# taz.de -- Minarett-Steit in der deutschen Provinz: Leitkultur, Streitkultur
       
       > Die Bürger der Kleinstadt Weinheim protestierten gegen ein Minarett. Es
       > gab Ablehnung und böse Leserbriefe in der Lokalpresse. Jetzt haben sie
       > sich geeinigt.
       
 (IMG) Bild: Idyll einer christlichen Leitkultur - ohne Minarett.
       
       WEINHEIM taz | Weinheim ist eine westdeutsche Bilderbuchstadt: Zwei Burgen
       und die Fachwerkhäuser im Zentrum stehen für mitteleuropäische Geschichte,
       zahlreiche Kirchen belegen die Prägung durch das Christentum, die
       Hochhäuser und Fabriken in den Vororten zeigen Wirtschaftskraft und
       Wohlstand an. Und auch die Einwanderungsgesellschaft hat ihre Spuren
       hinterlassen: die "Türkiyem Mevlana Moschee" am Ortsrand und, gleich
       daneben, ein 25 Meter hoher weißer Turm mit spitzem Dach, der im
       vergangenen Jahr den "Minarettstreit" auslöste.
       
       "Unsere Gemeinde wurde 1976 gegründet", sagt Ishak Ünal, der langjährige
       Vorsitzende des türkisch-islamischen Vereins der Kleinstadt im Nordwesten
       Baden-Württembergs. "Seitdem haben wir in verschiedensten Räumen gebetet,
       zuletzt in einer ehemaligen Fabrik - aber wir wollten immer eine richtige
       Moschee mit Minarett." 2002 endlich wurde das Gotteshaus eingeweiht - ohne
       Turm. "Bei der Planung gab es Ablehnung von den Nachbarn und böse
       Leserbriefe in der Lokalpresse", erklärt Ünal, "deshalb haben wir erst mal
       nur das Hauptgebäude beantragt."
       
       Erst als sich die Anwohner ein paar Jahre später an die Moschee gewöhnt zu
       haben schienen, nahmen die Weinheimer Muslime das Minarett in Angriff.
       Ünal, seit 31 Jahren in der Stadt und fast genauso lange SPD-Mitglied,
       sollte die Haltung der Gemeinderatsparteien zum Bauvorhaben sondieren.
       Sozialdemokraten, Grüne, Liberale und Linke sahen keine Probleme - aber die
       CDU machte deutlich, dass die deutschstämmige, traditionell christliche
       Bevölkerung erwarte, dass das Minarett auf keinen Fall für
       "Wortverkündigungen" genutzt wird.
       
       Der islamische Gebetsruf über Weinheim? Nach Angaben der Islamkonferenz
       gibt es in der Bundesrepublik über 2.000 muslimische Gotteshäuser - der
       "Ezan" aber wird einzig und nur an hohen islamischen Feiertagen von einem
       Minarett in einem norddeutschen Industriegebiet aus verkündet.
       
       ## Ruft der Imam vom Minarett?
       
       Trotzdem blieb Holger Haring, CDU-Fraktionsvorsitzender im Weinheimer
       Gemeinderat, skeptisch: "Schon beim Bau der Moschee wurde in der
       Bevölkerung von Täuschen, Tricksen und die Unwahrheit sagen gesprochen",
       erinnert sich der 60-jährige Inhaber einer Maler- und Stuckateurfirma. Um
       erneuten Streit zu vermeiden, nahm die CDU dem Moscheeverein das
       Versprechen ab, ein "stilles" Minarett zu bauen.
       
       Doch was das heißt, ist bis heute strittig: Laut Haring sei vereinbart
       worden, dass der Turm neben der Moschee keine Treppe haben sollte. Ünal
       dagegen ist der Ansicht, er habe zugesichert, dass vom Weinheimer Minarett
       niemals der Gebetsruf erschallen wird. "Damit hat die Treppe doch gar
       nichts zu tun", erklärt er leicht genervt, "ich habe der CDU schon damals
       gesagt: Heutzutage ruft doch kein Imam mehr vom Minarett, dafür gibt es
       Mikrofon, Kabel und Lautsprecher."
       
       Fest steht: In der Bauverpflichtung, die der Moscheeverein abgab, steht,
       dass im Minarett keine Treppe sein wird. Und unter dieser Bedingung stimmte
       die CDU dem Bauvorhaben zu. Doch dann berichteten Anwohner, dass sich
       Stufen in dem Turm befänden. Kinder entdeckten beim Spielen auf der
       Baustelle gar einen Einstieg. Holger Haring brachte den Fall in den
       Gemeinderat. Doch die Baukontrolleure der Stadt sahen nichts - Nachbarn und
       Kinder hingegen schon?
       
       Die Leserbriefspalten und das Online-Leserforum der lokalen Weinheimer
       Nachrichten füllten sich. Den "Türken" wurden "Vertrauensbruch" und eine
       "Salamitaktik" vorgeworfen, an deren Ende der "Muezzin über Weinheim rufen"
       solle. Der Abriss des Minaretts wurde gefordert. "Die Treppe war definitiv
       nicht in den ursprünglichen Bauplänen eingezeichnet", sagt Bürgermeister
       Fetzner. "Später stellte sich heraus, dass es zwei Versionen gab: eine im
       Bauamt ohne Treppe und eine beim Architekten mit." Als diese endlich ankam,
       wurde dem Bauingenieur klar, dass der Aufgang für die Statik unverzichtbar
       war.
       
       ## 300 Gläubige
       
       Für Fetzner war und ist der Minarettstreit vor allem eine baurechtliche
       Angelegenheit. "Ein Integrationsproblem in Weinheim sah und sehe ich
       nicht." Ist das angesichts einer anhaltenden Islamdiskussion in Deutschland
       nicht ziemlich naiv? "Ich wohne in der Nordstadt", erklärt der
       Bürgermeister, der lange für die Grünen im Stadtrat saß. "Sicher, es gibt
       Ansätze von Parallelgesellschaften - bei Türken und bei Deutschen."
       
       Weinheims Nordstadt ist ein typisches westdeutsches Arbeiterviertel. 12,5
       Prozent beträgt der Ausländeranteil in Weinheim heute, in der Nordstadt
       sind es 20 Prozent. Wie viele Eingebürgerte nicht mehr in der
       Ausländerstatistik auftauchen, weiß niemand. Sicher ist: 300 Gläubige
       besuchen im Schnitt das Freitagsgebet in der Moschee. Und viele Weinheimer
       stört das.
       
       Im Gegensatz zu Bürgermeister Fetzner war Helmut Schmitt klar, dass der
       Minarettstreit dabei war, sich zu einem ausgewachsenen Konflikt zu
       entwickeln. Der langjährige Ausländerbeauftragte des knapp 20 Kilometer
       entfernten Mannheim sagte sofort zu, als er gebeten wurde, ein Gremium zur
       Konfliktlösung zusammenzustellen. "Ich wusste, dass ich dazu eine kleine
       Gruppe brauchte, deren Mitglieder die Positionen abbilden und das Ansehen
       ihrer Mitbürger genießen", erklärt Schmitt. "Und: Die CDU als Initiatorin
       des Konflikts musste besonders stark vertreten sein."
       
       Die ersten Sitzungen der "Minarettkommission" waren schwierig - aber auch
       erhellend. Es stellte sich heraus, dass die Angst vor einer Islamisierung
       Weinheims nur ein Motiv für den Minarettstreit war. "Zur gleichen Zeit war
       Oberbürgermeister-Wahlkampf", erklärt Schmitt, "aber es kandidierte nur der
       SPD-Amtsinhaber. Das hat die CDU sehr geärgert. Die wollten der SPD bei
       jeder Gelegenheit eins auswischen." In Gesprächen mit Bürgern wurde zudem
       klar: Viele Weinheimer meinen, die Stadtverwaltung gehe generell zu lasch
       gegen Bausünden vor.
       
       ## "Wir haben gestritten"
       
       Auch die Parkplatzsituation in der Nordstadt, wo neben der Moschee zwei
       Kirchen, zwei Kindergärten, eine Schule, die Stadthalle und mehrere
       Supermärkte stehen, spielte eine Rolle im Minarettstreit. "Viele Bürger
       haben den Eindruck, dass alles Mögliche über ihre Köpfe hinweg entschieden
       wird - und dass sie dann die Folgen zu tragen haben." Um die versäumte
       Kommunikation nachzuholen, traf sich Ex-Ausländerbeauftragter Schmitt mit
       CDU-Mitgliedern. Alleine. "Einige haben brutale Positionen vertreten: Das
       Minarett muss zugemauert werden, die Treppe muss raus", berichtet Schmitt.
       "Das ist brandgefährlich, denn es handelt sich um gebildete Leute, die
       reden, Menschen hinter sich versammeln und ein politisches Ziel verfolgen
       können."
       
       Schmitt ging den Konflikt frontal an: "Ich habe denen offen gesagt: Wir
       müssen über Ausländerfeindlichkeit reden, über Fremdenhass. Und über
       Rassismus." Zugleich war dem Integrationsprofi klar, worin die Aufgabe der
       Minarettkommission bestand: "Wir mussten das so befrieden, dass auch die
       CDU ihren Anhängern sagen kann: Der Turm bleibt stehen."
       
       Anfang August stellte die Kommission ihren Kompromissvorschlag vor: Der
       türkisch-islamische Verein wurde aufgefordert, einen Bauantrag mit Treppe
       und Tür nachzureichen - und den Schlüssel für den von nun an als
       "Revisionsöffnung" bezeichneten Minaretteingang bei der örtlichen Feuerwehr
       zu hinterlegen. Damit erklärten sich alle Beteiligten einverstanden - auch
       Holger Haring. "Die Minarettkommission war eine gute Sache", sagt der
       CDU-Fraktionsvorsitzende rückblickend, "wir haben gestritten - aber wir
       haben uns auch ausgetauscht. Das hat sich gelohnt."
       
       Das heißt nicht, dass Harings Vorbehalte gegenüber den Weinheimer Türken
       verschwunden sind: "Die anderen Einwanderer sind in der hiesigen
       Bevölkerung aufgegangen", sagt Haring, "so, wie wir von der CDU uns
       Integration vorstellen: Man lernt die deutsche Sprache, erkennt die
       deutsche Leitkultur an und weiß, dass wir ein christliches Land sind."
       
       Auch Ishak Ünal vom türkisch-islamischen Verein ist mit der Arbeit der
       Kommission zufrieden: "Wir haben unsere Freunde kennen gelernt - und unsere
       Gegner." Aber der Moscheeverein habe viel Geld und Zeit verloren, die Ünal
       lieber für die Integration der türkischstämmigen Bevölkerung genutzt hätte.
       "Im vergangenen Jahre haben 10.000 hochgebildete türkische Mitbürger
       Deutschland in Richtung Türkei verlassen", erklärt der gelernte Schlosser,
       der seit zehn Jahren deutscher Staatsbürger ist. "Warum? Weil wir Türken
       hier auch nach 30, 40 Jahren noch immer Ausländer sind. Dabei braucht
       dieses Land dringend motivierte, qualifizierte Menschen, die hier
       aufgewachsen sind."
       
       An diesem Punkt sind sich Ünal und Haring völlig einig. Darum will der
       CDU-Fraktionsvorsitzende jetzt auch erstmals einen türkischstämmigen
       Lehrling einstellen. "Der hat die Tugenden, die ich manchmal bei
       urdeutschen Jugendlichen vermisse", erklärt der Maler- und
       Stuckateurmeister: "Fleiß, Pünktlichkeit und Höflichkeit."
       
       19 Apr 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Rüdiger Rossig
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Integration
       
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