# taz.de -- Volkskongress in China: Mühsam abgestimmter Konsens
       
       > Jedes Jahr inszeniert die KP in Peking den Volkskongress. Und jedes Jahr
       > gibt es leere Versprechungen. Diesmal ging der Show eine lange Debatte in
       > der Partei voraus.
       
 (IMG) Bild: Jipiieh! Wer würde bei dieser Inszenierung nicht an Wohlstand glauben?
       
       PEKING taz | Rote Fahnen, hübsche Hostessen, kostümierte ethnische
       Minderheiten und Jasmin-Tee aus hellgrünen Thermoskannen – mit der immer
       gleichen Inszenierung des Nationalen Volkskongresses in Peking versucht
       Chinas KP-Führung derzeit ihren 1,34 Milliarden Bürgern das Gefühl zu
       vermitteln, dass sie das Land wie eh und je im Griff hat.
       
       Zum Auftakt des jährlichen Polittreffens tritt Premierminister Wen Jiabao
       am vergangenen Samstag vor die knapp 3.000 Delegierten in der Großen Halle
       des Volkes von Peking. Wie stets in den acht Jahren seiner Amtszeit macht
       der 68-Jährige erst einen tiefen Diener und schreitet dann ans Pult mit dem
       rosafarbenen Liliengesteck. Über zwei Stunden lang liest er seine Rede Wort
       für Wort vor. Es ist Rechenschaftsbericht und Zukunftsversprechen der
       Regierung zugleich, die das Fernsehen in alle Ecken der Volksrepublik
       ausstrahlt.
       
       Die zentrale Botschaft: Am bisherigen Kurs des "Sozialismus chinesischer
       Prägung" wird nicht gerüttelt. Auch künftig will die KP dafür sorgen, dass
       sich Wirtschaft, Gesellschaft und Armee weiter modernisieren. Mehr
       politische Freiheit steht nicht auf dem Programm.
       
       Das Wirtschaftswachstum von 10,3 Prozent des vergangenen Jahres soll 2011
       auf acht Prozent zurückgeschraubt werden, die Preise dürfen höchstens um
       vier Prozent steigen, die Umwelt muss stärker geschont werden. "Wir müssen
       die Verbesserung der Lebensumstände zu einem Dreh- und Angelpunkt machen,
       der Reform, Entwicklung und Stabilität verbindet", sagt Wen. "Wir müssen
       sicherstellen, dass die Menschen mit ihrem Leben und ihrer Arbeit zufrieden
       sind, in der Gesellschaft Ruhe und Ordnung herrschen und das Land sich auf
       Dauer des Friedens und der Stabilität erfreut."
       
       Die Regierung sei sich "völlig im Klaren" über die großen Probleme, vor
       denen China stehe, räumt der Premierminister ein. Als Beispiele nennt er
       etwa den ungleich verteilten Zugang zur Bildung und medizinischen
       Versorgung, die Angst vor der Inflation, den Zorn in der Bevölkerung über
       illegale Enteignungen von Land und Häusern, die weitverbreitete Korruption
       und die Verschwendung von Ressourcen.
       
       ## Monatelange Debatten über die Rede
       
       Dass der Premierminister sich strikt an die schriftliche Vorlage seiner
       Rede hält, hat einen guten Grund: Der Text ist das Ergebnis monatelanger
       Debatten innerhalb der Kommunistischen Partei, die über allen
       Regierungsbehörden steht und sich von Experten in Thinktanks,
       Staatsbetrieben und dem Militär beraten lässt. Es ist ein Dokument eines
       mühsam abgestimmten Konsenses zwischen den unterschiedlichsten
       Interessengruppen in der KP, dem Wen nun seine Stimme leiht.
       
       Schon jetzt scheint klar, dass die formulierten Ziele nicht erreicht werden
       können: Auch in den vergangenen Jahren beschwor der Premier vergeblich ein
       ausgewogeneres und langsameres Wirtschaftswachstum. Das dürfte in nächster
       Zukunft nicht anders werden, denn in den Provinzen setzen die örtlichen
       Regierungen vielerorts weiterhin auf zweistellige Zuwächse, planen
       gewaltige Infrastrukturprojekte und scheren sich wenig um die Vorgaben aus
       Peking.
       
       Längst vergangen sind die Zeiten, als illustre Modellbauern mit dem
       Handtuch um den Kopf als Stars gefeiert wurden. Heute rekrutieren sich die
       – von der Partei handverlesenen – Delegierten vor allem aus dem
       öffentlichen Dienst.
       
       Dazwischen sitzen mehr Milliardäre als im US-Kongress. Die 70 reichsten
       Volkskongress-Delegierten verfügen zusammen über ein Vermögen von
       umgerechnet mindestens 54 Milliarden Euro. So verbergen sich hinter dem
       gähnend langweiligen Zeremoniell des Volkskongresses, der auch den neuen
       5-Jahres-Plan bis 2015 absegnen soll, bemerkenswerte Entwicklungen –
       symptomatisch für das neue China, in dem der Wohlstand mittlerweile so
       ungleich verteilt ist wie nie zuvor.
       
       Wie die Pekinger Führung mit den Widersprüchen im Land fertig werden will,
       verrät der neue Haushalt: mit einem massiven Ausbau des
       Sicherheitsapparates. Für Polizei und Staatssicherheit soll in diesem Jahr
       erstmals mehr Geld als für das Militär ausgegeben werden.
       
       7 Mar 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Jutta Lietsch
       
       ## TAGS
       
 (DIR) taz.lab 2011 „Die Revolution haben wir uns anders vorgestellt“
       
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