# taz.de -- Arbeitnehmerrecht in Deutschland: Hey Boss, ich brauch mehr Mitsprache
       
       > Ginge es nach SPD und Linkspartei, hätten Arbeiter in der Firma mehr zu
       > sagen. Ob die Sozialdemokraten auch als Regierungspartei danach handeln
       > werden?
       
 (IMG) Bild: Sollen mehr mitreden dürfen: Angestellte im Betrieb, hier BMW.
       
       BERLIN taz | Selten agierten sie so einig. Die SPD- und die Linksfraktion
       haben Anträge an die Bundesregierung gerichtet, in denen sie fordern, die
       Mitbestimmung von Arbeitnehmern in Aufsichtsräten von Unternehmen deutlich
       zu stärken. Am Montag debattierten darüber Experten im Ausschuss für Arbeit
       und Soziales des Bundestags.
       
       Die Oppositionsparteien plädieren zum einen dafür, die deutschen
       Mitbestimmungsregelungen für Aufsichtsräte künftig auch auf Unternehmen mit
       ausländischer Rechtsform auszudehnen, die ihren Sitz in Deutschland haben.
       
       Zum anderen, so will es in ihrem aktuellen Antrag die SPD, sollen
       Unternehmen in Zukunft keine Betriebe mehr schließen, verkaufen oder
       verlagern können, ohne dass Arbeitnehmervertreter dem im Aufsichtsrat
       zustimmen müssen. Auch sollen die Schwellen für die Einrichtung von
       unternehmensbezogener Mitbestimmung gesenkt und das Doppelstimmrecht von
       Aufsichtsratsvorsitzenden, die von der Arbeitgeberseite kommen, aufgehoben
       werden. Die Linke hatte weitgehend gleiche Forderungen bereits in der
       letzten Legislaturperiode erhoben.
       
       "Mit unserem aktuellen Antrag wollen wir auf ein spezielles Problem
       aufmerksam machen, bei dem die Bundesregierung handeln muss", sagt Jutta
       Krellmann, Sprecherin für Arbeits- und Mitbestimmungspolitik der
       Linksfraktion. Denn seit 2006 ist die Anzahl der Unternehmen in
       Deutschland, die eine ausländische Rechtsform - beispielsweise eine Limited
       & Co. KG statt einer GmbH - für ihr Unternehmen wählen, auf 43 angestiegen.
       Auch Josip Juratovic, SPD-Bundestagsabgeordneter, sagt: "Deutlich mehr
       Unternehmen als früher versuchen, der Mitbestimmung zu entgehen, das wollen
       wir verhindern."
       
       Mit einem Wechsel in eine ausländische Rechtsform hebeln Betriebe nämlich
       die deutsche Unternehmensmitbestimmung aus: Beschäftigte haben kein Anrecht
       mehr darauf, Vertreter in den Aufsichsrat zu entsenden. So verschwanden
       beispielsweise bei den Modeketten H&M oder Zara, der Fluggesellschaft
       Airberlin oder der Drogeriekette Müller die Möglichkeiten, die
       Geschäftsführung zu kontrollieren, Wirtschaftsdaten einzusehen
       Vorstandsvergütungen oder Verlagerungen mitzudiskutieren. "43 klingt nach
       nicht viel, aber es sind große Unternehmen, die wiederum mehrere Betriebe
       haben und in jedem Betrieb geht es um Menschen und ihre Schicksale", sagt
       Krellmann.
       
       Die deutsche Unternehmensmitbestimmung ist international weitgehend
       einzigartig. Die weitreichendste Form der Mitbestimmung, die
       Montanmitbestimmung, gilt seit 1951 in der Eisen- und Stahlindustrie sowie
       im Bergbau. Gibt es mehr als 1.000 Beschäftigte, muss der Aufsichtsrat
       paritätisch von gleich vielen Vertretern der Arbeitnehmer- und
       Arbeitgeberseite besetzt werden. Bei strittigen Fragen entscheidet in
       Pattsituationen ein "neutrales Mitglied".
       
       ## Vorschläge könnten gerne noch weiter gehen
       
       Anders sieht es in Kapitalgesellschaften jenseits der Montanindustrie aus.
       Haben diese mehr als 2.000 Beschäftigte, besitzen auch hier die
       Arbeitnehmer das Recht, die Aufsichtsratssitze zur Hälfte zu besezten.
       Allerdings kann der Aufsichtsratsvorsitzende, der in der Regel der
       Kapitalseite angehört, mit einer Doppelstimme die Beschäftigen überstimmen.
       Man spricht deswegen auch von einer "Scheinparität". In Betrieben, die
       zwischen 500 und 2.000 Mitarbeiter haben, können die Arbeitnehmer nur ein
       Drittel der Plätze im Aufsichtsrat ("Drittelbeteiligung") besetzen. Leer
       gehen Beschäftige in Betrieben mit weniger als 500 Mitarbeitern aus.
       Derzeit unterliegen etwa 700 Unternehmen der paritätischen Mitbestimmung,
       weitere 1.500 Unternehmen der Drittelbeteiligung.
       
       "Die Forderungen sind lange überfällig, man kann froh sein, dass die SPD
       sie aufgegriffen hat", sagt Heinz-Josef Bontrup. Bontrup,
       Wirtschaftswissenschaftler, Professor an der Fachhochschule Gelsenkirchen
       und Mitglied der Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik, gehen die
       SPD-Vorschläge allerdings nicht weit genug. Vor dem Ausschuss für Arbeit
       und Soziales hat er am Montag seine Forderungen präzisiert. "Man sollte ein
       einheitliches Mitbestimmungsgesetz machen und die drei Regelungen
       zusammenführen." Bontrup plädiert dafür, dass künftig ab 500 Mitarbeitern
       in einem Betrieb immer die echte paritätische Mitbestimmung mit einem
       "neutraler Mitglied", sprich ohne das doppelte Stimmgewicht des
       Aufsichtsratsvorsitzenden, gelten soll.
       
       Die SPD hingegen differenziert aus: Eine echte paritätische Mitbestimmung
       mit einem "neutralen Mitglied" wie in der Montanindustrie soll künftig ab
       1.000 statt 2.000 Beschäftigte grundsätzlich für alle Betriebe gelten.
       Andererseits hält die SPD an der Drittelbeteiligung fest. Sie soll aber
       früher, ab 250 statt 500 Mitarbeitern, greifen. Gesetzlich vorschreiben
       wollen die Sozialdemokraten zudem, dass Arbeitnehmervertreter im
       Aufsichtsrat zentralen Entscheidungen wie dem Verkauf, der Verlagerung oder
       Schließung von Betrieben zustimmen müssen. Bontrup fordert gar eine
       Zweidrittelmehrheit, die sich dafür aussprechen müsse.
       
       Linke und SPD begreifen ihre Forderungen auch als Lehre aus der
       zurückliegenden Wirtschaftskrise. "Wir haben die Krise nicht zuletzt so gut
       wegen der Mitbestimmung überstanden", sagt Krellmann. Juratovic will eine
       Stärkung auch, "um bei der nächsten Krise die einseitige Profitmaximierung
       zu verhindern".
       
       ## Arbeitgebern stehen die Haare zu Berge
       
       Für Bontrup ist das ein entscheidender Punkt: "Ohne gleichberechtigte
       Teilhabe von Kapital und Arbeit läuft kein Betrieb. Wenn Mitbestimmung also
       zu höherer Rentabilität und Effizienz führt, wie Untersuchungen zeigen,
       dann darf sich nicht nur die Kapitalseite das Geld einstecken." Für ihn
       steht deswegen auch eine verbindliche Gewinn- und Kapitalbeteiligung der
       Beschäftigten auf der Tagesordnung - "erst dann ist das Rad rund und wir
       können von Wirtschaftsdemokratie sprechen". Den Arbeitgebern stehen bei
       solchen Forderungen hingegen die Haare zu Berge. Linke und SPD würden die
       "Isolierung des deutschen Mitbestimmungssystems in Europa vertiefen", die
       "Montanbestimmung sei nicht europakompatibel" beschied die
       Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) auf der Anhörung.
       
       Zu teuer sei zudem für kleinere und mittlere Unternehmen die Absenkung der
       Schwellenwerte zur Mitbestimmung. Und dass Beschäftigte künftig darüber
       mitentscheiden dürften, ob ihr Betrieb geschlossen und sie auf die Straße
       gesetzt würden, lehnt der BDA aus "ordnungspolitischen und dogmatischen
       Gründen" ab. Stattdessen plädiert er dafür, die deutschen
       Mitbestimmungsregelungen aufzuweichen: Unternehmen und Arbeitnehmer sollten
       statt gesetzlicher Verpflichtungen ein "passgenaues Mitbestimmungssystem
       für das Unternehmen frei vereinbaren können". "Wir wollen unsere Pläne
       spätestens bei der nächsten Bundestagswahl 2013 umsetzen", sagt hingegen
       SPD-Mann Juratovic.
       
       Bontrup ist da vorsichtiger: "Es wird spannend zu sehen, ob sich die SPD
       bei einer Regierungsbeteiligung 2013 noch an ihre Ideen erinnert."
       
       9 May 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Eva Völpel
       
       ## TAGS
       
 (DIR) EuGH
       
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