# taz.de -- Winfried Kretschmann über Regierungsstile: "Ich schalte alle alten Meiler ab"
       
       > Stuttgart 21 und Atomdebatte: Winfried Kretschmann (Grüne) kritisiert die
       > Atompolitik von Stefan Mappus. Eine Koalition mit der CDU schließt er
       > nicht aus.
       
 (IMG) Bild: "Mein Regierungsstil passt zu Baden-Württemberg": der grüne Spitzenkandidat Winfried Kretschmann.
       
       taz: Herr Kretschmann, Sie kündigen für den 27. März eine epochale Änderung
       der Politik in Baden-Württemberg an. Was wären die drei wichtigsten Punkte
       Ihrer ersten Regierungserklärung, die Sie sofort umsetzen würden? 
       
       Winfried Kretschmann: Der erste Punkt: diesen Politikstil der Schwarzen
       grundsätzlich ändern. Dieses Regieren von oben herab, diese Entscheidungen
       aus dem Bauch heraus, bei denen man hinterher realisiert, was man da
       entschieden hat, das muss sich ändern.
       
       Zweiter Punkt? 
       
       Dann werden wir die bisher blockierten Initiativen im Bildungsbereich
       zulassen und fördern, die etwas Neues auf die Beine stellen wollen. Und wir
       werden die ökologische Modernisierung von Wirtschaft und Gesellschaft
       vorantreiben. Dazu gehört die umgehende Beendigung der Blockade der
       Windkraft durch die CDU und, nach Neckarwestheim 1, die endgültige
       Stilllegung der anderen Atomkraftwerke hier im Land, beginnend mit
       Philippsburg 1. Das ist aber auch für einen grünen Ministerpräsidenten
       nicht einfach.
       
       Warum? 
       
       Neckarwestheim 1 wird schon jetzt stillgelegt. Das ist klar. Philippsburg 1
       darf auch nicht wieder ans Netz. Das ist unsere Position. Aber wir müssen
       zuerst die oberschwäbischen Landkreise dafür gewinnen, denn die sind
       Anteilseigner der EnBW. Ohne deren Zustimmung gehts nicht. Und die
       Stilllegung müssen wir dann im Unternehmen durchzusetzen versuchen.
       
       Was heißt "versuchen"? 
       
       Selbst ein Wahlsieg bringt Ihnen erst mal nichts, wenn der Aufsichtsrat der
       EnBW nur aus Mappus-Leuten besteht. Wir haben ja darauf gedrängt, die
       Hauptversammlung um wenige Wochen zu verschieben, damit nicht die alte,
       sondern die neue Landesregierung ihre Leute in den Aufsichtsrat entsendet.
       Das wurde aber von Mappus und der EnBW abgelehnt. Wir haben mit dieser EnBW
       in jeder Hinsicht einen richtigen Klotz am Bein.
       
       Also bleibt Philippsburg 1 auch unter Ihrer Regierung am Netz? 
       
       Das werden wir zu verhindern wissen. Aber an dem Punkt kommt das ganze
       Problem dieses Deals zutage: Die EnBW ist auf Pump gekauft, und die
       Finanzierung ist abhängig vom Weiterlaufen von Philippsburg 1, da die
       Dividende für die Kraftwerke höher sein muss als die Zinsen. Da kommen
       große Abschreibungen auf den Landeshaushalt zu.
       
       Wie wollen Sie das Problem lösen? Oder wird EnBW zwangsweise als
       Atomkraftkonzern weiterfunktionieren müssen? 
       
       Ich habe derzeit, ehrlich gesagt, noch keine Lösung.
       
       Das ist alles? 
       
       Ja. Ich kann nur so viel sagen: Sind wir an der Regierung, werden wir
       zunächst ein neues Landesenergiekonzept erarbeiten. Einen Masterplan für
       die Förderung regenerativer Energien. Danach müssen wir schauen, inwieweit
       wir die EnBW in unsere Energiestrategie integrieren können, die auf
       Stadtwerke setzt, auf kommunale Netze und Energieversorgung. Auf
       Genossenschaften und Unternehmen, die Stromnetze regional aufbauen wollen.
       
       Das Problem EnBW. Die Abhängigkeit Baden-Württembergs vom Atomstrom. Die
       ungeklärte Frage Stuttgart 21. Also fordern Sie einen Vertrauensvorschuss:
       "Wir wissen noch nicht, wie es geht, aber wenn ihr uns gewählt habt, dann
       kriegen wirs schon hin." 
       
       Keine Bange, wir sind gut aufgestellt und haben unsere Konzepte und Ideen
       fürs Land. Wechsel finden durch die Fehler der anderen statt, nicht nur
       durch eigenes Verdienst. Bei einem epochalen Wechsel kann man also nichts
       anderes erwarten, als dass man die Fehler der Vorgänger erst einmal erbt
       und korrigieren muss. Das ist die Dialektik solch eines Wechsels.
       
       Stefan Mappus sagt: "Kernkraftwerke, die nicht den erforderlichen
       Sicherheitsbestimmungen genügen, werden sofort abgeschaltet." Das ist doch
       eine klare Ansage. Was bekomme ich mehr von den Grünen? 
       
       Das ist die überkommene Rhetorik der CDU von der Sicherheit der deutschen
       Atomkraftwerke. Wir wollen alle alten Meiler, die vor 1980 gebaut wurden,
       abschalten.
       
       Das macht die Regierung. 
       
       Aber doch nur zeitweise. Sie will die Altmeiler bis auf Neckarwestheim 1
       doch nur zeitweise abschalten - und dann erst einmal nachdenken. Die Frau
       Gönner …
       
       … die baden-württembergische Umweltministerin … 
       
       … will einen breiten gesellschaftlichen Diskurs führen. Aber dieser findet
       seit 40 Jahren statt. Wir brauchen an diesem Punkt den Diskurs nicht mehr.
       Die Energiefrage ist entscheidungsreif.
       
       Mappus ist aber jetzt auch Atomskeptiker geworden. Wie wollen Sie gegen
       diese Botschaft ankommen? 
       
       Ach was, Mappus ist ein gewiefter Machtpolitiker. Das kann schon auch
       verfangen. Aber er war es doch, der mit brachialem Einsatz gegen seinen
       eigenen Bundesumweltminister längere Laufzeiten durchgesetzt hat. Er hat
       die Merkel aufgefordert, den Röttgen rauszuschmeißen. Da ist er doch jetzt
       nicht glaubhaft.
       
       Gut, aber Mappus wird sagen: Ich habe dazugelernt, auch bei Stuttgart 21
       mit der Schlichtung, was wollt ihr? 
       
       Aber bei Stuttgart 21 war es doch ähnlich. Da ist ihm der Polizeieinsatz
       aus dem Ruder gelaufen. Er wusste schnell, dass ihm das schaden wird. Erst
       dann ist er auf unseren Vermittlungsvorschlag eingegangen. Mappus ist
       einer, der nur dem Druck der Verhältnisse nachgeben kann. All sein
       politisches Handeln ist machtpolitisch motiviert. Den dubiosen EnBW-Deal
       hat er komplett am Parlament vorbei gemacht, also auch an seinen eigenen
       Parlamentariern, in einer Größenordnung von 5 Milliarden Euro. Das zeigt:
       Sein Regierungsstil passt nicht zum Land Baden-Württemberg.
       
       Welcher passt dann? 
       
       Meiner.
       
       Wie wollen Sie die Altlast Stuttgart 21 abarbeiten? 
       
       Da steht erst der Stresstest an. Nach der Wahl wollen wir einen Bau- und
       Vergabestopp durchsetzen. Denn nach unseren Erkenntnissen ist Stuttgart 21
       ohne Nachbesserungen und Nachinvestitionen in Höhe von circa 500 Millionen
       Euro nicht zu machen. Das Kosten-Nutzen-Verhältnis wird also noch
       schlechter. Ich bin gespannt, ob die SPD dann immer noch verbissen an
       Stuttgart 21 festhalten wird. Und am Ende kann dann noch ein Volksentscheid
       stehen.
       
       Und was, wenn der Volksentscheid pro Stuttgart 21 ausfällt? 
       
       Der Gedanke erfüllt mich mit Grausen, dass wir ein Projekt selber
       realisieren müssen, von dessen Unsinnigkeit wir seit 15 Jahren überzeugt
       sind. Aber auch das gehört im Zweifel zur direkten Demokratie dazu.
       
       Ihr Lieblingspartner SPD wurde von der selbst ernannten grünen
       Premiumopposition jahrelang als Gurkentruppe verhöhnt. Wie wollen Sie mit
       denen Ihre Projekte umsetzen? 
       
       Ich habe die SPD noch nie mit solchen Verbalinjurien belegt.
       
       Aber auch nicht viel von ihr gehalten. 
       
       Sie war lange eine Mäkelopposition. Das hat sich aber mit Nils Schmid
       geändert. Wir beide denken sehr ähnlich, zum Beispiel was die
       Haushaltssanierung angeht, ein Kernanliegen von mir. Ich denke, mit ihm
       kann man gut regieren.
       
       Anders als die dominante Atomdebatte nun suggeriert, sind Grün und Rot aber
       nicht wirklich nah beieinander? 
       
       Doch. In der Bildungspolitik ist die SPD ganz auf unseren Kurs
       eingeschwenkt. Damit haben wir in den zwei wichtigen Kernbereichen
       Energiepolitik und Bildung einen stabilen Grundkonsens.
       
       Die SPD ist eine Pro-Stuttgart-21-Partei. 
       
       Stimmt, das ist problematisch. Aber zwei Kernbereiche sind eine gute
       Grundlage zum Regieren.
       
       Warum sagen Sie nicht, dass Sie mit der SPD regieren wollen -und sonst
       nichts. Wir dachten, es ginge um einen historischen Politikwechsel? 
       
       Ich sehe in der Tat nicht, wie man einen wirklichen Politikwechsel mit
       anderen Mehrheiten als Grün und Rot gestalten kann. Aber die Klarheit, die
       eine solche Wahlaussage suggeriert, gibt es nicht unbedingt. Schauen Sie
       sich das Saarland oder Nordrhein-Westfalen an: Es gibt die Dynamik einer
       Ausnahmesituation, aus der man etwas machen muss. Ich verstehe, dass die
       Leute Klarheit wollen, aber ich kann das nicht bieten, wenn sie selber
       anders wählen.
       
       Wie definieren Sie "Ausnahmesituation"? 
       
       Keine klaren Mehrheiten. Wenn man sich in solchen Situationen als
       handlungsunfähig erweist, befördert man Populismus, Verdruss und
       Guttenbergs.
       
       Guttenbergs? 
       
       Die Sucht nach irgendwelchen Lichtgestalten, die das gar nicht sind, nach
       Überpolitikern, die aufräumen sollen, dazu aber gar nicht in der Lage sind.
       
       Sie machen auch Schwarz-Grün, wenn es die Ausnahmesituation gebietet? 
       
       Nein, so kann man das nicht sagen. Ich will mir nur nicht durch
       Vorfestlegungen die Handlungsfähigkeit in Ausnahmesituationen versperren.
       Politik muss immer die Möglichkeit des Handelns haben.
       
       Schließen Sie wenigstens Schwarz-Grün mit Mappus aus? 
       
       Ich werbe für den klaren Wechsel mit Grün-Rot oder Rot-Grün. Aber wenn der
       Wähler anders entscheidet, müssen wir mit allen reden können, auch mit der
       FDP, den Linken und der CDU. Ich schließe da nichts aus, auch wenn mir
       solche Konstellationen nicht behagen.
       
       Selbst die Person Mappus nicht? 
       
       Auch mit Mappus wird in Ausnahmesituationen geredet und verhandelt.
       
       Ist es für Sie persönlich Ihre letzte Wahl, wenn Sie es diesmal wieder
       nicht in die Regierung schaffen sollten? 
       
       Solche defätistischen Gedanken lasse ich nicht an mich ran. Wir wollen
       gewinnen.
       
       Eine CDU-SPD-Koalition wäre eine sehr große Niederlage? 
       
       Ja.
       
       Auch für Sie persönlich? 
       
       Ja.
       
       Mehr sagen Sie dazu nicht? 
       
       Wenn die SPD das macht, geht sie auf 10 Prozent zu.
       
       18 Mar 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) T. Knott
 (DIR) N. Michel
 (DIR) P. Unfried
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Schwerpunkt Landtagswahl in Baden-Württemberg
 (DIR) Schwerpunkt Landtagswahl in Baden-Württemberg
 (DIR) Schwerpunkt Landtagswahl in Baden-Württemberg
 (DIR) Schwerpunkt Landtagswahl in Baden-Württemberg
 (DIR) Schwerpunkt Landtagswahl in Baden-Württemberg
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Porträt Winfried Kretschmann: Moses kommt an
       
       Nach 58 Jahren CDU-Herrschaft, nach 30 Jahren Opposition: Wer ist Winfried
       Kretschmann? Ökolibertärer Staatsdiener. VfB-Fan. Oberschwabe. Und
       Liebhaber von Froschkutteln.
       
 (DIR) Gesetz für Netzausbau: Rainer Brüderle klotzt Kilometer
       
       Der Wirtschaftsminister plant ein Gesetz zur Beschleunigung des
       Netzausbaus: Wer Ökoenergie wolle, brauche 3.600 Kilometer neue Leitungen.
       Umweltschützer widersprechen.
       
 (DIR) Großdemonstration der S21-Gegner: Zehntausende gegen Mappus
       
       Eine Woche vor der Landtagswahl gehen in Stuttgart die Menschen gegen S21
       und schwarz-gelbe Landesregierung auf die Straße. Rot-Grün führt aktuell in
       Umfragen.
       
 (DIR) Kommunen gegen Plan des Ministerpräsidenten: Mappus' Atomanteile will keiner
       
       Stefan Mappus hat Anteile des Energiekonzerns EnBW gekauft und sein Land an
       die Atomkraft gekettet. Die Stadtwerke will er ins Boot nehmen. Doch das
       erzeugt Widerstand.
       
 (DIR) Abschaltung der AKWs im "Ländle": Mappus' Atomfirma verliert Millionen
       
       Zwei Reaktoren in Baden-Württemberg sind abgestellt. Tag für Tag gehen dem
       Betreiber EnBW damit wohl 1,5 Millionen durch die Lappen.
       
 (DIR) Landtagswahl in Baden-Württemberg: Der Kampf um die Provinz
       
       Stuttgart 21, Mappus, Vetternwirtschaft: Baden-Württembergs Grüne kommen in
       Umfragen noch immer auf über 20 Prozent. Doch: Wie weit trägt die Euphorie?