuvor hatte die Muslimbruderschaft einen Neubeginn in Ägypten unter
       Einbeziehung aller Oppositionsgruppen gefordert. Seine Gruppierung trete
       für eine Übergangsregierung "sämtlicher Oppositionsgruppen", Neuwahlen und
       die Freilassung aller politischen Gefangenen ein, sagte der
       stellvertretende Führer der Bruderschaft in Ägypten, Raschad al-Bajumi, dem
       Magazin Der Spiegel.
       
       Israels Präsident Schimon Peres hat dagegen vor einer Machtübernahme der
       Muslimbruderschaft in Ägypten gewarnt. Die fundamentalistische Gruppe würde
       nicht zum Frieden beitragen, sagte er am Samstag in Jerusalem zu
       Mitgliedern des Europäischen Parlaments. Gleichzeitig würdigte er den
       ägyptischen Staatschef Husni Mubarak für dessen Beitrag zum Frieden
       zwischen den beiden Ländern. Mubarak habe sowohl arabische als auch
       israelische Leben gerettet, indem er einen Krieg im Nahen Osten verhindert
       habe, beotnte Peres.
       
       Mubarak hat sich während der 30 Jahre, die er Ägypten regiert, konsequent
       an das 1979 geschlossene Friedensabkommen mit Israel gehalten. Der
       israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu hat erklärt, er erwarte
       von jeder Regierung, die in Ägypten entstehen könnte, dass sie sich an das
       Friedensabkommen halte.
       
       Unter dem Druck der Oppositionsproteste ist das Exekutivkomitee der
       Regierungspartei von Präsident Husni Mubarak zurückgetreten. Nach Angaben
       des Staatsfernsehens ernannte Mubarak am Samstag Hossam Badrawi zum neuen
       Generalsekretär der Nationaldemokratischen Partei, blieb aber selbst als
       Parteichef im Amt. Das Staatsfernsehen widersprach dem Gerücht, der
       Staatschef habe den Parteivorsitz abgegeben. Badrawi, der für seine guten
       Beziehungen zur ägyptischen Opposition bekannt ist, löst den bisherigen
       Generalsekretär Safuat el Scherif ab. Zugleich ersetzt er demnach Mubaraks
       Sohn Gamal, der ebenfalls zurücktrat, als Vorsitzender des politischen
       Komitees der Partei. Gamal wurde bislang als Nachfolger seines 82-jährigen
       Vaters gehandelt.
       
       Der ägyptische Oppositionelle Mohamed al-Baradei hat vor der Bildung einer
       Übergangsregierung unter der Führung von Präsident Husni Mubarak oder
       Vize-Präsident Omar Suleiman gewarnt. Er befürchte, dass friedliche
       Proteste dann in Gewalt umschlagen könnten, sagte der
       Friedensnobelpreisträger. Zu Berichten, die USA könnten eine solche
       Übergangsregierung unterstützen, sagte ElBaradei: "Wenn das wahr ist, dann
       wäre das ein großer Rückschlag, das kann ich ihnen sagen." Der Exchef der
       UN-Atombehörde IAEA ist einer der Wortführer der Opposition.
       
       "Zu hören, dass Mubarak bleiben und dass der Prozess des Wandels im
       Wesentlichen von seinem engsten militärischen Berater angeführt werden
       soll, ohne dass die Zivilisten an der Macht beteiligt werden, ist sehr,
       sehr enttäuschend", ergänzte al-Baradei. Er gehe nicht davon aus, dass die
       seit beinahe zwei Wochen anhaltenden Proteste abflauen würden. Allerdings
       sei zu befürchten, dass es zu weiteren Gewalteskalationen kommen könnte. Es
       gebe Demonstranten, die seien fest entschlossen, ihre Proteste
       fortzusetzen, bis Mubarak aus dem Amt gejagt sei. Vermutlich werde es
       künftig nicht mehr täglich zu Demonstrationen kommen, aber möglicherweise
       jeden zweiten Tag. "Der Unterschied ist, dass die Proteste dann wütender
       und bösartiger werden", sagte ElBaradei. "Und ich möchte nicht, dass eine
       schöne, friedliche Revolution in eine blutige Revolution umschlägt."
       
       Den USA warf al-Baradei vor, angesichts der Entwicklungen in Ägypten keine
       klare Linie zu verfolgen. Dies sei für die nach Freiheit strebenden Ägypter
       und für ihn persönlich sehr enttäuschend.
       
       Die USA und Europa haben zuletzt Abstand von einer schnellen Ablösung
       Mubaraks genommen. US-Außenministerin Hillary Clinton und Bundeskanzlerin
       Angela Merkel warnten am Samstag bei der Münchener Sicherheitskonferenz vor
       einem überstürzten Vorgehen. Die Vorbereitung einer Wahl und die
       Entwicklung neuer Strukturen brauche Zeit, sagte Merkel. Die USA setzen für
       die geplante Übergangsphase zunehmend auf Suleiman und haben die Rolle
       Mubaraks in der Übergangsphase als entscheidend bezeichnet.
       
       al-Baradei hält sich selbst eine Kandidatur für das ägyptische
       Präsidentenamt offen. Einen politischen Wandel in seinem Heimatland könne
       es nur ohne Mubarak geben, betonte al-Baradei. Vor der Präsidentenwahl im
       September müsse eine Übergangsregierung ohne die Repräsentanten der alten
       Führung gebildet werden. "Ich könnte mir ein Gremium aus drei Präsidenten
       vorstellen", erklärte er. Mindestens einer von ihnen könnte aus dem Militär
       kommen.
       
       Westerwelle sichert Ägypten Unterstützung zu
       
       Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP) hat Ägypten Unterstützung auf
       dem Weg in eine richtige Demokratie zugesichert. Westerwelle sagte am
       Sonntag auf der Münchner Sicherheitskonferenz, die Europäische Union müsse
       auch über neue Partnerschaften in der Region entscheiden. Wenn man jetzt
       klug handele, dann werde man in den nächsten Jahren nicht einen "Kampf der
       Kulturen", sondern eine "Globalisierung von Werten" erleben.
       
       Westerwelle bezeichnete die Ereignisse im Nahen und Mittleren Osten als
       "atemberaubend". Es sei klar, dass man dabei "an der Seite der Demokraten"
       stehe. Es dürfe aber nicht der Eindruck entstehen, dass es sich um eine
       Sache des Westens oder anderer ausländischer Staaten handele. Vielmehr habe
       man es mit einer Angelegenheit des ägyptischen Volkes zu tun.
       
       6 Feb 2011
       
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