# taz.de -- Migrationspolitik in Tunesien: Helfen ist gefährlich
       
       > Die tunesische Regierung und die Opposition diskutieren über den
       > künftigen Umgang mit Migranten. Beim Transport Schiffbrüchiger nach
       > Italien riskieren Fischer Haftstrafen.
       
 (IMG) Bild: Italien soll an Tunesien 300 Millionen Euro zur Flüchtlingsabwehr gezahlt.
       
       BERLIN taz | Seit der tunesische Diktator Ben Ali Mitte Februar aus dem
       Land gejagt wurde, arbeitete Italien daran, die tunesische
       Interimsregierung in Sachen Flüchtlingsabwehr zur Kooperation zu bewegen.
       Anfang der Woche gelang es Silvio Berlusconi, die tunesische
       Übergangsregierung zu Zugeständnissen zu bewegen, um einen weiteren Zustrom
       von Flüchtlingen nach Italien abzuwehren (siehe Text oben). Doch dies stößt
       auf den Widerstand der tunesischen Opposition.
       
       "Europa spricht immer vom freien Warenverkehr, blockiert aber die
       Reisefreiheit. Das ist eine völlig falsche Priorität. Die EU muss das
       überdenken", sagt der Soziologe Mahdi Mabrouk, ein Vertreter des "Komitees
       für die Realisierung der Ziele der Revolution" aus Tunis, der sich zur
       Einladung der Heinrich Böll Stiftung derzeit in Berlin aufhält. "Die EU hat
       Bedarf an Arbeitskräften. Da ist es doch schizophren, wenn Berlusconi
       ankündigt, seine Kriegsschiffe gegen Flüchtlinge einzusetzen."
       
       Kürzlich veröffentlichten tunesische Oppositionsgruppen ein Manifest, in
       dem sie Europas Haltung in der Flüchtlingsfrage heftig kritisierten. "Wir
       sind auf uns allein gestellt und haben 163.000 Bürgerkriegsflüchtlinge aus
       Libyen gerettet", heißt es in dem Papier des tunesischen "Forums für
       wirtschaftliche und soziale Rechte". In Italien hingegen seien seit der
       Revolution gerade einmal 15.000 Tunesier angekommen. "Das ist keine
       Katastrophe und auch keine strukturelle Migration." Das Verhalten der
       Europäischen Union und der sich ausbreitende Rassismus in Italien seien
       "unverständlich".
       
       300 Millionen Euro soll sich Italien das Anfang der Woche geschlossene
       Abkommen zur Flüchtlingsabwehr kosten lassen. Doch an der tunesischen
       Interimsregierung sind viele Personen aus der Ära Ben Alis beteiligt. In
       wenigen Monaten wird in Tunesien gewählt. Und ob die sich konstituierende
       Opposition, der gute Chancen auf eine Regierungsbeteiligung eingeräumt
       werden, die konziliante Migrationspolitik fortsetzt, ist zweifelhaft.
       
       "Das ist so ein junger neuer Staat, der praktisch noch gar nicht existiert.
       Und ein großer Teil der Opposition tickt anders als die Interimsregierung",
       sagt Judith Gleitze von der Menschenrechtsorganisation Borderline Europe.
       Sie hat Tunesien nach dem Sturz Ben Alis mehrfach besucht. Das jüngste
       Abkommen mit Italien stoße bei vielen zwar auf Widerspruch, sei aber
       möglicherweise nur schwer zu annullieren.
       
       Der Migrationsforscher Mabrouk glaubt, dass die Massenauswanderung übers
       Mittelmeer anhalten werde. Zwar gebe es gegenwärtig ein "Gefühl der
       Erleichterung", erzählt er. "Die Angst davor, Kritik zu äußern, ist
       gewichen, die Presse ist frei." Doch die wirtschaftlichen Probleme
       Tunesiens könne "keine Revolutionsregierung allzu schnell beseitigen". In
       dem Land gebe es derzeit 570.00 Arbeitslose, die Quote liege bei über 28
       Prozent. Zwar habe die Übergangsregierung deshalb Sozialprogramme
       aufgelegt: 110 Euro Arbeitslosengeld, 70 Euro würden arme Familien
       zusätzlich an Unterstützung bekommen. Doch dies bremse die
       Auswanderungsneigung bislang kaum. "Wir müssen pädagogisch mit den jungen
       Menschen reden", sagt Mabrouk. Er will die Ausreisewilligen davon
       überzeugen, dass es Chancen gebe, für die es sich im Land zu bleiben lohne.
       
       Auch die beiden Tunesier Abdelbassete Jenzeri und Mohamed Amine Bayoudh
       sind derzeit in Berlin. Die Fischer hatten im August 2007 über 40
       schiffbrüchige Papierlose gerettet und nach Lampedusa gebracht. Zwei Jahre
       später wurden sie in Sizilien zu je zweieinhalb Jahren Gefängnis
       verurteilt, weil sie sich der Anweisung der Küstenwache widersetzt und in
       italienische Hoheitsgewässer eingedrungen waren. Über ihre Berufung wird im
       September entschieden.
       
       Das Unglück von der Nacht auf Mittwoch sei leider nur eines unter vielen in
       diesem Seegebiet. "Etwas Ähnliches ist dort zuletzt vor sechs Wochen
       passiert", sagt Jenzeri. Da seien 44 afrikanische Flüchtlinge ertrunken,
       weil niemand ihrem per Handy abgesetzten Hilferuf gefolgt sei. "Seit dem
       Prozess gegen uns haben die Fischer und Seeleute Angst", sagte er. "Wer
       Schiffbrüchige aufnimmt und nach Italien bringt, riskiert bis zu 14 Jahre
       Haft wegen Schlepperei. Kaum jemand traut sich da noch zu helfen."
       
       7 Apr 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Christian Jakob
       
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