# taz.de -- Dossier Arabische Revolution: "Scharia meint nicht Hände abhacken"
       
       > Wir sind gegen einen religiösen Staat, sagt Abdel Monem Abou el-Fetouh
       > von den Muslimbrüdern. Aber die Scharia soll die wichtigste Quelle des
       > Rechts bleiben.
       
 (IMG) Bild: "Wir Muslimbrüder sind nur eine Gruppe von Ägyptern. Es geht nicht darum, was wir wollen, sondern was die Mehrheit der Ägypter will", sagt Abdel Monem Abou el-Fetouh.
       
       taz: Herr Abou el-Fetouh, haben Sie sich an den Protesten beteiligt? 
       
       Abdel Monem Abou el-Fetouh: Natürlich. Diese Revolution ist die aller
       Ägypterinnen und Ägypter, besonders der jungen.
       
       Waren Sie von Anfang an dabei? 
       
       Unsere jüngeren Brüder und Schwestern waren von Anfang an dabei. Wir Führer
       haben uns, wie die Führer anderer Organisationen, erst später
       angeschlossen.
       
       ...und mit Linken, Liberalen und Christen demonstriert. 
       
       Wir Muslimbrüder arbeiten seit den Siebzigern mit verschiedenen politischen
       Strömungen zusammen. Denn alle Ägypter leiden an den gleichen Problemen:
       Korruption und Unterdrückung. Und wir alle haben das gleiche Verlangen nach
       Frieden, Gerechtigkeit und Fortschritt.
       
       Meinen Sie damit das Gleiche wie die Linken und Liberalen? 
       
       Wir Muslimbrüder sind für einen demokratischen, gemäßigten und unabhängigen
       Staat, der die Einheit aller Ägypter berücksichtigt.
       
       Welche Rolle soll die Religion in diesem Staat spielen? 
       
       Wir sind gegen einen religiösen Staat. Aber auch ein ziviler Staat sollte
       die Geografie und die Geschichte dieses Landes respektieren. Die Ägypter
       sind seit 7.000 Jahren sehr religiöse Menschen. Alle Ägypter, ob Kopten
       oder Muslime, haben die Religion in ihren Zellen. Auch die Türkei ist ein
       ziviler Staat, und die AKP ist eine zivile Partei. Aber sie respektiert die
       religiösen Werte aller.
       
       Dort gibt es aber keine Bestimmung wie Artikel 2 der ägyptischen
       Verfassung, der die Scharia als wichtigste Quelle des Rechts definiert.
       Wollen Sie diesen Artikel ändern? 
       
       Das Schlimme an der ägyptischen Verfassung ist das Fehlen von Demokratie,
       Freiheit und Gerechtigkeit. Sie gibt dem Präsidenten zu viel Macht. Da
       wollen wir vieles ändern. Der Rest der Verfassung aber ist sehr gut, und
       wir akzeptieren sie.
       
       Es bleibt also bei der Scharia? 
       
       Scharia meint nicht: Hände abhacken. Sie in Europa sollten Ihre Vorstellung
       von der Scharia an den gemäßigten Muslimen ausrichten, nicht an den
       Extremisten. Denn im Verständnis der Muslimbruderschaft meint Scharia
       Freiheit, Gerechtigkeit und Entwicklung, wie es unser Prophet Mohammed
       gepredigt hat. Ja, es sind in der Scharia auch Strafen vorgesehen. Aber das
       Strafrecht sollte vom Parlament beschlossen und von der Mehrheit der
       Bevölkerung akzeptiert werden.
       
       Sollten Alkohol oder Sex zwischen unverheirateten Menschen erlaubt sein? 
       
       Kein Gesetz sollte die individuelle Freiheit eines ägyptischen
       Staatsbürgers - ob Mann oder Frau - einschränken. Wenn jemand Alkohol
       trinken will, ist das seine Sache. In Saudi-Arabien ist es Frauen
       untersagt, das Haus allein zu verlassen. In Frankreich es ist ihnen
       verboten, ein Kopftuch zu tragen. Beides ist nicht richtig, beides verstößt
       gegen ihre Freiheiten. Und es ist etwas anderes, ob man Frauen dazu rät,
       ein Kopftuch zu tragen, oder ob man sie dazu zwingt.
       
       Welche Außenpolitik soll Ägypten in Zukunft verfolgen, zum Beispiel im
       Hinblick auf Israel? 
       
       Wir sollten - auf Grundlage unserer eigenen Interessen - gute Beziehungen
       mit der internationalen Gemeinschaft pflegen. Bei internationalen
       Beziehungen ist Einvernehmen anzustreben. Und der Islam wie das
       internationale Recht sehen vor, dass Abkommen respektiert werden. Aber
       Abkommen können verändert oder gekündigt werden. Darüber muss jedoch ein
       frei gewähltes Parlamente entscheiden.
       
       Welche Abkommen wollen Sie ändern? Den Friedensvertrag mit Israel von 1978? 
       
       Wir Muslimbrüder sind nur eine Gruppe von Ägyptern. Es geht nicht darum,
       was wir wollen, sondern was die Mehrheit der Ägypter will. Wir müssen
       akzeptieren, was diese Mehrheit fordert oder ablehnt, auch wenn dies
       unseren Ideen widerspricht.
       
       Und welche sind nun Ihre außenpolitischen Ideen? 
       
       Wir brauchen eine unabhängige Außenpolitik, die unseren Interessen
       entspricht, nicht dem Interesse Amerikas oder anderen.
       
       16 Feb 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Deniz Yücel
       
       ## TAGS
       
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