# taz.de -- Debatte Krieg in Libyen: Mein Pakt mit dem Teufel
       
       > Die westliche Militärintervention in Libyen ist richtig. Denn wer
       > Massenmord zur "inneren Angelegenheit" erklärt, macht sich zum Mittäter.
       
 (IMG) Bild: Verwundeter im Krankenhaus der Stadt Adschabija, die am Samstag von den Rebelle zurückerobert wurde.
       
       Als ich am Donnerstag vor elf Tagen Gaddafis furchteinflößende Rede
       vernahm, in der er ankündigte, Bengasi innerhalb der kommenden Stunden zu
       überrennen und ein Blutbad unter den Rebellen anzurichten, war ich voller
       Sorge und Zorn auf die internationale Gemeinschaft - insbesondere auf die
       USA -, die Tage und Wochen kostbarer Zeit mit leerer Phrasendrescherei
       verschwendet hatten, während der Diktator Libyen Stück für Stück
       zurückeroberte.
       
       Doch dann kam dieser fast unglaubliche Beschluss des UN-Sicherheitsrates,
       der all das Gerede schlagartig beendete und den Weg für eine militärische
       Intervention freimachte. Die Szenen, die sich anschließend auf dem
       Hauptplatz von Bengasi abspielten und live von al-Dschasira übertragen
       wurden, erinnerten mich an den Mugrabi-Platz in Tel Aviv am 29. November
       1947, kurz nachdem die Generalversammlung der UN die Resolution zur Teilung
       Palästinas in einen jüdischen und einen arabischen Staat verabschiedet
       hatte.
       
       Das lange Zögern der Vereinigten Staaten und anderer Länder vor einer
       militärischen Intervention in Libyen war skandalös, ja: ungeheuerlich. Mein
       Herz schlägt für die Libyer (tatsächlich bedeutet "libi" im Hebräischen
       "mein Herz"). Und "Nicht-Einmischung" klingt in meinen Ohren wie ein
       schmutziges Wort. Es erinnert mich an den Spanischen Bürgerkrieg, der
       tobte, als ich noch ein Kind war. 1936 wurde die Spanische Republik brutal
       von einem spanischen General, Francisco Franco, mit aus Marokko
       importierten Truppen angegriffen. Es war ein sehr blutiger Krieg mit
       unsagbaren Gräueln. Nazideutschland und das faschistischen Italien griffen
       Franco damals unter die Arme, die deutsche Luftwaffe terrorisierte
       spanische Städte wie Guernica.
       
       ## Verrat an den Demokraten
       
       Die westlichen Demokratien weigerten sich hartnäckig, der bedrohten
       Republik Hilfe zu leisten, und prägten damals den Begriff der
       "Nicht-Einmischung" - was bedeutete, dass Großbritannien und Frankreich
       nicht intervenierten, während Deutschland und Italien das sehr wohl taten,
       und das gnadenlos. Die einzige ausländische Macht, die den belagerten
       Demokraten half, war die Sowjetunion. Wie wir erst viel später erfuhren,
       nutzte Stalin die Lage aus, um seine Mitkämpfer zu eliminieren -
       Sozialisten, Syndikalisten, Liberale und andere.
       
       Damals aber wirkte es wie ein Kampf der Guten gegen das absolut Böse.
       Idealisten aus aller Welt schlossen sich den internationalen Brigaden der
       Republik an. Wäre ich nur ein paar Jahre älter gewesen, hätte ich mich
       zweifellos auch freiwillig gemeldet. 1948 sangen wir in unserem eigenen
       Krieg voller Begeisterung die Lieder der Internationalen Brigaden. Für
       jemanden, der zu Zeiten des Holocaust lebte, insbesondere für einen Juden,
       kann es da keinen Zweifel geben.
       
       Als der Zweite Weltkrieg vorbei war und das entsetzliche Ausmaß des
       Genozids erkennbar wurde, gab es einen Aufschrei, der noch immer nicht
       verstummt ist: "Wo war die Welt? Warum haben die Alliierten nicht die
       Bahngleise bombardiert, die nach Auschwitz führten? Warum haben sie nicht
       die Gaskammern und Krematorien der Todeslager aus der Luft zerstört?" Diese
       Fragen sind bis heute nicht zufriedenstellend beantwortet.
       
       ## Die Angst, Partei zu ergreifen
       
       Es ist bekannt, dass Anthony Eden, der britische Außenminister, den
       US-Präsidenten Franklin D. Roosevelt fragte: "Was sollen wir mit den Juden
       machen (denen die Flucht gelungen war)?" Wir wissen heute auch, dass die
       Alliierten große Angst hatten, den Eindruck zu erwecken, sie führten einen
       Krieg "für die Juden", wie das die Nazi-Propaganda rund um die Uhr
       behauptete. Tatsächlich warfen die Deutschen über amerikanische Stellungen
       in Italien Flugblätter ab, auf denen ein hässlicher Jude mit Hakennase
       abgebildet war, der einer blonden Amerikanerin an die Wäsche ging. Die
       Bildunterschrift lautete: "Während du dein Leben aufs Spiel setzt, verführt
       der Jude zu Hause deine Frau!"
       
       Wenn damals militärische Kraft angewandt worden wäre, um die Ermordung
       deutscher Juden - wie auch der Roma - zu verhindern, wäre dies eine
       Einmischung in die "inneren Angelegenheiten" Deutschlands gewesen. Hätte es
       also geschehen sollen? Und wenn die Antwort Ja lautet - warum gilt sie für
       Adolf Hitler und nicht für diesen kleinen "Führer" in Tripolis?
       
       ## Applaus für den Kosovo-Einsatz
       
       Das führt natürlich unweigerlich zum Stichwort Kosovo. Hier stellte sich
       die gleiche Frage: Slobodan Milosevic beging dort einen Genozid, indem er
       ein ganzes Volk vertrieb, wobei es zu unsägliche Gräueln kam. Das Kosovo
       war damals ein Teil Serbiens und Milosevic berief sich darauf, dass es sich
       um eine interne serbische Angelegenheit handle. Als es einen weltweiten
       Aufschrei gab, entschied Präsident Bill Clinton, Stellungen in Serbien zu
       bombardieren, um Milosevic Einhalt zu gebieten. Offiziell war es ein
       Nato-Einsatz und er erfüllte seinen Zweck: die Kosovaren konnten in ihre
       Heimat zurückkehren, und heute existiert eine unabhängige Republik Kosovo.
       
       Damals applaudierte ich öffentlich - sehr zur Bestürzung vieler meiner
       linken Freunde zu Hause und in aller Welt. Diese beharrten darauf, dass das
       Bombardement ein Verbrechen gewesen sei - insbesondere, weil es seitens der
       Nato erfolgte, die sie als ein Werkzeug des Teufels betrachten. Meine
       Antwort darauf war: Wenn es darum geht, einen Genozid zu verhindern, bin
       ich sogar bereit, einen Pakt mit dem Teufel einzugehen. Das gilt heute
       noch. Es ist mir egal, wer Gaddafis mörderischem Krieg gegen sein eigenes
       Volk ein Ende setzt: UN, Nato oder die USA ganz alleine - wer auch immer es
       macht, der hat meinen Segen.
       
       "Nicht-Einmischung" lieferte das spanische Volk der Willkür eines Franco
       aus und schützte Hitler bei seinen Kriegsvorbereitungen. Direkte
       Einmischung dagegen brachte Milosevic ins Gefängnis des
       Kriegsverbrecher-Tribunals. Meine Haltung in dieser Frage ist daher ganz
       klar: Die Doktrin der Nicht-Einmischung in innere Angelegenheiten anderer
       Länder hat ausgedient, wenn es um Völkermord und Massenmord geht. Sie
       sollte begraben werden, bevor die Leichen zum Himmel zu stinken beginnen.
       
       Übersetzung: Ellen Rohlfs
       
       28 Mar 2011
       
       ## AUTOREN
       
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