# taz.de -- Protestaufruf in China: Hundertschaften gegen Spaziergänger
       
       > Auch die Staatsmacht liest das Internet: Chinas Regierung geht mit einem
       > Großaufgebot der Polizei gegen potenzielle Demonstranten vor. Und
       > verhaftet zeitweise Journalisten.
       
 (IMG) Bild: Arrest statt Protest: Ein Mann wird von zwei Polizisten in Shanghai verhaftet. Per Internet war in 23 Städten zum friedlichen Protest aufgerufen worden.
       
       PEKING taz | So sauber war die Wangfujing-Straße im Zentrum Pekings schon
       lange nicht: Mit Reinigungswagen, die immer wieder Wasser auf der populären
       Fußgängerzone versprühten, versuchten Pekings Sicherheitskräfte gestern
       eine Gefahr zu bannen, von der niemand wusste, ob sie überhaupt drohte.
       
       Zum zweiten Mal hatten Unbekannte im Internet zu "Spaziergängen"
       aufgerufen. Die Teilnehmer sollten sich "lächelnd und plaudernd" an einem
       bestimmten Platz ihrer Stadt einfinden, hieß es in dem Appell, der über die
       chinesischsprachige Webseite "boxun.com" verbreitet wurde. "Boxun.com" wird
       von chinesischen Regierungskritikern in den USA betrieben.
       
       Die Organisatoren nannten die "Montagsspaziergänge" in der DDR vor dem
       Mauerfall 1989 als Beispiel zivilen und friedlichen Ungehorsams. Angeregt
       wurden sie durch die Revolutionen in Nordafrika. Ihr Ziel seien
       demokratische Reformen, Freiheit und Gerechtigkeit, hieß es.
       
       Aber auch die Staatsmacht liest das Internet - und war mit einem
       Großaufgebot erschienen: Hunderte Polizisten in Uniform und Zivil
       kontrollierten Sonntag am frühen Nachmittag ausländische Journalisten und
       riegelten zeitweise die Straße ab. Später stieß eine Truppe der
       "Bewaffneten Polizei", einer Spezialeinheit der Armee, dazu. Mehrere
       Korrespondenten - auch Teams der deutschen Fernsehsender ARD und ZDF -
       wurden stundenlang festgenommen. Zivilpolizisten schubsten andere
       Berichterstatter grob beiseite, ein Kameramann wurde ins Gesicht
       geschlagen. Das McDonalds-Restaurant in der Wangfujing-Straße war kurz vor
       14 Uhr nicht nur mit normalen Kunden gefüllt, sondern vor allem mit
       Zivilpolizisten, die ihre Umgebung fotografierten und filmten.
       
       Es war nicht klar, wie viele Chinesen dem Aufruf folgten, der für 23 Städte
       Chinas galt. "Warum dürfen wir hier nicht durch?", fragten verwirrte
       Passanten die Polizisten, die ihnen den Weg in die Einkaufsmeile
       versperrten. Antwort: "Sind Sie ein gewöhnlicher Bürger?"
       
       Eines war allerdings unverkennbar: Die Angst der Regierung, aus den
       "Spaziergängen" könnte sich eine echte Protestbewegung entwickeln, ist
       gewaltig. Das bekamen die in Peking akkreditierten ausländischen
       Journalisten bereits am vergangenen Freitag zu spüren, als sie von der
       Polizei angerufen und auf die Wache einbestellt wurden. "Wir erinnern Sie
       daran, dass Sie sich an die Regeln halten müssen", lautete der Tenor der
       Ermahnungen. In einigen Fällen wurden die Polizisten konkreter:
       "Genehmigungen für Interviews auf der Wangfujing-Straße müssen von nun an
       extra beantragt werden."
       
       Nach Informationen von Menschenrechtlern sind in den letzten Tagen Dutzende
       Regierungskritiker festgenommen, verschleppt, unter Hausarrest gestellt
       worden. Einigen wird vorgeworfen, "zum Umsturz der Staatsgewalt"
       angestiftet zu haben, weil sie die Spaziergangs-Aufrufe auf Mikroblogs oder
       per Twitter weitergeleitet hatten. Ihnen drohen lange Haftstrafen.
       
       Die Aufrufe zu den "Jasmin"-Protesten nach arabischem Vorbild kommen zu
       einer Zeit, in der das politische Klima in China deutlich frostiger ist als
       früher. Am kommenden Samstag beginnt in Peking die jährliche Sitzung des
       Nationalen Volkskongresses, Chinas Pseudoparlament. Obwohl die Wirtschaft
       weiter rapide um rund 10 Prozent wächst, herrscht vielerorts großer Unmut
       über soziale Ungerechtigkeit und Korruption.
       
       Staats- und Parteichef Hu Jintao und der für Polizei und Geheimdienste
       zuständige KP-Funktionär Zhou Yongkang haben deutlich gemacht, dass sie
       dafür sorgen wollen, die "Stabilität" zu bewahren und die "Kontrolle der
       Gesellschaft" zu verbessern - Codeworte für die Unterdrückung jeder
       Protestaktion.
       
       27 Feb 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Jutta Lietsch
       
       ## TAGS
       
 (DIR) taz.lab 2011 „Die Revolution haben wir uns anders vorgestellt“
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