# taz.de -- Tierschutzaktivisten in Österreich vor Gericht: Anklage ohne Beweise
       
       > Alles da: 13 Tierschützer, die Anklage der Gründung einer kriminellen
       > Vereinigung, eine "Sexspionin", ein angesägter Hochsitz,
       > Buttersäureattentate - nur keine Beweise.
       
 (IMG) Bild: Die Jagd dieser beiden Jäger wurde offenbar von keinem Tierschutzaktivisten gestört.
       
       WIEN taz | Der Schwurgerichtssaal am Landesgericht Wiener Neustadt ist gut
       gefüllt. Als Richterin Sonja Arleth den Saal betritt, ist bei den
       Angeklagten bereits ein Picknick im Gang. Links und rechts sitzen sie
       aufgereiht, hinter ihnen, eine Stufe höher, die Riege von Anwältinnen und
       Anwälten. Fruchtsäfte, Sandwiches und Mehlspeisen werden ausgepackt:
       selbstverständlich streng vegan. Ein neuer Verhandlungstag im
       Tierrechtsaktivistenprozess.
       
       Sofort nach Eröffnung begibt sich die Richterin in einen Nebenraum und
       taucht auf einem Bildschirm auf. Die Befragung der Zeugin DD erfolgt auf
       ihren Wunsch außerhalb des Saals. Eine Gegenüberstellung würde sie
       psychisch belasten, hatte sie gesagt. Die Polizistin, die sich unter dem
       Pseudonym Danielle Durand in den Verein gegen Tierfabriken (VGT)
       einschleuste, wirkt trotzdem robust. Keine Spur von der Aura des
       Verruchten, die ihr die Boulevardmedien angehängt haben. 16 Monate lang hat
       sie zwischen Mitte 2007 und Herbst 2008 mit den Angeklagten vor
       Pelzgeschäften demonstriert, mit Passanten über quälerische Tierhaltung
       diskutiert, ja selbst an Jagdstörungen teilgenommen. Jetzt ist es an den
       Angeklagten, die ehemalige vermeintliche Kameradin zu befragen. Zuerst muss
       man sich auf ein Sie einigen. Darauf legt sie Wert.
       
       13 Personen, darunter zwei Frauen, sind nach Paragraf 278a des
       österreichischen Strafgesetzbuches angeklagt, im Rahmen einer kriminellen
       Vereinigung Straftaten begangen zu haben. Hauptangeklagter ist Martin B.,
       46 Jahre alt, Doktor der Physik und der Philosophie. Bärtig, mit
       strubbeligen blonden Haaren sitzt der groß gewachsene Wissenschaftler auf
       der Anklagebank. Vor ihm eine Kiste mit voluminösen Aktenordnern.
       
       ## Buttersäure auf Pelzen
       
       Von Buttersäureattentaten auf Kleidergeschäfte ist in der Anklageschrift
       die Rede, vom Ansägen eines Hochsitzes, vom Beschädigen von Autos. Die
       Aktivisten mehrerer Tierschutz- und Tierrechtsvereine gerieten ins Visier
       der Polizei, als die Inhaber der Textilkette Kleider Bauer den damaligen
       Innenminister Günther Platter einschalteten. Der VGT demonstriere
       regelmäßig vor ihren Geschäften. Das verursache erheblichen
       wirtschaftlichen Schaden. Umgehend wurde eine Sonderkommission ins Leben
       gerufen, die in den Unterlagen abwechselnd als Soko Kleider, Soko Pelz oder
       Soko Tierschützer firmiert. Die Agentin Danielle Durand kannte sie als Soko
       Kleider Bauer. Trotz monatelanger Beschattung, Lauschangriff und
       Spitzeleinsatz gelang es der Polizei nicht, den Angeklagten ein einziges
       Delikt nachzuweisen. Auch drei Monate Untersuchungshaft im Jahre 2008
       konnten die Vorwürfe nicht bestätigen. Trotzdem wurde vor einem Jahr der
       Prozess eröffnet, der schon jetzt als einer der aufwendigsten und
       umstrittensten gilt.
       
       "Danielle Durand", die ihr blondes Haar unter einer brünetten Perücke
       versteckt, erweckt nicht den Eindruck, als hätte sie sich unter den
       Tierschützern unwohl gefühlt. Sie vertiefte sich in Internetforen über
       Veganismus, studierte einschlägige Literatur und soll mit einem der
       Angeklagten ins Bett gestiegen sein. Die mollige DD habe dem hageren
       Beobachtungsobjekt förmlich die Kleider vom Leib gerissen, berichteten die
       Boulevardzeitungen, die fortan von der "Sexspionin" sprachen.
       
       Von den pikanten Ermittlungsmethoden ist jetzt nicht mehr die Rede. Die
       Angeklagten versuchen vielmehr, Atmosphärisches aus der Zeugin
       herauszulocken. Nein, sie habe sich in seiner Gegenwart nie unwohl gefühlt,
       bekannte sie auf Fragen von Chris M. Straftaten konnte sie während ihrer
       Tätigkeit keine beobachten. Der Angeklagte versucht herauszuarbeiten, dass
       die Observierung nur jenen Organisationen galt, die vor Kleider Bauer
       demonstrierten. Für andere Vereine interessierte sich die Ermittlerin
       nicht.
       
       Besonders ausführlich widmet sich Elmar V. der Zeugin. Der schlanke Mann,
       den die Richterin stets mit "Herr Diplomingenieur" anspricht, versucht das
       Argument der Anklage zu entkräften, die Tierschützer hätten sich mit
       Funkgeräten und Wertkartenhandys ausgerüstet, um sich zu Straftaten zu
       verabreden. V. verweist auf eine Rundmail, in der er eine Podiumsdiskussion
       zur Datensicherheit zusammenfasste. Die Essenz: Wer darauf Wert legt, dass
       seine Kommunikation vor dem Zugriff durch Dritte geschützt ist, sollte
       seine E-Mails verschlüsseln und von anonymen Handys aus telefonieren. Die
       Zeugin kann sich an die Mail erinnern. Auf Nachfrage ist es für sie
       nachvollziehbar, dass man wegen Datenschutzes so gehandelt habe.
       
       Immer wieder mischt sich die Richterin ein, lässt Fragen nicht zu, verweist
       auf den Bericht der Zeugin oder suggeriert dieser, sie könne sich
       wahrscheinlich nicht mehr erinnern. Im Saal zirkuliert die Kopie eines
       Artikels der Strafrechtlerin Petra Velten aus dem Journal für Strafrecht.
       Nach ihrer Beobachtung sei die Richterin nicht neutral: "Ich hatte schon
       das Gefühl, dass die Richterin die Verteidigung als störendes Element
       empfunden hat und im Grunde die ganze Verhandlungsführung darauf
       ausgerichtet war, zu verhindern, dass die Verteidigung kritische Nachfragen
       stellt." Die Autorin bekam darauf prompt eine Anzeige der
       Richtervereinigung wegen Prozessbeeinflussung.
       
       Die Rundmail, auf die V. sich bezieht, war im sogenannten Fadinger-Forum zu
       lesen, einer internen Plattform, die nur mittels Password zugänglich war.
       Schon der Name des Forums suggeriert Verbotenes: Stefan Fadinger war ein
       oberösterreichischer Bauernführer, der im 17. Jahrhundert eine Rebellion
       gegen die Grundherren anführte. Für die Staatsanwaltschaft ist schon die
       Existenz dieses Forums ein Indiz für eine Verschwörung. Frage an Danielle
       Durand, worum es im Fadinger-Forum gegangen sei. "Um vegane Lebensweise und
       Hinweise auf Veranstaltungen", antwortet sie. Verschwörerische Botschaften
       oder Aufrufe zu Straftaten habe sie keine entdecken können.
       
       ## Mit Schrotflinte bedroht
       
       V. kommt schließlich auf eine Jagdstörung im November 2007 zu sprechen. Im
       niederösterreichischen Zurndorf wurde eine Treibjagd, bei der tausende
       Hasen und Fasane zum Abschuss standen, gestört. Aktivisten mit bunten
       Schirmen warfen sich zwischen Jägerschaft und das von den Treibern
       aufgescheuchte Niederwild und konnten damit nach Ansicht von Martin B.
       mehreren tausend Tieren das Leben retten. Entsprechend aggressiv reagierten
       die Jäger. Sie traten auf Aktivisten ein und sollen einen sogar mit der
       Schrotflinte bedroht haben. Die verdeckte Ermittlerin war zwar dabei, saß
       aber wegen der großen Kälte die meiste Zeit im Auto. In einem Bericht hatte
       sie festgehalten, die einzigen strafbaren Handlungen seien von den Jägern
       ausgegangen. Die Tätlichkeiten gegen die Tierschützer kannte sie nur von
       den Videos, die anschließend bei der Besprechung gezeigt wurden.
       
       Zuletzt hat auch der Staatsanwalt eine Frage an die Zeugin: ob sie jemals
       gehört habe, dass die Tierschützer die Aktionen der ALF verurteilt hätten.
       Nein, das hat sie nicht. Die Animal Liberation Front (ALF) in England gilt
       als besonders radikale Tierrechtsorganisation, die auch zu Gewalt aufruft
       und für strafbare Aktionen verantwortlich gemacht wird. In der Klageschrift
       wird eine Verbindung des Vereins gegen Tierfabriken zur ALF unterstellt.
       
       Martin B. legt der Undercover-Agentin ein Foto vor, auf dem sie mit
       führenden Mitgliedern des VGT bei einer Demonstration im Juni 2007 zu sehen
       ist. In ihrem Bericht an ihren Führungsoffizier hatte sie alle Teilnehmer
       benannt und beschrieben - bis auf eine Frau mit Hund. Warum wurde diese
       nicht erwähnt?, will B. wissen. DD will sich nicht erinnern. B. glaubt den
       Grund zu wissen: Die Frau, die er als Esther H. identifiziert, sei auch
       eine verdeckte Agentin gewesen. DD weiß davon nichts. Martin B. hat die
       Frau mit seinem Verdacht konfrontiert. Sie habe aber alles abgestritten.
       Auch für die Richterin scheint kein Zweifel zu bestehen. Esther H. dürfte
       eine "Vertrauensperson" der Polizei gewesen sein. Anders als die verdeckte
       Ermittlerin also keine Beamtin, sondern eine Privatperson, die unter
       Anleitung der Polizei spionierte. Martin B. vermutet, sie sei von der
       Polizei kontaktiert worden, als sie fünfeinhalb Monate im Gefängnis saß,
       weil nach wiederholtem alkoholisiertem Autofahren eine Geldstrafe ausstand.
       
       Drei Monate saßen die Angeklagten in U-Haft. Seit einem Jahr läuft der
       Prozess. Beweise, dass die Angeklagten tatsächlich eine kriminelle
       Vereinigung gebildet haben, konnten keine erbracht werden. Sonja Arleth hat
       inzwischen das Urteil für Ende April in Aussicht gestellt und will keine
       Entlastungszeugen der Angeklagten vorladen. Das wäre ein schwerer
       Verfahrensfehler, der das Urteil für nichtig erklären könnte, hätte die
       Richterin nicht vor, alle Angeklagten nach dem Mafiaparagrafen 278 a
       freizusprechen.
       
       Selbst wenn das Verfahren mit Freispruch enden sollte: Die Angeklagten sind
       bereits bestraft. Martin B.: "Ich bin längst bankrott. Jeder
       Verhandlungstag kostet pro Person 4.000 Euro allein an Anwaltskosten." Die
       werden auch im Fall eines Freispruchs nicht ersetzt.
       
       28 Mar 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ralf Leonhard
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) EU-Parlament gegen Rat und Kommission: Streit über Klonfleisch
       
       In deutschen und europäischen Supermärkten darf Milch und Fleisch der
       Nachfahren geklonter Tiere verkauft werden - ohne Kennzeichnung. Das
       Europaparlament will das nun ändern.
       
 (DIR) Tierschutz-Debatte um Brandzeichen-Verbot: Mercedes-Stern für Pferde
       
       Sie halten es für unverzichtbar: Züchter wehren sich gegen das geplante
       Verbot des Brandzeichens. Um Abgeordnete zu überzeugen, bieten sie eine
       "Live-Brandmarkung".
       
 (DIR) Streit um Tierquälerei bei Hühnerzüchter: Lohmann fütterte den Landkreis
       
       Der Kreis Cuxhaven will sich im Streit um Tierquälerei beim Hühnerzüchter
       Lohmann auf einen Bericht gestützt haben, den er erst Jahre später erhielt
       - von Lohmann.
       
 (DIR) Geheimermittlungen in Hamburgs linker Szene: Spitzel von der Insel
       
       Der Hamburger Senat verweigert den Grünen die Auskunft um den Einsatz eines
       verdeckten Ermittlers aus Großbritannien. Die Abgeordnete Antje Möller
       sieht darin einen Verstoß gegen die Verfassung.
       
 (DIR) Geschädigte über linke Spitzel: "Er war zu gut, um wahr zu sein!"
       
       Spitzel haben es in der linken Szene besonders leicht, wie die aktuellen
       Beispiele von Mark Kennedy, "Danielle Durand" oder "Simon Brenner" zeigen.