# taz.de -- Gaddafi-Villa in London von Rebellen besetzt: Im Luxusbunker des Diktators
       
       > "Wir sind nicht hier, um im Jacuzzi zu entspannen": Ein Besuch bei den
       > Besetzern der Londoner Villa der Gaddafi-Familie. "Dieses Haus gehört den
       > Libyern", versichern sie.
       
 (IMG) Bild: Die Besetzer der Gaddafi-Villa hissen die libysche Flagge von 1951: Das Symbol der Opposition.
       
       LONDON taz | Auf der Winnington Road in London-Hampstead sieht man selten
       jemanden. Eine der teuersten Straßen Englands ist am Tag wie in der Nacht
       fast ausgestorben. Nur hinter den hohen gusseisernen Gittern der Anwesen
       trimmt vielleicht mal ein Gärtner einen Buchsbaum oder bringt eine Putzfrau
       den Müll raus. Die eigentlichen Bewohner dieser Paläste bleiben unsichtbar.
       
       Auch die Besitzer der Elf-Millionen-Pfund-Villa in der Sackgasse der
       Prachtstraße haben sich lange nicht mehr blicken lassen. Dann plötzlich
       begann vor zwei Wochen abends das Licht zu brennen, vor dem Haus parkte ein
       nagelneuer VW-Punto. Doch es sind definitiv nicht die Hausherren, eine
       gewisse Familie Gaddafi, die dieses Acht-Schlafzimmer-Prunkstück mit Kino,
       Pool und Sauna derzeit bewohnen.
       
       Hier leben die momentan wohl berühmtesten Hausbesetzer der Insel.
       Journalisten aus aller Welt haben sich vor dem Haus die Füße vertreten in
       der Hoffnung, ein kurzes Interview mit den neuen Bewohnern zu bekommen. Vom
       Obergeschoss des Hauses aus rotem Backstein weht eine große Protestflagge
       mit dem durchgestrichenen Konterfei des Diktators und den Worten: "Out Of
       Libya. Out Of London".
       
       Gaddafis Sohn Saif al-Islam versuchte das Anwesen schon länger zu
       verkaufen. Nun, da die Finanzen der Gaddafi-Familie bis auf Weiteres
       eingefroren wurden, ist es ohnehin zu spät. Angeblich ist es nur eines von
       diversen Grundstücken im Wert von insgesamt 300 Millionen Pfund, welche die
       Gaddafis in London angesammelt haben wie eine kostbare Briefmarkensammlung.
       
       Im Zuge der unter anderem von Tony Blair mit angestoßenen Öffnung Lybiens
       2004 flossen Millionen in üppige Immobilien von England bis Italien. Und
       vor allem London wurde zum beliebten Ziel. Saif al-Islam hatte von 2003 bis
       2008 an der renommierten London School of Economics (LSE) studiert und dort
       seine Doktorarbeit geschrieben, welche allerdings unter Plagiatsverdacht
       steht. 2009 machte Gaddafi der Universität eine großzügige Spende für ein
       Forschungszentrum. Anfang März trat der LSE-Direktor Howard Davies zurück.
       
       ## Das heilige Innere
       
       Den Besetzern in der Winnington Road geht es nicht darum, eine luxuriöse
       leerstehende Bleibe als Alternative zur fensterlosen Hausbesetzerhöhle
       gefunden zu haben. "Wir machen es, um das libysche Volk bei ihrem Kampf
       gegen Gaddafi zu unterstützen. Dieses Haus gehört den Libyern", ließen sie
       die Medien wissen. Doch das heilige Innere, in dem sich zwar alles bis zur
       Satinbettwäsche, jedoch keine Privatsachen der Gaddafis mehr befinden,
       durfte bisher kaum ein Journalist betreten.
       
       "Sie alle interessieren sich doch gar nicht für unser Anliegen. Sie wollen
       nur herumstöbern und durchzählen, wie viele Jacuzzis und Flatscreens das
       Haus hat", sagt ein Brite, Mitte dreißig, der sich Billy nennt und einen in
       der Einfahrt empfängt.
       
       Es ist Freitagabend und Billy verriegelt sorgsam hinter sich die weiße
       Eingangstür. Die Rolle des neuen Hausherren steht ihm gut, Billy behandelt
       sein neues Heim mit einer Mischung aus Abscheu und
       Verantwortungsbewusstsein. "Die Hütte ist überhaupt nicht mein Geschmack.
       Viel zu viel Weiß, viel zu offensichtliches Geld."
       
       Zwischen die goldenen Türschlösser bohrten sie ein weiteres, grobes
       Schloss, dass zugehalten wird, indem Billy einen schweren Schraubenzieher
       hineinsteckt. "Als wir endlich drin waren, haben wir erst einmal
       al-Dschasira auf dem fetten Flatscreen angemacht", grinst er.
       
       Mit seinem kahl rasierten Kopf und der Sportkapuzenjacke sieht er aus wie
       ein typischer britischer Lad. Seine Eltern sind aus Libyen, er ist in
       England aufgewachsen. Als er von dem Plan der Besetzung hörte, ließ er sich
       beurlauben und fuhr aus seiner Heimatstadt Manchester direkt nach London.
       
       "Wir alle tragen im Augenblick unseren Teil bei, zwei meiner Brüder sind in
       Libyen und kämpfen. Ich halte die Stellung in Gaddafis Protzvilla." Jedes
       Zimmer hat einen Flatscreen, selbst in der Küche befinden sich zwei, damit
       man sowohl am Herd als auch am Esstisch gucken kann. Ein Knopfdruck und sie
       versinken lautlos in der Arbeitsplatte.
       
       Unten ist ein Kino mit beigen Flauschsesseln, die Sauna, ein großes
       Schwimmbad und ein Raum, in dem sich Türme aus Geräten befinden, mit denen
       die gesamte James-Bond-Technik aus Videokameras, Alarm und digitalem
       Entertainment im Haus kontrolliert wird. Doch in dieser Freizeitetage sind
       sie fast nie. "Warum auch? Wir hängen nicht in diesem Luxusbunker ab, um
       uns zu entspannen und Hollywoodfilme zu glotzen."
       
       Wie die Gruppe, die sich bereits lose kannte und über das Netz
       organisierte, letztlich in das Luxushaus einsteigen konnte und wie viele
       sie sind, sagt Billy nicht. "Nur so viel: Wir sind drin, und es wurde kein
       Glas zerbrochen." Sobald man eine Öffnung wie ein offenes Fenster findet
       und nicht gewaltsam eindringt, darf man nach englischem Recht in dem Haus
       wohnen, bis der Eigentümer vom Gericht eine Räumungserlaubnis erhält.
       
       Dieses legendäre Recht trifft regelmäßig wohlhabende Briten, die ein
       Fenster auflassen und nach ihren Urlaub plötzlich vor ausgewechselten
       Schlössern stehen. Sobald Billy und die anderen im Haus waren, heulte der
       Alarm los, aber unter den Besetzern waren junge Briten, die als routinierte
       "Squatter" wussten, was zu tun war. In den darauffolgenden Tagen wurden
       bewusst Libyer eingeladen, um sich dem Wohnprotest anzuschließen.
       
       Die Polizei schaut ab und zu vorbei, doch tun kann sie auf rechtlicher
       Basis ohnehin nichts. Selbst mit den Nachbarn versteht man sich. "Manche
       grüßen uns sogar. Sie haben relativ schnell gemerkt, dass wir keine
       typischen Hausbesetzer mit Hunden sind, die eine trockene Bleibe suchen,
       sondern ein ganz anderes Anliegen haben." Vor ein paar Tagen stand um vier
       Uhr in der Früh ein Mann vor der Tür und bot den Besetzern 40.000 Pfund an,
       wenn sie das Haus verlassen.
       
       "Er muss einer von Gaddafis Handlangern gewesen sein. Doch woher soll das
       Geld kommen, wenn das ganze Vermögen eingefroren ist!", sagt Billy. "Wir
       haben ihn nur ausgelacht und gesagt: Habt ihr immer noch nicht gerafft,
       worum es uns geht? Wir sind nicht käuflich, sondern sitzen hier für unser
       Volk!"
       
       Auf einer riesigen, beigefarbenen Sofalandschaft strecken sich drei junge
       Männer aus und verfolgen al-Dschasira. In der Küche macht jemand Kaffee,
       Billy steht im Garten und raucht. Er ist müde. "Ich komme gerade von einer
       Demo. Alle zusammen dürfen wir nie gehen, weil die Villa immer besetzt sein
       muss."
       
       Es gibt einen festen Haushaltsplan, jeder ist mal dran mit Putzen, auf dem
       Marmorboden liegt kein Krümelchen. Akram bewegt sich in perfekter Routine
       durch die Räume, tippt leicht auf weiße Wände, woraufhin aus dem Nichts
       Kühlschranktüren aufspringen. Der smarte Mittdreißiger mit den
       dunkelblonden Haaren ist britischer Libyer und im normalen Alltag
       angestellt beim TÜV. Seine Frau und die Kinder sind zu Hause. "Und
       natürlich sind sie nicht begeistert, doch sie respektieren die Wichtigkeit
       dieser Aktion."
       
       ## Curry. Libysches Curry!
       
       Akram kocht ganz gut und wurde zum Küchenchef ernannt. Für ihn ist die
       mehrere tausend Pfund teure Designküche seine "War Kitchen", weil er für
       die Gruppe seit Tagen Gerichte aus allem zaubert, was er in die Finger
       bekommt. "Gestern gab es Gulasch, ansonsten viel Pasta oder Curry.
       Libysches Curry!"
       
       Die ganze Szenerie erinnert an ein eigenartiges Bilderrätsel, in dem
       gefragt wird: Was stimmt in diesem Bild nicht? Es ist ein Interieur voller
       Prunk und Überfluss, in dem normalerweise Köche, Kindermädchen und
       Putzpersonal herumhuschen. Akram hat sich im Bedienstetenzimmer
       einquartiert, der Rest verteilt sich über die weiteren Etagen.
       
       Billy schläft mit anderen im Masterbedroom, eine gigantische Angeberei in
       Beige und Grau, mit Designer-Badezimmer und goldenen Kopfkissen. Auf dem
       Bett liegt ausgebreitet die britische Flagge. "Unsere britischen
       Besetzerfreunde haben sie aus dem Fenster gehängt, um ihre Solidarität zu
       demonstrieren."
       
       Auch Franzosen und Australier sind im Team, sporadisch schauen auch Frauen
       vorbei. Manche bleiben nur für ein, zwei Tage, dann müssen sie wieder an
       die Uni oder ins Büro. "Jede neue Person kann nur rein, wenn irgendjemand
       von uns sie irgendwie kennt."
       
       Vor allem für die Libyer unter ihnen ist ein Ende des Ausharrens offen. Sie
       sitzen auf einem beschlagnahmten Schatz, den sie nicht mehr aus der Hand
       geben wollen. "Wir warten", sagt Billy. "So lange, bis das Haus verkauft
       und das Geld nach Libyen geschickt wird."
       
       In einem weiteren Wohnzimmer steht unberührt eine minimalistische
       Sofagruppe aus schneeweißem Kalbsleder. Auch diesen Raum betreten sie
       selten. "Wieso sollten wir alles hier dreckig machen, nur, weil wir den
       Hausherren verachten?", sagt Akram und wischt mit einem feuchten Tuch über
       den großen Glastisch. "Diese Villa wurde mit dem Geld der libyschen
       Menschen bezahlt. Und wir sorgen dafür, dass diese in einem perfekten
       Zustand an sie zurückgeht."
       
       1 Apr 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Julia Grosse
       
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