# taz.de -- Debatte Nahost: Alles auf Sicherheit
       
       > Die Region ist im Umbruch. Doch die Mehrheit der Israelis setzt auf den
       > starken Staat. Vom Westen fühlt man sich missverstanden und von den
       > Nachbarstaaten bedroht.
       
       Was du von hier siehst, kannst du von dort nicht sehen", heißt es im
       Refrain eines israelischen Volkslieds. Die Perspektive diktiert das
       Weltbild. Das fängt bei der Selbstbetrachtung der Israelis an. Die könnte
       kaum deutlicher abweichen von der Art, wie der Westen, vor allem die Linke
       in Europa, die Israelis sieht. Dort ist Israel der Besatzer und
       Siedlungsbauer, der Aggressor schlechthin. Es ist verantwortlich für das
       Scheitern des Friedensprozesses. Im Land selbst überwiegt das Gefühl, Opfer
       zu sein, also permanent um das Überleben des Staates ringen zu müssen, weil
       man umgeben ist von Feinden, die sich nichts sehnlicher als dessen Ende
       wünschen.
       
       Völlig einleuchtend erscheint in Jerusalem deshalb die Bitte des
       Verteidigungsministeriums an das Weiße Haus um 20 Milliarden Dollar
       zusätzlicher Militärhilfe, präventiv und mit Blick auf noch nicht absehbare
       Gefahren im Zuge der nahöstlichen Umwälzungen. Die Ägypter feiern die
       Befreiung vom despotischen Dieb, während den Otto-Normal-Israeli
       Bauchschmerzen plagen, und zwar nicht nur, wenn er von der freien Passage
       iranischer Kriegsschiffe durch den Suezkanal hört.
       
       Nur gut, dass wenigstens die Golanhöhen noch unter israelischer Kontrolle
       sind, fühlen sich endlich diejenigen bestätigt, die schon immer gegen
       Kompromisse mit Syrien waren. Die von Israelis dünn besiedelte, annektierte
       Pufferzone im Norden hat in diesen Tagen für viele etwas Beruhigendes.
       Angesichts der neuen Bedrohungen sei es weise, in Israels Sicherheit zu
       investieren, wird das Verteidigungsministerium argumentiert haben,
       schließlich werde ein starkes Israel inmitten der turbulenten Region
       stabilisierend wirkend. Noch eine Betrachtungsweise, die die europäische
       Linke kaum teilen dürfte.
       
       ## Apathie der Linken
       
       Das vorherrschende Gefühl ist, ausgerechnet von denen nicht verstanden zu
       werden, deren Werte und Moralvorstellungen man doch teilt, ob nun im
       Hinblick auf soziale Gerechtigkeit und die Gleichberechtigung der
       Geschlechter, auf sexuelle Freiheit und Pluralismus. Dieses Gefühl
       verstärkt die Apathie unter Linken und Exlinken in Israel. So im Stich
       gelassen und gleichzeitig frustriert über 20 Jahre Friedensprozess ohne
       Frieden, fällt es ihnen leichter, ein Auge zuzudrücken, wenn im Namen der
       Sicherheit Kompromisse gemacht werden, die mit den bisher gültigen
       Moralvorstellungen nicht zu vereinbaren sind.
       
       Ganze 20.000 Demonstranten zog es auf die Straße, um gegen den Treueeid zu
       protestieren, den Neubürger auf den demokratischen und jüdischen Staat
       ablegen sollen, bevor sie sich Israelis nennen dürfen. Noch weniger
       Aufsehen gab es um das sogenannte Boykottverbot, das unter Androhung hoher
       Geldstrafen verbietet, für einen Boykott israelischer Produkte zu werben.
       Die Liste lässt sich fortsetzen: Erst diese Woche verabschiedete die
       Knesset eine Gesetzesnovelle, nach der die Staatsbürgerschaft derjenigen
       Israelis annulliert werden kann, die der Untreue, des Terrors oder der
       Spionage überführt wurden.
       
       ## Protest nur für billiges Benzin
       
       Wäre es bei einer solchen Anhäufung die Demokratie bedrohender
       Rechtsreformen nicht überfällig, die Massen auf den Platz vor dem Tel
       Aviver Rathaus zu versammeln? Doch. Das wäre es. Tatsache ist, dass von den
       20.000 Treueschwurgegnern die Hälfte Araber waren, Menschen also, gegen die
       sich das Gesetz unmittelbar richtet. Zu einem Miniaufstand kam es erst viel
       später. Und das nicht wegen antidemokratischer Entwicklungen, sondern weil
       die Benzinpreise steigen sollten. Plötzlich waren Internetkampagnen und
       Verkehrsblockaden möglich. Für weniger als 24 Stunden schlugen die Herzen
       der Freunde zivilen Ungehorsams höher, bis die Gewerkschaft versprach, sich
       um die Sache zu kümmern. Was nie passierte.
       
       Dass Massenproteste wie die auf dem Tahrirplatz gegen die die Demokratie
       zernagenden Reformvorschläge in Tel Aviv ausbleiben, liegt an der
       Handlungsunfähigkeit derer, die diese "reaktionären Reformen" ablehnen, und
       an den Befürwortern: Das Israelische Institut für Demokratie in Jerusalem
       hielt zum Jahreswechsel fest, dass 60 Prozent der Bevölkerung eine starke
       Führungsriege für wichtiger halten als freie Debatten und eine
       demokratische Gesetzgebung. Nicht weniger als 86 Prozent finden, dass
       Entscheidungen, die für die Zukunft des Staates wesentlich sind, allein von
       einer jüdischen Mehrheit getroffen werden sollten.
       
       ## Demografische Entwicklung
       
       Für solche Zahlen in einem Land, das die längste Zeit seit seiner Gründung
       sozialdemokratisch regiert war, gibt es außenpolitische Gründe, aber sie
       sind beileibe nicht die einzigen. Es liegt eben nicht nur an der Bedrohung
       durch die Dschihadisten, nicht nur am Aufstieg der Hamas und sicher nicht
       an der europäischen Linken, dass Israel immer weiter nach rechts rückt.
       Dass es heute nur noch Überreste der einst so mächtigen Sozialdemokratie
       gibt, hat sich die Arbeitspartei selbst zuzuschreiben, weil sie den
       Grundwert soziale Gerechtigkeit aufgab, als sie die Privatisierung
       vorantrieb.
       
       Grund für den Rechtsruck ist auch die demografische Entwicklung in Israel.
       Die genannte Umfrage lehrt, dass sich die Meinungen oft aus der
       Sektorenzugehörigkeit der Befragten ergeben. So lehnen arabische
       Staatsbürger eine Angleichung des Familienrechts für gleichgeschlechtliche
       Paare mehrheitlich ab. Je orthodoxer ein Befragter ist, desto größer
       wiederum ist sein Widerstand gegen Gleichberechtigung und die gerechte
       Verteilung der öffentlichen Ressourcen zwischen Juden und Arabern. Die
       klassische Gruppe der Liberalen, die weltlichen Aschkenasen, also aus
       Europa und Osteuropa stammende Juden, schrumpft im Vergleich zu der
       kinderreichen Gruppe von traditionellen, zumeist orientalischen Juden,
       Orthodoxen und Ultraorthodoxen.
       
       Düstere Perspektiven also für Israel und für den Friedensprozess? Es wird
       vermutlich schlimmer, bevor es besser wird. Noch ist die Schmerzgrenze der
       Liberalen nicht erreicht, um sie für ihre Freiheit, für Gleichberechtigung
       zwischen den Geschlechtern wie der aller Volksgruppen im Land und nicht
       zuletzt für ein Ende der Besatzung kämpfen zu lassen.
       
       1 Apr 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Susanne Knaul
       
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