# taz.de -- Dossier Arabische Revolution: Fragen von heute und von morgen
       
       > Alle wollen eine neue Verfassung. Aber wie soll diese aussehen? Warum
       > Ägypten eine Volksversammlung braucht, die alle Kräfte im Land einbindet.
       
 (IMG) Bild: Nicht nur die Zäune auf dem Tahrir-Platz brauchen einen frischen Anstrich, auch die Verfassung muss erneuert werden.
       
       So etwas wie die Revolution in Ägypten (und zuvor in Tunesien) hat es
       bislang nicht gegeben. Vernetzt über das Internet, aber ohne politische
       Führung haben es die Ägypterinnen und Ägypter geschafft, mit friedlichen
       Mitteln und einem hohen Maß an Einigkeit einen solchen Despoten wie Husni
       Mubarak zu stürzen.
       
       Aber ist es wirklich schon eine Revolution? Der Definition nach natürlich
       nicht. Die Forderungen des Aufstands sind noch nicht erfüllt, die
       gesellschaftlichen Strukturen haben sich noch nicht verändert. Aber wir
       genießen gern die Kraft dieses Wortes: Revolution. Und wir brauchen dieses
       Wort, damit die Leute spüren, welch großen Schritt sie bereits gegangen
       sind, aber auch, damit sie wissen, was alles noch vor ihnen liegt.
       
       Die lange Zeit der Unterdrückung und die Brutalität des Polizeiapparats
       haben zu einer großen Einigkeit zwischen den verschiedenen politischen und
       ideologischen Strömungen und quer durch alle gesellschaftlichen Klassen,
       Milieus und Altersgruppen. Alle wollen die Diktatur überwinden; alle
       sprechen von einem zivilen Staat und meinen nicht nur einen
       nicht-militaristischen, sondern auch einen nicht-religiösen Staat. Selbst
       die Muslimbrüder, die sich erst später der Revolution anschlossen und nur
       ein kleiner Teil von ihr waren, teilen im Moment diese Forderung.
       
       Aber sobald die Debatte über die neue Verfassung beginnt, wird es mit
       dieser Einigkeit vorbei sein. Denn der Teufel steckt im Detail: Was wird
       zum Beispiel aus dem 1971 eingeführten Artikel Zwei der Verfassung, der
       besagt, dass Ägypten ein islamischer Staat und die Hauptquelle der
       Gesetzgebung die Scharia ist?
       
       Der zweite Punkt: Im Moment stimmen aller darin überein, dass sie soziale
       Gerechtigkeit wollen. Aber sobald wir darüber diskutieren, wie dieses Ziel
       in konkrete Politik umgesetzt werden kann, werden wir die Differenzen
       merken. Denn natürlich gibt es auch bei uns Kräfte, die das Land mit einer
       neoliberalen Politik voranbringen wollen. Wir hingegen sind für
       Mindestlöhne und wollen, dass Güter wie Bildung, Gesundheitsversorgung,
       Transportmittel usw. für die Masse erschwinglich bleiben.
       
       All das sind wichtige Fragen. Aber es sind dies die Fragen von morgen.
       
       Die von heute ist eine andere: Schon in den ersten Tagen wurde klar, was
       die größte Schwäche dieses Aufstands ist: das Fehlen einer richtige
       Führung. Dass ermöglicht es opportunistischen Kräften, auf der hohen Welle
       zu reiten. Tatsächlich hat das Regime ja versucht, irgendwelche politische
       Kräfte aufzutreiben, um mit ihnen zu verhandeln und so Mubaraks Kopf zu
       retten. Und es haben sich welche angeboten, obwohl immer klar war, dass die
       Masse jegliche Verhandlungen mit dem Regime ablehnt.
       
       Deswegen lautet mein Vorschlag, den auch andere - keineswegs nur linke -
       richtige Oppositionelle teilen: Die künftigen Verhandlungen sollten über
       eine Mandatierung erfolgen. Das heißt, unsere Aufgabe ist es, eine Art
       Volksversammlung einzuberufen, die die jungen Cyberspace-Aktivisten von
       heute ebenso einschließt wie jene, die in den letzten 30, 40 Jahren
       richtige Opposition gemacht haben. Damit sie von den Massen akzeptiert
       wird, müsste diese Versammlung müsste alle Kräfte einschließen. Dann wäre
       sie auch dazu legitimiert, Einzelne zu beauftragen und zu sagen: Du gehst
       in unserem Namen in diese Verhandlungen und setzt die folgende Punkte
       durch. Ob diese Aufgabe der oder die übernimmt, ob das zwei oder zehn oder
       zwanzig Leute machen, spielt dann keine Rolle.
       
       Aus vielen Diskussionen mit den jungen Aktivisten weiß ich, dass es bei
       sehr vielen von ihnen ein Bedarf nach einer Organisation gibt. Sie wissen:
       Die Revolution kann nicht nur Software bleiben, sie muss auch die Hardware
       erreichen. Natürlich wird es eine Organisation in der Form, wie wir sie in
       den Siebzigerjahren hatten, nicht geben. Aber eine neue, eine andere Form -
       weder eine Organisation, die militärisch geführt wird und den Einzelnen
       knebelt, noch der lose Austausch über das Internet. Etwas dazwischen. Und
       dafür brauchen die Jungen uns, also die mit den weißen Haaren, genauso wie
       wir sie brauchen.
       
       18 Feb 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Mamdouh Habashi
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Ägypten
       
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