# taz.de -- Ruanda-Völkermordprozess in Frankfurt: Den Opfern eine Stimme geben
       
       > Sie ist die prominenteste Tutsi-Überlebende des ruandischen Genozids in
       > Deutschland: Esther Mujawayo, berichtet, wie sie den Angeklagten
       > Onesphore Rwabukombe aufspürte.
       
 (IMG) Bild: Esther Mujawayo, Soziologin, Traumatherapeutin und Autorin aus Ruanda, bekam 2009 den Women's World Award.
       
       FRANKFURT taz | Seit nahezu zwei Jahrzehnten kämpft Esther Mujawayo gegen
       das Vergessen. Sie hat den Völkermord überlebt, als 1994 in Ruanda in 100
       Tagen eine Millionen Menschen ermordet wurden. Sie ist die bekanntste
       Tutsi-Überlebende in Deutschland, und sie ist die lauteste. Die Soziologin,
       die seit Jahren in Deutschland als Traumatherapeutin arbeitet, hat es sich
       zur Lebensufgabe gemacht, über die Ereignisse in Ruanda aufzuklären.
       Zusammen mit ihren drei kleinen Töchtern entkam Mujawayo den Mördern. Ihr
       Mann, ihre Eltern, Schwiegereltern, Geschwister und zahllose andere
       Verwandte aber wurden 1994 ermordet. Esther Mujawayo fühlte sich damals
       "zum Leben verdammt", wie sie heute sagt. "Reden, reden, reden", das habe
       auch ihr selbst geholfen.
       
       Jetzt hat sie vor Gericht geredet, zwei Tage vor dem 17. Jahrestag des
       Völkermordes. Esther Mujawayo stand am 4. April als Zeugin im Prozess vor
       dem Oberlandesgericht Frankfurt gegen einen der mutmaßlichen Täter,
       Onesphore Rwabukombe, während des Völkermordes Bürgermerister in Ruanda.
       Dem Angeklagten wird Völkermord und Mord vorgeworfen. Die Zusammenarbeit
       der 53jährigen Mujawayo mit Beamten des Bundeskriminalamtes (BKA) trug
       maßgeblich dazu bei, dass der 54jährige Rwabukombe jetzt vor Gericht steht.
       Durch ihre Bekanntheit war die Staatsschutzabteilung des BKA auf die
       Ruanderin aufmerksam geworden.
       
       Es gäbe eine Stelle bei der Polizei, die auf der Suche nach flüchtigen
       ruandischen Völkermördern sei, erklärt die Zeugin dem Gericht, "die haben
       mich kontaktiert." Falls sie Informationen über flüchtige Täter habe, solle
       sie das dem BKA sagen. Seitdem versucht Mujawayo ihre Kontakte zu nutzen,
       um mutmaßlichen Tätern auf die Spur zukommen. "Ich versuche die Wahrheit
       herauszubringen", sagt die 53jährige.
       
       ## Das erste Treffen vor Gericht
       
       Esther Mujawayo ist Onesphore Rwabukombe nie begegnet. Vor Gericht treffen
       beide erstmals aufeinander. Den Namen aber kennt sie gut. Zuerst habe ihr
       eine Freundin aus Belgien von dem ehehmaligen Bürgermeister erzählt. Später
       rief sie ein junger Ruander aus Belgien an, der ihr berichtete, dass
       Rwabukombe der Mörder seines Vaters sei und in Deutschland lebe. "Er hat
       mir von Rwabukombe erzählt und mich gefragt, ob ich weiß, wo er ist."
       
       Der Fall sei so grauenhaft gewesen, dass sie sich sofort an die Beamten des
       BKA gewandt habe. Im gleichen Jahr schrieb Interpol Rwabukombe zur Fahndung
       aus und die ruandische Generalstaatsanwaltschaft sandte einen Haftbefehl
       nach Deutschland. Die deutschen Behörden nahmen die Ermittlungen auf. Im
       April 2008 wurde der Mann schließlich verhaftet. Es folgte ein abgelehntes
       Auslieferungsgesuch aus Ruanda, die Freilassung Rwabukombes und seine
       erneute Festnahme aufgrund neuer Ermittlungen, die jetzt zum Prozess
       führten.
       
       Viele Leute hätten sie inzwischen angerufen und ihr von Rwabukombe erzählt,
       sagt Esther Mujawayo. Sie nennt eine Augenzeugin, die ihr berichtet hat,
       dass der Angeklagte Vergewaltigungen und Morde angewiesen und organisiert
       habe. Ein Mann aus dem Heimatort Rwabukombes rief sie an und fragte, "ob
       ich weiß wo Rwabukombe ist. Er sagte, dass dieser zusammen mit Gatete den
       Genozid in ihreen Gemeinden organisiert hat." Gatete war der Bürgermeister
       von Murambi gewesen, der Nachbargemeinde der Gemeinde des Angeklagten, und
       während des Völkermordes Direktor im ruandischen Frauenministerium. 2002 in
       Kongo-Brazzaville verhaftet, wurde er am 29. März 2011 UN-Ruanda-Tribunal
       im tansanischen Arusha wegen Völkermordes zu lebenslanger Haft verurteilt.
       
       ## Bürgermeister waren höchste Autorität
       
       Von der Verurteilung Gatetes hört der Vorsitzende Richter Thomas Sagebiel
       während der Vernehmung Esther Mujawayos offensichtlich zum ersten Mal,
       obwohl sie für das Rwabukombe-Verfahren von erheblicher Bedeutung sein
       könnte: es geht um Massaker in benachbarten Orten und um die Stellung von
       Bürgermeistern. "Die Bürgermeister waren die höchste Autorität", erklärt
       Mujawayo, deren Anweisungen habe sich niemand widersetzen können.
       
       Als Esther Mujawayo die Augenzeugin erwähnt, die mit ihr Kontakt aufnahm,
       fordert der Richter sie auf, die Telefonnummer der Augenzeugin laut
       vorzulesen. Die meisten der Anwesenden im Publikum schreiben die Nummer
       mit. Das bemerkt auch Richter Sagebiel und fordert die Zuschauer zur
       Zurückhaltung auf. Er hoffe, dass niemand aus dem Zuschauerraum "vor hat
       mit der Zeugin Kontakt aufzunehemen." Diesen eindringlichen Apell
       wiederholt der Richter mehrfach - ohne dabei einen der wenigen Ruander im
       Zuschauerraum aus den Augen zu lassen.
       
       Esther Mujawayo wertet den Prozess trotz solcher Merkwürdigkeiten als einen
       Schritt in Richtung Gerechtigkeit. Sie will den Opfern eine Stimme geben.
       Denn den meisten Überlebenden, erklärt sie, sei es bis heute fast
       unmöglich, über das Erlebte zu sprechen. "Wer überlebt hat, der ist von
       Grund auf erschöpft. Man hat keine Worte für das Unsagbare. Ich will
       darüber reden, damit nie wieder jemand sagen kann, wir haben nichts
       gewußt."
       
       12 Apr 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) M.-C. Bianco
       
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