# taz.de -- Landtagswahl in Baden-Württemberg: Der Kampf um die Provinz
> Stuttgart 21, Mappus, Vetternwirtschaft: Baden-Württembergs Grüne kommen
> in Umfragen noch immer auf über 20 Prozent. Doch: Wie weit trägt die
> Euphorie?
(IMG) Bild: Nein zu Stuttgart 21. Nein zu Atomkraft. Reicht das für einen Auftrag zum Machtwechsel in Baden-Württemberg?
RAVENSBURG/STUTTGART taz | Eigentlich ist es egal, was sie sagt. Schon als
die grüne Lokalpolitikerin Muhterem Aras freudig "Hallo erst mal!" ins
Mikrofon ruft, jubeln die gut 30.000 Menschen los. Aras fasst das Mikrofon
fester und wird energischer. "Wir lassen nicht locker. Es geht um unseren
Bahnhof, unsere Stadt, unser Land", sagt sie. Dicht an dicht drängen sich
die Menschen vor dem Stuttgarter Bahnhof, halten ihre Protestplakate hoch
und pusten in ihre Vuvuzelas. Wenn die kleine Frau mit den schulterlangen
schwarzen Haaren vorn auf der Bühne gegen Stuttgart 21 wettert, geht ein
Brausen über den Platz.
Das konsequente Nein der Grünen gegen den geplanten Tiefbahnhof beschert
einer Lokalpolitikerin wie Aras im Wahlkampf eine Kulisse, von der selbst
Bundespolitiker oft nur träumen können. "Das sind Augenblicke, die einem
wirklich Mut und Kraft geben", sagt Aras.
Am 27. März will sie in den baden-württembergischen Landtag einziehen. In
Stuttgart hat sie gar gute Chancen, ein Direktmandat zu holen. Obwohl die
Grünen zuletzt in den Umfragen zurückfielen, hegen sie erstmals
realistische Hoffnungen auf einen Machtwechsel in Baden-Württemberg. Nach
knapp 60 Jahren Regierungszeit wollen sie die CDU auf die Oppositionsbank
schicken. "Was wäre das für eine Chance, jetzt im Land zu gestalten", sagt
Aras.
In der Landeshauptstadt gestaltet sie bereits. Seit den Kommunalwahlen vor
zwei Jahren stellen die Grünen im Stuttgarter Stadtrat mit 25,3 Prozent die
stärkste Fraktion. Die 44-jährige Aras ist Fraktionschefin. Schon damals
profitierten die Grünen bei der Wahl von ihrer Haltung zum
milliardenschweren Bahnhofsumbau. Seit dem vergangenen Sommer hat sich das
Ganze noch potenziert. Nicht zuletzt der "schwarze Donnerstag", als ein
Aufmarsch von Hundertschaften der Polizei mit Wasserwerfern und
Schlagstöcken im Schlossgarten die ganze Macht demonstrieren sollte.
"Allein für diesen 30. September hoffe ich innigst, dass die
Landesregierung ihren Denkzettel bekommt", sagt Aras. Die Menschen in
Stuttgart haben diesen Tag nicht vergessen. Noch immer gehen sie Woche für
Woche auf die Straße, um zu verhindern, dass Steuermilliarden verbuddelt
werden.
Aber wie weit trägt dieser Höhenflug? Stuttgart 21 hat zwar nicht nur
landesweit, sondern auch bundesweit für Furore gesorgt, doch genügt das, um
selbst die schwarzen Hochburgen Baden-Württembergs ins Wanken zu bringen?
Entscheidend ist, dass die Grünen auch in der Fläche punkten. Dass sie
Kleinstädte wie Bruchsal und Balingen erobern und Landkreise wie
Neckar-Odenwald, in denen die CDU traditionell um die 50 Prozent holt.
Gewinnen sie nicht die schwäbische Provinz, werden sie die Wahl verlieren.
Das ist der Kampf von Manfred Lucha.
Lucha ist ein groß gewachsener, kräftiger Mann mit braunen Haaren bis zum
Ohr, die er immer wieder aus dem Gesicht nach hinten streichen muss. Im
linken Ohr trägt er einen Ring. In dunkler Jeans und Jackett steht der
49-Jährige vor 40 Gästen in einer Reiterhof-Gaststätte in Fronhofen. Das
kleine Dorf liegt im oberschwäbischen Landkreis Ravensburg nahe dem
Bodensee und zählt mit den Nachbardörfern zur größten Flächengemeinde
Baden-Württembergs.
"Die Höhle des Löwen", sagt Lucha. Mit seiner Wahlkampfveranstaltung dringt
er in das Revier von Rudolf Köberle (CDU). Vor fünf Jahren holte der
Landwirtschaftsminister für die CDU satte 49,3 Prozent. Ausgerechnet hier
will Lucha über Biolandwirtschaft reden. Hier, wo die überwiegende Mehrheit
konventionell wirtschaftet. Lucha sagt, er kenne gerade mal zwei
Ökolandwirte.
"Wir wollen die Direktvermarktung fördern. Wir wollen 20 Prozent
Ökolandbau", sagt Lucha. Im Hintergrund trainieren hinter einer Glasscheibe
zwei Reiter mit ihren Pferden. Über der Fensterreihe stehen Pokale. Die
meisten, die an diesem Abend gekommen sind, sind Männer über 40 in
Holzfällerhemd und Weste. Sie trinken ein Feierabendbier, essen Bockwurst
und hören regungslos zu.
Lucha geht immer wieder einen Schritt auf seine Gäste zu, beugt sich nach
vorne, macht mit seinen Armen große Bewegungen in der Luft, seine Haare
fallen ihm dabei wieder ins Gesicht. Er kann sagen, was er will, die Bauern
schweigen.
Was in Stuttgart Wahleuphorie ist, ist für Lucha Wahlkampf. Es ist Kampf.
Lucha ist das gewohnt. Er war 1979 Gründungsmitglied der Grünen im
bayerischen Altötting, seit 16 Jahren sitzt er im Stadtrat Ravensburg. "Wir
können uns nicht nur auf die Unistädte verlassen. Wir müssen diese Menschen
genauso mitnehmen", sagt er. "Wenn wir regieren wollen, müssen wir die
überzeugen, sonst halten wir das gar nicht durch."
Als der Wahlkampfabend offiziell beendet ist, setzt er sich zu den
Landwirten an den Tisch. Seit Jahren spricht er mit ihnen. Seit Jahren
haben beide Seiten die gleichen Argumente. Lucha hat sich zwar Respekt
erarbeitet, gebracht hat ihm das bei einer Landtagswahl bisher aber nichts.
Dreimal hat er es schon versucht. Dreimal ist er gescheitert. Noch nie saß
ein Grüner aus dem Wahlkreis 69 Ravensburg im Stuttgarter Landtag. Die
Kandidatur schien bislang wenig attraktiv, niemand hätte sie Lucha streitig
gemacht. Auch dieses Mal müssten die Grünen wohl deutlich über 20 Prozent
bekommen, damit Lucha den Einzug schaffen kann. Eine Landesliste gibt es in
Baden-Württemberg nicht, ein Direktmandat ist für Lucha unrealistisch. Die
weiteren Mandate werden auf die vier Regierungsbezirke verteilt, und hier
entscheidet sich, welcher Bewerber der jeweiligen Partei im betreffenden
Regierungsbezirk den höchsten Stimmenanteil erhalten hat. Um diese Mandate
konkurriert Lucha mit seinen grünen Parteikollegen etwa aus Tübingen, Ulm
und Reutlingen.
Doch immerhin: Früher galt, dass die CDU in Oberschwaben auch schwarz
angemalte Laternenmasten aufstellen könnte, die dann gewählt würden. Diese
Selbstverständlichkeit gilt nicht mehr. In der Stadt Ravensburg stellen die
Grünen inzwischen mit 20 Prozent die zweitstärkste Fraktion. Auch das war
früher eine CDU-Hochburg mit stets absoluter Mehrheit.
Frank Hautumm beobachtet diese Entwicklung seit einigen Jahren. Der
Lokalchef der Schwäbischen Zeitung sitzt in seinem Büro außerhalb der
historischen Ravensburger Stadtmauer. Ein mit 42 Jahren noch junger Chef
mit kurzen, schwarzen Haaren, der in Jeans und ohne Krawatte seine Gäste
empfängt. Ravensburg sieht er als eine zwar kleine, aber doch junge,
pulsierende Stadt, die von Akademikern und Kulturschaffenden geprägt ist.
Doch er weiß auch, wie stark sich dieses Bild ändert, je weiter man die
Stadt hinter sich lässt und aufs Land hinausfährt.
"Die Grünen wissen, dass sie in Ravensburg 20 Prozent holen können. In der
Fläche wird die CDU mit Köberle aber sehr viel stärker sein", sagt Hautumm.
Trotzdem sei das Selbstbewusstsein der Grünen spürbar gewachsen. "Die gehen
schon mit dem ,Mir san mir'-Gefühl daran, das Lucha als Bayer selbst
verkörpert. Und sie wissen, dass die CDU angeschlagen ist."
Doch welche Rolle spielt dabei der Bahnhofsstreit im 150 Kilometer
entfernten Stuttgart? "Ich bin mir nicht sicher, ob das für die Leute hier
entscheidend sein wird", sagt Hautumm. Im vergangenen Herbst habe es
kleinere Demos gegeben. Käme es zu einem Volksentscheid, schätzt der
Journalist, würden wohl etwa 70 Prozent für Stuttgart 21 stimmen.
Lucha setzt dennoch auf das Verkehrsthema. "Wir halten das natürlich hoch",
sagt er. Wenn auch nicht in Ravensburg, so würden doch viele Leute noch
heute nach Stuttgart fahren, um dort zu demonstrieren.
In der Landeshauptstadt treibt das Thema die Bürger nicht nur weiterhin
zahlreich auf die Straße, sondern auch in ein Lokal im Stuttgarter Westen.
Der Ortsverband stimmt sich hier auf den Wahlkampf ein. Früher kamen
manchmal zwei Leute. An diesem Abend sind es 20. Es müssen extra Stühle
nachgeholt werden. Unter den Jüngeren sind einige, die erst seit Kurzem
Grünen-Mitglied sind. "Scheiße! Da muss man doch was machen", habe sich
eine junge Frau bereits nach dem schwarz-gelben Sieg bei der Bundestagswahl
2009 gedacht. "Und dann kam Stuttgart 21 dazu."
"Auf diesen Wahlkampf freue ich mich besonders", sagen andere, die schon
zahlreiche aussichtslose Wahlkämpfe im Ländle hinter sich haben. Selbst
viele Nichtmitglieder, aber strikte S21-Gegner würden ihre Hilfe für den
Wahlkampf anbieten, berichtet Muhterem Aras. Sie weiß die gute Stimmung zu
schätzen, aber genauso weiß auch sie: "Die Wahl gewinnen wir nicht nur in
den Städten."
10 Mar 2011
## AUTOREN
(DIR) Nadine Michel
## TAGS
(DIR) Schwerpunkt Landtagswahl in Baden-Württemberg
## ARTIKEL ZUM THEMA
(DIR) Winfried Kretschmann über Regierungsstile: "Ich schalte alle alten Meiler ab"
Stuttgart 21 und Atomdebatte: Winfried Kretschmann (Grüne) kritisiert die
Atompolitik von Stefan Mappus. Eine Koalition mit der CDU schließt er nicht
aus.
(DIR) Landtagswahl BaWü nach Atomunfall: Es wird knapp
Er hatte sich für AKW-Laufzeitverlängerungen starkgemacht. Das könnte
Baden-Württembergs Ministerpräsidenten Stefan Mappus am 27. März das Amt
kosten.
(DIR) Wahl in Sachsen-Anhalt: "Die SPD hat Angst vor uns"
Nirgends sind die Löhne niedriger, nirgends ist die Abwanderung höher als
in Sachsen-Anhalt. Wulf Gallert, Landeschef der Linken, will das ändern.
(DIR) Landtagswahl in Sachsen-Anhalt: Schwache Hoffnung auf ein Wunder
Weil die politische Linke blockiert ist, wird die CDU in Sachsen-Anhalt
wohl weiterregieren können. Offen ist, was aus den kleinen Parteien wird.
(DIR) Landtagswahl in Baden-Württemberg: Grüne freut das Umfrage-Minus
In Umfragen verlieren die Grünen rasant und die SPD legt zu. Ein grüner
Ministerpräsident scheint damit ausgeschlossen - doch ein rot-grüner Sieg
rückt immer näher.
(DIR) Kommentar zu den Grünen: Künast bringt Grüne auf ihren Kurs
Die Spitzenkandidatin positioniert ihre Partei in CDU-Nähe