# taz.de -- Atomkraft in Asien: Der Preis des Fortschritts
       
       > Weltweit sehen viele Staaten keinen Grund, den Ausbau der Atomenergie zu
       > stoppen - allen voran China und Indien. Schwere Unfälle nehmen sie in
       > Kauf.
       
 (IMG) Bild: Allein in China sollen 40 Prozent der weltweit geplanten AKWs entstehen: das AKW Ling'ao in Südchina.
       
       "Sie haben mehr Grund zur Sorge, wenn Sie über Delhis Straßen gehen, als
       über die Nutzung der Nuklearenergie." So vergleicht Srikumar Banerjee, Chef
       von Indiens Atomenergiekommission, Atomkraft mit dem Verkehr. Dabei ist
       Atomenergie noch die Ausnahme. Sie deckt in Indien bisher nur 3 Prozent des
       Energieverbrauchs. Das soll sich ändern. Laut Banerjee und dem Mainstream
       der indischen Elite gibt es nach Fukushima keinen Grund, den Ausbau der
       Atomenergie zu stoppen. Tschernobyl war auch keiner.
       
       Die von Asiens Eliten bisher kaum angezweifelte Atomenergie ist Teil des
       Modernisierungsmodells, das aus dem Westen stammt - ein Modell, das
       Großprojekte bevorzugt, Hochhäuser, Autobahnen, Industriekomplexe und die
       Utopie sauberer billiger Energie. Dieses in Asien gültige Paradigma
       schließt Rückschläge bis hin zu AKW-Störfällen mit ein - als Preis des
       Fortschritts.
       
       Diesem Modernisierungsmodell verdanken die Schwellenländer ihren Aufstieg.
       Dieser Weg war immer auch mit sozialen und ökologischen Kosten verbunden.
       Dennoch haben sich China und Indien längst auf diesen Weg gemacht. Ihr
       Energieverbrauch wächst so schnell, dass die Eliten die Atomkraft als eine
       von mehreren notwendigen Energieformen ansehen. In Indien haben mehr als
       100 Millionen Menschen immer noch keinen Strom. Da inzwischen der
       Klimawandel als Problem anerkannt ist, wird die Atomenergie als "grüne
       Energie" gepriesen.
       
       Dies gilt auch für Südkorea. Präsident Lee Myung Bak ist als Exchef der
       Hyundai-Bausparte ein Meister im Greenwashing. Er hat das Land mit
       pseudo-grünen Projekten zugestellt und will jetzt weltweit "grüne"
       koreanische Atomtechnik verkaufen.
       
       Insbesondere in Asien haben die Atombefürworter dieser Energie eine große
       Zukunft vorhergesagt - zumindest war das bis Fukushima so. Allein in China
       sollen 40 Prozent der weltweit geplanten AKWs entstehen. China bezieht mehr
       als 60 Prozent des Stroms bisher aus Kohle, was Smog und mehrere tausend
       tote Bergleute im Jahr bedeutet. Das Land baut auch die Erneuerbaren massiv
       aus, hat aber immer noch Engpässe, daher setzt Peking massiv auf alle
       Energieformen.
       
       ## Bestenfalls kommt es zu einer Neujustierung
       
       Überraschenderweise hat das autoritäre Chinas in Asien mit seinem am 16.
       März verhängten Genehmigungsmoratorium für neue AKWs die bisher größten
       Konsequenzen aus Fukushima gezogen. Doch das Land wird nicht auf Atomkraft
       verzichten - auch wenn die bisher geplante starke Expansion selbst
       Befürworter besorgt. Denn man kann in so kurzer Zeit nicht genug
       qualifiziertes Personal ausbilden. "Chinas nukleare Entwicklung wird sich
       in den nächsten zwei bis drei Jahren verlangsamen", sagte der
       stellvertretende Generalsekretär von Chinas Atomenergieverband, Feng Yi,
       kürzlich. "Aber auf mittlere bis lange Sicht kann Chinas Nuklearstrategie
       nicht erschüttert werden."
       
       Fukushima dürfte in China bestenfalls zu einer Neujustierung führen, nicht
       zu einem Kurswechsel. Vielleicht verzichtet man auf ein, zwei AKWs, doch
       ein Ausstieg ist nicht in Sicht. Das dürfte auch für Demokratien wie
       Südkorea, Indien oder die einstiegswilligen Länder Indonesien und Thailand
       gelten. Fukushima wird den Bau von AKWs nur erschweren oder verteuern. Die
       Katastrophe in Japan führt vor allem zu einer größeren öffentlichen
       Debatte.
       
       Dies könnte selbst für Vietnam gelten. In dem Einparteienstaat gab es
       bisher keine Debatte über den bis 2030 geplanten Bau von mindestens 8 AKWs.
       Dieser Plan ging 2009 ohne Fragen durch die Nationalversammlung. Für eine
       größere Abkehr von der Atomkraft bräuchte es in Asien ein funktionierendes
       alternatives Modell der Modernisierung, das hohen Lebensstandard mit
       nachhaltiger Wirtschaft verknüpft.
       
       "Wir sind begierig zu erfahren, wie Deutschland seinen Energiebedarf
       künftig decken wird," sagte diese Woche der chinesische Umweltaktivist Li
       Bo in Berlin. Deutschland kommt mit seinem anvisierten Atomausstieg eine
       Pilotfunktion zu. Viele sind beeindruckt von der Entwicklung der
       erneuerbaren Energien. Doch auch Deutschland hat noch nicht gezeigt, dass
       es wirklich auf Atomstrom verzichten, zugleich den Gebrauch fossiler
       Energien weiter einschränken und immer noch einen hohen Lebensstandard
       halten kann. Solange dürften die Schwellenländer am Modernisierungskurs
       festhalten, samt Atomkraft.
       
       27 Apr 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Sven Hansen
       
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