# taz.de -- Debatte Euro-Plus-Pakt: Sozialdumping als Rezept
       
       > Der Euro-Plus-Pakt rettet die Finanzindustrie, nicht die Währung. Die
       > Steuerzahler müssen die Ausfallbürgen geben. So werden neue
       > Spekulationswellen angeheizt.
       
       Bei Einführung des Euro vor mehr als 10 Jahren war klar: Eine Währungsunion
       ohne Koordinierung der Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik ist in
       höchstem Maße riskant. Die weltweite Finanzkrise hat dies mit brutaler
       Deutlichkeit zutage gefördert. Die Menschen in den überschuldeten
       Euroländern Griechenland, Irland, Portugal und Spanien werden mit
       Brachialgewalt in eine perspektivlose Sparhysterie getrieben.
       
       Der jetzt von der Gipfelkonferenz der Europäischen Union beschlossene
       "Euro-Plus-Pakt" ist eine Pervertierung seiner Zielsetzung: Gerettet wird
       nicht der Euro, sondern die Finanzindustrie – auf Kosten der Steuerzahler.
       Dies verschärft die Spaltung der Gesellschaft in den 17 Euroländern und
       gefährdet die Integration der inzwischen 27 EU-Mitgliedsländer insgesamt.
       
       Für die Spekulanten ist es ein hochlukratives Geschäft, auf die weiter
       sinkende Bonität der Schuldnerländer zu "zocken". Dies ist für sie unter
       den weit aufgespannten Rettungsschirmen - um in der Terminologie zu bleiben
       - "risikoarm". Die Steuerzahler in den Euroländern werden als Ausfallbürgen
       verpflichtet, Defizite überschuldeter Euroländer und ihrer Finanziers
       auszugleichen. Neue Spekulationswellen werden so geradezu angeheizt.
       
       Bereits jetzt ist klar, dass die beschlossene Verstetigung und Erhöhung des
       Europäischen Stabilitätsmechanismus auf 700 Milliarden Euro nicht
       ausreichen wird. Vor allem für die deutschen Steuerzahler wird dieser
       Mechanismus eines dauerhaften Finanztransfers für überschuldete Euroländer
       teuer. Infolge ihrer guten Bonität sind sie bereits jetzt mit direkten
       Kapitaltransfers von 22 Milliarden Euro und Bürgschaften von 168 Milliarden
       Euro verpflichtet.
       
       Zwar hat die Bundesrepublik mit ihren anhaltenden hohen Exportüberschüssen
       ein großes Interesse daran, dass den überschuldeten Euroländern geholfen
       und der Euro stabil gehalten wird. Allerdings fehlt jegliche Rechtfertigung
       dafür, dass dies allein vom Steuerzahler zu schultern ist. Die längst
       überfällige Beteiligung der Gläubiger – vor allem Banken und Versicherungen
       – sowie die Einführung einer Finanztransaktionssteuer stehen immer noch
       aus.
       
       ## Die Sünder sind die Richter
       
       Da wirkt es wie Pfeifen im Walde, wenn Bundeskanzlerin Angela Merkel diesen
       Pakt als "wirklich großen Schritt" zur Stabilisierung des Euro lobt.
       Vielmehr sind die Begleitmaßnahmen für Wettbewerb, Wirtschaft und
       Konvergenz für viele Menschen in Europa ein Bumerang. Denn ihre praktische
       Umsetzung wird auch in Zukunft in der Souveränität der Mitgliedsstaaten
       liegen. Diese sollen sich zwar einmal im Jahr auf gemeinsame Ziele
       verständigen: insbesondere Förderung der Beschäftigung, langfristige
       Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen und Stärkung der Finanzstabilität.
       Kontrollen und Sanktionen – zum Beispiel bei ausufernden Haushaltsdefiziten
       – bleiben jedoch in der Hand der Mitgliedsstaaten selbst. Die "Sünder" sind
       – wie bisher – gleichzeitig die "Richter".
       
       Hingegen wird die Sparpolitik noch rigoroser auf dem Rücken der Menschen in
       den Mitgliedsländern durchgesetzt. So soll die "Schuldenbremse", die
       zusammen mit den Rettungsschirmen im Zuge der weltweiten Finanzkrise in das
       deutsche Grundgesetz eingeführt wurde, auch für die übrigen Euroländer
       gelten. Es war schon immer ein beliebtes Spiel nicht nur in der
       Bundesrepublik, die EU für politisch unangenehme Entscheidungen auf
       nationaler Ebene verantwortlich zu machen.
       
       Geradezu eine Zerstörung des Vertrauens für die Arbeitnehmer bedeuten die
       Vorschläge zur Anpassung von Tarifpolitik und Arbeitsrecht. Hierzu gibt es
       bereits klare Vorstellungen der EU-Kommission, insbesondere: Erhöhung der
       Flexibilität bei den Arbeitsbedingungen, Abbau von Kündigungsschutz,
       Lohnindexierung und Arbeitsmarktpolitik, Deregulierung der Tarifverträge.
       
       Die Lohnpolitik soll auf europäischer Ebene zentralisiert werden. Auch für
       die Arbeitnehmer in der Bundesrepublik werden sich dann die Löhne und
       Arbeitsbedingungen verschlechtern. Die "Deregulierung" von Tarifverträgen
       und die Übertragung der Lohnpolitik auf die betriebliche Ebene liefern die
       Arbeitnehmer der Willkür der Arbeitgeber aus. Die "Explosion" von
       Leiharbeit, befristeter Arbeit und 400-Euro-Jobs und damit der
       Niedriglohnsektoren auf bald ein Viertel aller Erwerbstätigen würde noch
       schneller voranschreiten und auf Europa übertragen.
       
       ## Europa soll am Exportmodell Deutschland genesen
       
       Es gilt das Motto: Europa soll am Exportmodell Deutschland genesen. Die
       Binnenkonjunktur wird zulasten der Mehrheit der Bevölkerung geschwächt.
       Dabei erfolgt seit Jahren in allen Euroländern eine Umverteilung zugunsten
       der Unternehmensgewinne und zulasten der Löhne. Spitzenreiter hierbei ist
       die Bundesrepublik.
       
       Die im Euro-Pakt ebenfalls vorgesehene Anpassung der Rentenpolitik an die
       demografische Entwicklung wird die Rentenleistungen weiter verschlechtern.
       Die Bundeskanzlerin würde sich leichter tun, die von den Menschen in der
       Bundesrepublik mit überwältigender Mehrheit abgelehnte Rente mit 67 ab 2012
       einzuführen. Auch Nicolas Sarkozy könnte seine bisher am Protest der
       Menschen in Frankreich gescheiterten Reformen zur Heraufsetzung des
       niedrigen Rentenalters eher durchsetzen.
       
       Erforderlich ist nicht der europaweite Abbau von Sozial- und
       Tarifstandards, sondern deren Weiterentwicklung – allen voran ein
       ausreichender Schutz gegen Dumping von Löhnen, Arbeits- und
       Sozialbedingungen. Unerlässlich ist die Verpflichtung der
       EU-Mitgliedsländer auf gesetzliche Lohnuntergrenzen. Fast alle Euroländer
       haben seit Jahren einheitliche gesetzliche Mindestlöhne. In den
       wirtschaftlich mit Deutschland vergleichbaren Staaten liegen diese
       inzwischen über 9 Euro die Stunde. Die Bundesrepublik ist hierbei eine
       besonders unrühmliche Ausnahme mit der Verantwortung von CDU/CSU und FDP
       für die schleppende Einführung tariflicher Mindestlöhne und die Blockade
       gegen einheitliche gesetzliche Mindestlöhne. Höchste Zeit also, die Weichen
       in der Finanz-, Wirtschafts- und Sozialpolitik der EU umzustellen. Dringend
       gefordert ist ziviler Ungehorsam von Gewerkschaften und Bürgergesellschaft.
       
       5 Apr 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ursula Engelen-Kefer
       
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