# taz.de -- Debatte Guttenberg und Populismus: Ein Held wie wir
       
       > Die Plagiatsaffäre hat Guttenbergs Popularität kaum geschadet. Obwohl der
       > Minister nur seine eigenen Interessen vertritt, geriert er sich als Held
       > im Auftrag des Volkes.
       
 (IMG) Bild: Auch Helden sahen mal frischer aus: Guttenberg im Jahr 2009.
       
       Karl-Theodor zu Guttenberg ist ein Held. Nicht weil er den Inhalt seiner
       Dissertation zusammenkopiert hat und dreist behauptet, er habe sie "in
       mühevoller Kleinstarbeit" selbst geschrieben. Auch nicht weil sich der
       Minister bei seiner Verteidigung gegen die Plagiatsvorwürfe binnen einer
       Woche dreimal widersprochen hat. Sondern weil der Minister laut Umfragen
       nun noch beliebter ist als vor der Affäre.
       
       Helden existieren nicht aus eigenem Recht. Es gibt sie, weil Menschen an
       sie glauben. Heroen sind Projektionen menschlicher Sehnsüchte, und
       Guttenberg bedient diese perfekt. Ein Held wie er stürzt nicht durch
       Rücktrittsforderungen oder universitäre Prüfaufträge. Sondern wenn seine
       Anhänger ihm die Zuneigung entziehen. Guttenberg ist noch nicht am Ende.
       
       Guttenberg entspricht in den Augen vieler Bürger einem klassischen Heros.
       Er ist von edler Herkunft, sein Auftreten und Selbstverständnis
       unterstreichen seine Besonderheit. Helden verkörpern, was eine Gesellschaft
       für erstrebenswert erachtet: Stärke oder Klugheit, Aufopferungswillen oder
       Geduld. 73 Prozent der Deutschen sind mit der politischen Arbeit des
       CSU-Politikers zufrieden, zu Monatsbeginn waren es nur 68 Prozent,
       ermittelte Infratest dimap zur Wochenmitte.
       
       Offenkundig halten es also fast drei Viertel der Befragten nicht für
       ächtenswert, das geistige Eigentum anderer als eigene Leistung auszugeben
       und die Öffentlichkeit zu belügen, wenn die Wahrheit bekannt wird. Das sagt
       viel über Guttenberg und das Niveau der politischen Debatte. Aber es sagt
       mindestens ebenso viel über die Moralvorstellungen breiter
       Bevölkerungsschichten. Jede Gesellschaft hat die Helden, die sie verdient.
       
       ## Maulheldenverehrung
       
       Griechische Heroen waren keine fehlerlosen Vorbilder, sondern
       überlebensgroße Projektionen jener Menschen, die diese verehrten. Das
       bedeutet: Wer einen Helden verehrt, ehrt auch sich selbst. Darum geht es
       auch bei Guttenberg. Der Held darf nicht fallen, denn das würde eine
       Kränkung des Verehrenden bedeuten. So wie sich Menschen gern etwas
       verzeihen, was sie ihren Mitbürgern vorwerfen, sehen sie ihrem Heroen nur
       zu gern Fehlverhalten nach: Er ist ja auch nur ein Mensch.
       
       Zur klassischen Definition eines Helden gehört zudem, dass dieser im Dienst
       gesellschaftlicher Werte Großes leistet. Beide Aspekte, Menschlichkeit und
       Übermenschlichkeit, nutzt Guttenberg perfekt zur Selbstinszenierung. Im
       Bundestag erklärte er am Donnerstag: "Ich habe fehlerhaft gehandelt. Ich
       habe mir nicht den Anspruch gesetzt, […] arrogant dieser Tätigkeit
       nachzugehen, nein, sondern mit der notwendigen Verantwortung die Aufgaben
       anzunehmen, die im Amtsspektrum des Bundesverteidigungsministers zu sehen
       sind. Das sind gewaltige Aufgaben."
       
       Alles ist da: Demut, Entschlossenheit, der große Dienst an der
       Gemeinschaft. In diesem Fall müssen Bundeswehrreform und Afghanistaneinsatz
       dafür herhalten. Daraus folgt: Wer den Helden bei seiner Arbeit stört, der
       ist der wahre Schuldige, denn er verhindert das Erreichen gesellschaftlich
       erstrebenswerter Ziele. So versucht der Minister geschickt, die Rollen in
       dieser Erzählung zu vertauschen. Nicht er, der Trickser und Täuscher, ist
       der Schurke. Seine Kritiker sind es, die ihn durch Gerede über "inkorrektes
       Setzen und Zitieren" oder das Weglassen von Fußnoten von seinem Heilswerk
       abhalten.
       
       ## Inszenierung der Reue
       
       Es ist perfide, wie sich Guttenberg als reumütiges Opfer und zugleich als
       gnädiger Richter seiner selbst aufspielt. Erschütternd aber ist, wie viele
       Menschen ihm dieses Schmierentheater durchgehen lassen. Darin zeigt sich
       auch ein weit verbreiteter Antiintellektualismus. Er folgt der Logik: Was
       scheren uns ein paar Fußnoten, wenn in Afghanistan deutsche Soldaten
       sterben? Auch diesen Mechanismus nutzt Guttenberg brillant.
       
       Vor einer Woche erklärte er: "Die Menschen in diesem Land erwarten", dass
       er sich ums "fordernde" Ministeramt kümmere. "Und ich trage die
       Verantwortung für die Soldaten im Einsatz, wie ein Ereignis an dem heutigen
       Tag einmal mehr auf bittere Weise zeigt." Damit instrumentalisierte
       Guttenberg einen Angriff auf ein Außenlager in Afghanistan, bei dem drei
       Soldaten starben.
       
       Als Guttenberg diese Worte sprach, hatte die Bundeswehr die Attacke noch
       gar nicht bestätigt. Guttenberg spielte Menschenleben gegen Fußnoten aus,
       anderer Leute Leid gegen sein persönliches Fehlverhalten. Doch statt ihm
       dies zum Vorwurf zu machen, scheinen sich viele Bürger und manche Medien
       noch stärker mit ihm verbunden zu fühlen.
       
       ## Opportunismus der Medien
       
       Spiegel, Stern und Bild haben Guttenberg hochgeschrieben. Sie haben auf
       Auflage gesetzt statt auf Aufklärung. Bei der Bild-Zeitung ist das nicht
       verwunderlich: Der Boulevard hat bekanntlich kein Gedächtnis. Seine
       gespielte Empörung und Begeisterung sind stets aufs Neue frisch. Zudem sind
       die Bindungen von Guttenberg an den Springer Verlag seit Jahren eng.
       Spiegel und Stern allerdings sollten höhere Ansprüche an ihre
       Berichterstattung richten. Mit ihrem abrupten Stimmungswechsel in der Causa
       Guttenberg tragen sie zum verbreiteten Überdruss an "der Presse" bei. Viele
       Bürger verachten die Medien, die sie jeden Tag konsumieren: Diese schrieben
       doch eh, was sie wollen, und nicht, was die Leute fühlen. Den
       Antiintellektualismus, von dem derzeit Guttenberg profitiert, haben viele
       Medien durch ihr windelweiches Verhalten noch genährt.
       
       Deshalb kann nur etwas, was die Gemüter der Verehrenden erregt, an
       Guttenbergs Heldenstatus rütteln: etwas aus ihrer Alltagswelt, dessen
       Verwerflichkeit sofort einleuchtet. Selbst die Nachricht, der CSU-Mann habe
       einen Ghostwriter beschäftigt, würde vielleicht nicht zu seinem Sturz
       führen. Bekanntlich können ja selbst deutsche Multimillionäre ihren
       Wohnsitz steuersparend in die Schweiz oder nach Monaco verlagern, ohne an
       öffentlichem Ansehen einzubüßen.
       
       Die wahre Heldenaufgabe besteht aber darin, dass jene, die ihn anhimmeln,
       die Furcht vor dem Fall ihres Heroen verlieren. Und einsehen, dass
       Guttenberg in der Plagiatsaffäre nicht die Interessen von Soldaten oder
       Durchschnittsbürgern, sondern allein seine eigenen vertritt.
       
       27 Feb 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Matthias Lohre
       
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