# taz.de -- Volkszählung auf indisch: Ein Milliardenvolk wird digitalisiert
       
       > Am Montag endet die weltweit ambitionierteste Volkszählung. Die Daten
       > sollen bei der Korruptionsbekämpfung helfen. Kritik gibt es für die
       > Abfrage der Kastenzugehörigkeit.
       
 (IMG) Bild: Volkszählung in Ramsingh Chapor: Eine Zählerin registriert die Daten einer indischen Familie.
       
       DELHI taz | Am Montag müsste auch der letzte der schätzungsweise 1,2
       Milliarden Inder gezählt sein. Denn dann endet die wenn schon nicht größte
       (China), so doch wohl ehrgeizigste Volkszählung der Weltgeschichte. 2,7
       Millionen indische Lehrer und Beamte waren in den letzten drei Wochen von
       Haustür zu Haustür unterwegs, um das zweitgrößte Volk der Welt nicht nur zu
       zählen, sondern zu numerieren.
       
       Diesmal füllten Indiens Bürger nicht nur Bögen aus, sie gaben einen
       Fingerabdruck ab und ließen ihre Iris scannen. Damit die Nummer, die sie
       bekommen, unverwechselbar ist. "Einzigartiges Identifizierungsprojekt"
       (englisch UID: Unique Identification Project) nennt sich das
       Mammutvorhaben.
       
       Viele haben bis heute nicht verstanden, worum es geht. "Wir haben schon so
       viele staatliche Karten: eine Steuerkarte, eine Lebensmittelkarte, eine
       Armutskarte. Was wird uns da eine weitere UID-Karte helfen? Sie stiftet nur
       weitere Verwirrung", sagt Soziologieprofessor Vivek Kumar von der
       Jawaharlal-Nehru-Universität in Delhi.
       
       Kumar ist ein alter, kluger Mann. Aber Nandan Nilekani, 55, meint es besser
       zu wissen. Nilekani ist Milliardär, ehemals Gründer des Software-Riesen
       Infosys. Heute leitet er die Regierungsbehörde, die die Volkszählung
       überwacht. Nilekani hat sich das UID-Projekt ausgedacht. Er will alle
       anderen Karten abschaffen. Stattdessen soll jeder Inder, vom Premier bis
       zum Kastenlosen, nur noch eine elektronische UID-Karte besitzen.
       
       "Die UID-Nummer wird für alle von uns lebenswichtig sein. Mit ihr können
       wir in Zukunft ein Bankkonto eröffnen, eine neue Mobilnummer anmelden und
       sogar ein eigenes Unternehmen starten", sagt der indische Finanzminister
       Pranab Mukherjee.
       
       Bisher hat die Behörde Nilekanis erst zwei Millionen neue UID-Nummern
       vergeben. Aber mit dem Ergebnis der Volkszählung im Rücken, das in ein paar
       Monaten vorliegen wird, will Nilekani die Vergabe beschleunigen. "Wir
       werden unser Ziel, 600 Millionen UIDs bis 2014 zu vergeben, erreichen",
       verspricht er.
       
       Wichtiges politisches Ziel der Volksdigitalisierung ist die
       Korruptionsbekämpfung. Viele arme Inder klagen, dass die ihnen staatlich
       garantierten Leistungen nur zu geringen Teilen bei ihnen ankommen. Sie
       zeigen dann meist ihr Lebensmittelrationen-Heft, das beweisen soll, wie
       wenig Reis oder Weizen sie erhalten haben.
       
       Doch dieses Heft bekommen bisher nur sie und der wohlmöglich korrupte
       Lebensmittelauslieferer in die Hand. Künftig aber soll jedes staatlich
       vergebene Reispaket auf der UID-Karte des Empfängers vermerkt werden.
       
       Mit diesen Daten können dann höhere Regierungsstellen überprüfen, ob ihre
       Hilfe die Armen erreicht hat und gegebenenfalls Sanktionen ergreifen. Das
       gleiche Prinzip soll für die Krankenversorgung gelten.
       
       Falls es klappt, wäre das ein Riesenschritt. Experten glauben, dass über
       die Hälfte aller Sozialleistungen in Indien der Korruption zum Opfer
       fallen. Das Nilekani-Projekt hat deshalb kaum Kritiker, nur viele
       Skeptiker, die bezweifeln, ob es funktioniert.
       
       Stark in der Kritik steht hingegen ein weiterer Teil der Volkszählung, der
       im Sommer stattfindet: Dann werden die Zähler das erste Mal seit 1931 nach
       der Kastenzugehörigkeit fragen.
       
       Das war seit der Unabhängigkeit Indiens ein Tabu. Denn Indiens
       Gründungsväter wollten das Kastenwesen abschaffen. Doch hat sich das als
       Illusion erwiesen. Pragmatiker befürworten deshalb die Kastenbefragung, um
       Quotenprogramme besser planen zu können. Auch wollen einflussreiche
       Kastenparteien ihre Anhänger zählen lassen.
       
       Andere befürchten, dass die offizielle Befragung das Kastenbewusstsein
       stärken wird und an die Unterteilung der Gesellschaft in der Kolonialzeit
       erinnert. "Die Kastenzählung wird die Taten der Kolonialisten
       reproduzieren", schreibt das Magazin Tehelka.
       
       28 Feb 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Georg Blume
       
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