# taz.de -- Tunesischer Dichter über Revolution: "Treffender wäre 'Kaktusrevolution'"
       
       > Ein Kampf für Grundwerte: Der exiltunesische Dichter Tahar Bekri im
       > Gespräch über Zensur in der Diktatur, die Rolle der Jugend und die Chance
       > auf Reformen in der arabischen Welt.
       
 (IMG) Bild: "Niemand kann vergessen, dass Ben Alis Polizei auf unbewaffnete Demonstranten scharf geschossen hat."
       
       taz: Herr Bekri, was hat die Revolution in Tunesien für Sie als Vertreter
       der tunesischen Kultur geändert? 
       
       Tahar Bekri: In den letzten Jahrzehnten waren die Schriftsteller, Leute des
       Theaters, Films und der Choreografie immer da, um das herrschende Übel zu
       kritisieren. Ich gehöre selber einer Generation an, die schon unter
       Bourguiba viele Opfer gebracht hat. Natürlich bin ich sehr glücklich über
       diese Revolution, die eine grausame Polizeidiktatur hinweggefegt hat.
       
       Von der Unterdrückung war ja gerade das künstlerische Schaffen betroffen.
       Einige haben sich dem Druck auch gebeugt. 
       
       Die Kultur musste der Zensur stets mit List begegnen, um zu existieren. Die
       Medien waren kontrolliert. Viele ließen sich mehr oder weniger einspannen.
       Noch im letzten August habe ich einen Appell von 65 Persönlichkeiten
       gesehen und darunter viele Künstler und Kulturschaffende, die eine Änderung
       der Verfassung verlangten, damit Ben Ali ein sechstes Mal 2014 kandidieren
       könne. Wie in allen Diktaturen gibt es solche, die die Herrschenden
       unterstützen und ihr Loblied singen. Andere aber haben Widerstand geleistet
       - oder, wenn sie weniger mutig waren, wenigstens geschwiegen, um integer zu
       bleiben und um nicht mit den Wölfen zu heulen oder sogar zu Instrumenten
       der Zensur zu werden. Es gibt einen Unterschied zwischen Kompromisse machen
       und sich kompromittieren.
       
       Was meinen Sie mit List? 
       
       Die Kunst kann sich auch unter repressiven Bedingungen immer durch
       Anspielungen sinnbildlich verständlich machen, das haben auch
       Schriftsteller in Osteuropa so gemacht. Sie konnten so trotz Zensur
       letztlich alles sagen, was sie wollten, und die Leute begriffen es. Wer die
       Wahrheit hören und wissen wollte, konnte das auch in Tunesien.
       
       Wird es, wie häufig nach Revolutionen, nun eine "Säuberung" geben in
       Tunesien? 
       
       Es gab viel Opportunismus. Leute, die denunziert haben und Dreck an den
       Händen haben, dürfen nicht auf führenden Posten bleiben. Die Lüge darf
       nicht weiterexistieren. Gleichzeitig muss eine Hexenjagd vermieden werden.
       Das ist Aufgabe der Kommissionen für die Transparenz, die dazu geschaffen
       wurden. Dann gibt es aber auch in den Medien beispielsweise eigene
       Initiativen der Journalisten, die sich ethische Regeln geben wollen, damit
       nicht neue Lügen verbreitet werden.
       
       Sehen Sie es als die Rolle der Intellektuellen an, hier einzugreifen? 
       
       Wenn ich in die Debatte eingreife, dann bestimmt nicht, um Öl ins Feuer zu
       gießen. Wir wollen alle, dass diese Revolution gelingt. Das Volk hat sich
       erhoben, es hat sich dadurch Respekt verdient. Es ist schon viel erreicht
       worden im Bereich der Freiheit, der Grundrechte und der Demokratie. Die
       wichtigste Errungenschaft ist bestimmt, dass die Angst verschwunden ist.
       Jeder in Tunesien weiß, wie es vorher war: mit politischen Gefangenen,
       Folter, Erpressung und Bestechung. Jeder hat aus eigener Erfahrung
       Erlebnisse der Erniedrigung zu erzählen.
       
       Den einen geht diese Revolution nicht weit genug oder zu langsam voran,
       anderen vielleicht bereits zu weit? 
       
       Die Ungeduld ist legitim. Vergessen wir nicht den außerordentlich
       schwerwiegenden Akt der Selbstverbrennung von Menschen aus Verzweiflung in
       Regionen, die bisher benachteiligt worden sind. Der Ruf nach Würde und
       Freiheit kommt aus der Tiefe. Andererseits könnte die Unversöhnlichkeit
       oder der Starrsinn gewisser Parteien am Ende die Armee an die Macht
       bringen. Die Probleme sind jahrzehntealt und werden nicht in sechs Monaten
       behoben. Es braucht viel Weisheit. Ich zähle auf die Jugend, die in dieser
       Revolution ein sehr schönes Gesicht gezeigt hat. Es darf nicht dazu kommen,
       dass die Parteien in ihrem Wettstreit die Ideale dieser Jugend vergessen
       und verraten.
       
       Hat Sie diese Jugend mit ihren Kommunikationsmitteln überrascht? 
       
       Einige haben mir kürzlich bei einer Lesung erzählt, wie sie zuerst nur in
       kleinen Zirkeln, mit vielleicht insgesamt hundert Leuten, im Internet die
       Überwachungsmechanismen getestet haben, um zu schauen, wie weit sie gehen
       können. Sie waren dann später selber überrascht, als sich ihnen auch bisher
       unpolitische Junge anschlossen und hunderttausend Leute auf die Straße
       gingen. Diese Generation wollte sich nicht wie jene ihrer Eltern von der
       Repression unterkriegen lassen.
       
       Und ohne Facebook, Twitter etc. hätte es diese Revolution nicht gegeben? 
       
       Es wäre ungerecht, sie auf eine Internetrevolution zu reduzieren. In
       Wirklichkeit kam es zu einer Vereinigung dieser Kritik mit der Revolte
       gegen die Angst und die Armut, mit diesen heroischen und zum Opfer bereiten
       Demonstranten. Niemand kann vergessen, dass Ben Alis Polizei auf
       unbewaffnete Demonstranten scharf geschossen hat. Elitepolizisten haben
       sogar auf Trauerzüge geschossen, das war unverzeihlich.
       
       Dass man diesem Volksaufstand den schönen Namen "Jasminrevolution" gegeben
       hat, muss Sie als Dichter wohl freuen? 
       
       Das tönt lieblich, ärgert aber viele Tunesier. Denn das erinnert sie zu
       sehr an eine Art touristische Folklore. Und vielen hat der Tourismus bisher
       nichts eingebracht. Der Jasmin ist ja auch eher ein Symbol der wohlhabenden
       Regionen. Der Aufstand aber kam aus den abgelegenen, armen Gegenden,
       Kasserine und Gafsa, wo nicht der Jasmin blüht, sondern nur der Kaktus
       wächst. "Feigenkaktusrevolution" wäre darum eigentlich treffender. Dabei
       ist Tunesien ja kein armes Land. Es war einst die Kornkammer Roms. Nachdem
       wir unsere Würde zurückerobert haben, müssen wir den Reichtum gerechter
       verteilen. Das Geld, das gestohlen wurde und das jetzt auf ausländischen
       Bankkonten blockiert ist, muss dem tunesischen Volk zurückgegeben werden.
       Und es muss der Bevölkerung in den unterentwickelten Regionen zugutekommen.
       
       Im Unterschied zu Libyen oder Algerien ist Tunesien nicht reich an
       Erdölvorkommen. 
       
       Das Erdöl ist ein Malheur für die Araber! Vielleicht hat man darum Tunesien
       und seine Revolution in Frieden gelassen, weil wir kein Erdöl haben.
       
       Sehen Sie die weitere Entwicklung optimistisch? 
       
       Ja, absolut. Was gegenwärtig geschieht, ist außerordentlich. Es ist mehr
       als nur ein Erwachen, es ist ein großartiger Kampf für wesentliche
       Grundwerte. Was derzeit in Tunesien, Ägypten, Libyen, aber auch in Bahrain
       und in der gesamten arabischen Welt passiert, ist vergleichbar mit einem
       Block, wie nach dem Fall der Mauer in den osteuropäischen Ländern. Trotz
       regionaler Differenzen gibt es eine gemeinsame Geschichte. Keines dieser
       Länder kann sich der Entwicklung entziehen. Die Reformen werden mehr oder
       weniger weit gehen. Darauf hat die arabische Welt lange gewartet,
       Lateinamerika beispielsweise hat seine Revolution gemacht, in Asien sind
       wie in China und Indien bedeutende wirtschaftliche Veränderungen im Gang.
       Es war Zeit, dass die arabische Welt sich wandelt.
       
       Inwiefern wird diese Revolution in Europa das Bild von den arabischen
       Ländern ändern, das vor allem durch eine Bedrohung durch den radikalen
       Islamismus geprägt wurde? 
       
       Bei einem Aufenthalt in Palästina - für mein Buch "Salam Gaza"- habe ich
       einiges verstanden. Das israelisch-palästinensische Problem ist ungelöst.
       Und die Art und Weise, wie die Angst vor dem Islamismus in den Medien
       dargestellt wird, erfolgt immer in Bezug auf Israel. Was man aber in Europa
       verstehen muss, ist die Tatsache, dass es keinen Frieden geben wird in
       dieser Region ohne Gerechtigkeit für die Palästinenser.
       
       Die tunesischen Frauen haben eine wesentliche Rolle in der Revolution
       gespielt. Besteht die Gefahr, dass sie unter religiösem Druck um die
       errungenen Rechte gebracht werden? 
       
       Das hoffe ich nicht. Die Muslimbruderschaft ist heute legal und Teil der
       politischen Landschaft. Die Frage ist nun, ob der Islam in Tunesien eine
       Glaubenssache bleibt oder eine politische Bewegung. Es gibt in der
       arabischen Welt auch eine Glaubenskrise. Die Leute sind auf der Suche, und
       davon darf der radikale Islam nicht profitieren. Es ist jetzt wichtig, dass
       in der neuen Verfassung entsprechende demokratische Regeln festgeschrieben
       werden. Rachid Ghannouchi von der Ennahda hat versprochen, seine Partei
       werde die Verfassung respektieren. Aber wie weit wird er gehen gegenüber
       einer weltlichen Linken, die immer unterdrückt wurde und die keinerlei
       Regierungserfahrung hat? Man darf Ghannouchi nicht unterschätzen, das ist
       keine kleine Nummer, er ist ein Stratege und Mitglied der Internationale
       der Muslimbrüder. Oft haben die Islamisten auf echte soziale Frustrationen
       falsche Antworten angeboten. Es gibt mögliche Allianzen, die gefährlich
       werden könnten, wie zum Beispiel zwischen Islamisten und der extremen
       Linken. Damit das Wesentliche der Revolution bewahrt wird, müssen alle die
       demokratische Verfassung respektieren.
       
       Haben Sie selber vor, nach Tunesien zurückzukehren? 
       
       Nein, ich lebe seit 1976 in Paris, ich habe mein Leben hier, bin mit einer
       Französin, einer Kunstmalerin, verheiratet. Nach dreizehn Jahren Exil als
       politischer Flüchtling kehre ich seit 1989 regelmäßig nach Tunesien zurück.
       Im Jahr 1989 wurde meine Bewerbung um eine Professur von der zuständigen
       Kommission angenommen, dann aber von einem Minister persönlich abgelehnt,
       der danach einer der wichtigsten Berater von Ben Ali wurde. Heute bin ich
       nicht mehr an irgendwelchen Posten interessiert, aber ich werde mich
       selbstverständlich an der Debatte beteiligen.
       
       14 Mar 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Rudolf Balmer
       
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