# taz.de -- Netzkonferenz Re:publica: Blogger kontra Offline-Mächtige
       
       > Bei der Re:publica geht es um Konflikte im Netz und Fragen der
       > Internetkultur. Heiß diskutiert wird, wer die Regeln des Zusammenlebens
       > im Netz bestimmen sollte.
       
 (IMG) Bild: Selbst den Süßkram gibt's nur noch digital? Wohl kaum. Büffett auf der Re:publica.
       
       Wäre das Internet ein Stadtviertel, würde man derzeit von Gentrifizierung
       sprechen: Die jungen Kreativen, die das Viertel mit guten Ideen, Anarchie
       und Kostenlosmentalität attraktiv gemacht haben, sehen sich plötzlich
       einflussreichen und wohlhabenden Zugezogenen gegenüber, die nach 22 Uhr die
       Bullen rufen, wenn die Musik zu laut ist.
       
       Dieser Vergleich hinkt natürlich, denn wenn es im Netz etwas nicht gibt,
       dann ist es ein Platzproblem. Räumliche Verdrängungsprozesse gibt es also
       nicht - sehr wohl aber ein Ringen darum, wer die Regeln des digitalen
       Zusammenlebens bestimmen darf. Ein Ringen um Ge- und Verbote im Netz, um
       die digitale Deutungshoheit.
       
       Wer bestimmt, was läuft und was nicht? Arabische Diktatoren, die digitale
       Inhalte zensieren, oder eine 2-Mann-Leakplattform, die die weltweite
       Diplomatenszene in Aufruhr versetzt?
       
       Viele dieser Debatten, von der Vorratsdatenspeicherung bis zum Umgang mit
       Hackerattacken, sind nicht neu. Gebündelt geführt werden sie nun auf der
       Re:publica, der größten und einflussreichsten deutschen Konferenz zu Blogs
       und digitaler Gesellschaft, die von Mittwoch bis Freitag in Berlin
       stattfindet.
       
       Denn das Internet ist zu groß und wichtig geworden, um es zu ignorieren.
       Selbst die älteren Jahrgänge aus Politik und Wirtschaft müssen einsehen,
       dass "das Internet" ihnen nicht den Gefallen tun wird, demnächst einfach
       mal wieder wegzugehen. "Die Netzgemeinde", das ist längst kein Haufen aus
       Nerds und Geeks mehr, sondern inzwischen so ziemlich jeder.
       
       Einflussreiche Offliner - ob in Politik, Wirtschaft oder Kulturindustrie -
       strecken deshalb ihre Hände nach dem Netz aus. Der Schutz von Kindern vorm
       Anblick nackter Penisse, der Schutz alter Menschen vor digitaler Abzocke,
       der Schutz aller vor terroristischen Gefahren - all das sind
       breitenwirksame Argumentationshilfen, wenn es darum geht, ins Internet mal
       ein wenig Ordnung zu bringen. Mit der Speicherung von Nutzerdaten etwa,
       Attacken auf Servern oder erschwertem Zugang zu bestimmten Webseiten.
       
       Viele Erstbezieher des Internets, die Leute, für die man so bescheuerte
       Begriffe wie Digital Natives erfunden hat, macht das ziemlich sauer. Zum
       einen, weil viele Regelungen, die Offline-Mächtige erfinden, in der
       Netzwelt schlichtweg keinen Sinn ergeben. Vor allem aber, weil sie das Netz
       gerade für seine Offenheit, die Freiheiten schätzen, die dort jeder
       genießt. Ist es doch konstruiert als ein Paradies für Graswurzler aller
       Couleur, für Freigeister und Verquere.
       
       Doch in vielen Bereichen des Netzes spitzen sie sich derzeit zu. Wie geht
       es also weiter mit der Neutralität des Internets, mit dem Schutz privater
       Daten, dem konstruktiven Umgang mit öffentlichen Inhalten? Für diese und
       vielen weiteren Fragen ist die Re:publica ein idealer Ort. Denn anders als
       auf vergleichbaren Konferenzen trifft sich hier längst nicht mehr nur die
       deutsche Blogosphäre - sie zieht ein buntes Publikum aus Evangelisten des
       freien Internets, Großfirmenvertretern, Hacker und PR-Leuten,
       Programmierern, Politikern und Netzaktivisten an.
       
       Eine Chance, die offenbar auch dem Konferenzorganisator und deutschen
       Alphablogger Markus Beckedahl von netzpolitik.org bewusst ist: Nachdem er
       jahrelang als parlamentarischer Klinkenputzer und als geladener Experte
       versucht hatte, Politiker von Berlin bis Brüssel im Interesse eines freien
       Internets zur Raison zu bringen, wird er auf dieser Re:publica seine neu
       gegründete Organisation für Bürgerrechte und digitale Gesellschaft
       vorstellen.
       
       ***
       
       ## Protest: Cyberkriege
       
       Blockierte Webseiten, Attacken auf Amazon und Paypal, Cyberangriffe auf
       iranische Atomkraftwerke - so viel digitale Konfrontation wie im
       vergangenen Jahr gab es selten. Und vor allem: Selten wurde über sie derart
       umfangreich berichtet. Digitaler Aktivismus geht on- und offline in die
       Vollen - in arabischen Ländern wurde das Netz (solange die Regime es
       zuließen) zur Organisation von Straßenprotesten genutzt. Und die
       vielköpfigen Wütenden von "Anonymous" blockierten kommerzielle Webseiten,
       indem sie deren Server mit DDoS-Attacken überfluteten. Interessant wird
       hier nicht nur, wie Politik und Wirtschaft künftig auf derartige Gegenwehr
       reagieren, sondern auch wie solche Aktionen in der Community bewertet und
       weiterentwickelt werden.
       
       ***
       
       ## Urheberrecht: Plattenmultis vs. Piraten
       
       Schon seit Jahren nölt die Unterhaltungsindustrie, dass ihnen das Netz mit
       seinen Tauschbörsen-Auswüchsen Milliardeneinbußen beschert. Gleichzeitig
       wehren sich Verfechter von freier Netzkultur dagegen, dass selbst
       Minderjährige, die ein selbstgedrehtes YouTube-Video mit ihren
       (urheberrechtlich geschützten) Lieblings-Charthits unterlegen,
       kriminalisiert werden. Zahlreiche Aktivisten, darunter die Gruppe hinter
       [1][irights.info] und die Creative-Commons-Bewegung, wollen das
       Urheberrecht im digitalen Zeitalter generell reformieren und flexibler
       gestalten. Derweil wächst der Druck von der Gegenseite: Mit viel
       Lobbyarbeit will die Unterhaltungsindustrie scharfe Sanktionen gegen
       Filesharer durchsetzen - in Frankreich und Großbritannien bereits mit
       ersten Erfolgen. Auch auf internationaler Ebene ist sie auf dem Vormarsch:
       Unterhändler einigten sich hinter verschlossenen Türen im Dezember auf den
       Vertragstext des Acta-Abkommens, das ebenfalls Piraterie im Netz
       sanktionieren will.
       
       ***
       
       ## Information und Zensur: Daten für alle
       
       Lange hat der Westen mit dem Finger auf China und dessen Netzzensur
       gezeigt. Im letzten Jahr aber pinkelte Wikileaks den Offline-Mächtigen der
       Welt, insbesondere den USA, mit der Veröffentlichung von
       Diplomatendepeschen und Kriegsberichten derart ans Bein, dass sich auch
       dort die Frage zuspitzte, wie Regierungen mit unliebsamen Informationen
       umgehen. Die Antwort fiel ernüchternd aus: Wikileaks flog von kommerziellen
       US-Servern, Dienstleister wurden so lange unter Druck gesetzt, bis sie der
       Whistleblowing-Plattform die Zusammenarbeit aufkündigten. Parallel dazu
       arbeiteten Netzaktivisten in Island weiter an ihrer Idee eines
       Medienfreihafens für Informationen - im Juni 2010 votierte das Parlament
       für eine entsprechende gesetzliche Regelung, Vorschläge zur Umsetzung sind
       allerdings überfällig. Und auch in Deutschland wird gekämpft - für Open
       Data, die maschinenlesbare Verbreitung öffentlicher Daten. Die sollen
       genutzt werden, um allerlei nützliche Netzanwendungen zu füttern: Karten
       etwa, die die Öffnungszeiten von Schwimmbädern oder die urbane
       Lärmbelastung visualisieren. Das Problem: Viele deutsche Verwaltungen sind
       von dieser Idee nicht allzu begeistert. Zu viel Aufwand, zu teuer - und
       überhaupt, wer weiß, was die Bürger mit diesen Rohdaten noch so anfangen!
       
       ***
       
       ## Datenschutz: Privat war gestern
       
       In den letzten fünf Jahren gab es zahlreiche Diskussionen um den Schutz
       persönlicher Daten im Netz - von dem Hickhack um die
       Vorratsdatenspeicherung über die Auseinandersetzung über den Bundestrojaner
       bis hin zur aktuellen Volkszählungsdebatte. Eine große Herausforderung für
       Datenschutzaktivisten wird in den nächsten Jahren, dass Protest im eigenen
       Land nicht mehr ausreicht. Sowohl die Vorratsdatenspeicherung (die
       präventive Sicherung von IP-Adressen und ähnlichen Informationen ohne
       Anfangsverdacht) als auch das Zugangserschwernisgesetz (und die damit
       verknüpfte Frage, ob Regierungen Internetseiten mit Stoppschildern versehen
       dürfen) mit all seinen datenschutzrechtlichen Implikationen sind auch auf
       EU-Ebene Thema. Gleichzeitig gibt es auch unter Online-Affinen Streit:
       Während Datenschutztraditionalisten noch immer vor den Gefahren langer
       Datenschatten warnen, plädieren andere - etwa die Post-Privacy-Apologeten
       der "Spackeria" - für einen Bewusstseinswandel: Da im digitalen Zeitalter
       ohnehin niemand seine privaten Daten unter Kontrolle hat, solle man
       transparent möglichst viel aus der eigenen Lebenswirklichkeit ins Netz
       blasen.
       
       13 Apr 2011
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] http://irights.info/
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Meike Laaff
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Schwerpunkt Überwachung
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