# taz.de -- Aktionstag auf der Kastanienallee: Protest mit Malkreide und Superstar
       
       > Gegen den Ausbau der Kastanienallee sind alle gekommen: vor dem Regen die
       > Familien, nach dem Regen Sängerin Peaches und ihre Fans.
       
 (IMG) Bild: Gut besucht: Der Aktionstag der BürgerInnen gegen den Umbau der Kastanienallee.
       
       Unaufhörlich fällt der Regen in die Löcher der kaputten Gehwegplatten und
       staut sich alle paar Meter zu großen Pfützen. Die Straßenbahnschienen haben
       sich in Regenrinnen verwandelt, in denen die Blüten der Kastanienbäume und
       die Zigaretten hunderter Besucher die Kastanienallee in Prenzlauer Berg
       hinabtreiben. Dort erreicht das Wasser schließlich den unteren Teil der
       Straße, der schon jetzt eine Baustelle ist.
       
       Dass es auch den anderen Teilen der Allee so ergeht, dass der Gehsteig
       beschnitten und die Fahrbahn verbreitert wird, will die Bürgerinitiative
       "Stoppt K21" verhindern und hat den Samstag zum Aktionstag ausgerufen.
       
       "Scheiß Wetter!", schimpft ein junger Mann im Anzug, der Schutz in einer
       Einfahrt sucht. "Woodstock-Feeling!" sagt Till Harter von der Initiative,
       als er die nächste Band ankündigt. Elektronische Beats schallen von der
       Bühne, vor der sich drei kleine Besuchergruppen eng unter Regenschirme
       drängen. Vielleicht 20 Leute verschanzen sich unter dem Dach der
       Bushaltestelle daneben. Die Cafés und Restaurants, die das Bild der Straße
       prägen, bieten Zuflucht unter ihren Markisen. Höflich fragt die Bedienung
       von Sumo Sushi eine Gruppe junger Männer: "Was möchten Sie bestellen?" -
       obwohl sie schon zu wissen scheint, dass die adretten Herren nur auf den
       Holzbänken des Restaurants sitzen, um im Trockenen ihr Spätkauf-Bier zu
       trinken. "Tut uns leid!", sagt einer der Jungs, sie ziehen weiter. Ein "Tag
       des Zorns", wie die Aktion in einigen Presseartikeln angekündigt war, ist
       das hier nicht. Regenschauer und Zusammenrücken statt Wasserwerfer und
       Wegrennen.
       
       In diesem Moment glaubt man kaum, dass der Aktionstag während der ersten
       vier Stunden einem gut besuchten Sommerstraßenfest glich, einem
       Bürgerprotest, der tatsächlich vor allem bürgerlich war. "Ich genieße erst
       einmal, dass es heute keinen Verkehr auf der Straße gibt", sagte eine
       Mutter, die nicht mit Namen genannt werden wollte und im Sonnenschein ihr
       Fahrrad schob, neben ihr die kleine Tochter, um sie herum hundert weitere
       Jungfamilien. Auch Filmregisseur Wim Wenders schob sein Rad zwischen den
       Besuchern durch. "Einen Moment, ich suche gerade meine Frau", sagte er, und
       als er sie gefunden hatte, dass er jeden Tag durch die Straße fahre: "Ich
       finde, die Bürger haben vollkommen recht. Ich mag die Kastanienallee so,
       wie sie ist."
       
       Vor der Bühne wollte trotz Musik zu diesem Zeitpunkt noch niemand tanzen.
       Wahrscheinlich auch, um den Fünf- bis Achtjährigen nicht die Sicht zu
       verdecken, die davorsaßen und selbst dann noch erstaunlich brav zuhörten,
       wenn die Musik mal wieder ausging und eine weitere Rede über die
       Demokratiebewegung gehalten wurde.
       
       Die Piratenpartei hatte einen sehr orangefarbenen Stand aufgebaut, an dem
       sie Unterschriften für das Bürgerbegehren sammelte und informierte. "Es ist
       über die Köpfe der Bürger hinweg entschieden worden", begründete Michael
       Mittelbach von den Piraten die Unterstützung. Nur knapp drei Meter daneben
       hatte Florian Schöttle von der Linken einen Tisch aufgestellt, eine
       Parteifahne rechts, eine links. "Die Planung ist durchgepowert worden, ohne
       die Bürger zu fragen." Deshalb unterstütze er das Bürgerbegehren, auch wenn
       seine Partei für den Umbau votiert habe.
       
       ## "Alles ruhig und friedlich"
       
       Jetzt, da sich die Besucher vor dem Regen verstecken, ist von den bunten
       Kreidebildern, die die Kinder auf die verkehrsfreie Straße gemalt haben,
       nichts mehr übrig. An den Kreuzungen vor und hinter der Veranstaltung hat
       die Polizei Stellung bezogen. Im Bus machen zwei Beamte Brotzeit, daneben
       weisen Kollegen einem verirrten Fußgänger die Richtung. "Ruhig und
       friedlich" nennt der Dienstgruppenleiter die Lage: "So wie wir es am
       Prenzlauer Berg gewohnt sind." Ob die Polizei die Redezeit stoppe und mit
       der Zeit für Musik abgleiche? Dazu kann Barth nichts sagen, dafür ist seine
       Abteilung nicht zuständig. "Aber wir registrieren sehr wohl, wie viele
       Rede- und Kulturbeiträge aufgeführt werden." Im Vorfeld hatte die Polizei
       den Aktionstag nicht als politische Versammlung anerkannt und ihm keine
       Genehmigung erteilt. Die konnte erst gerichtlich durchgesetzt werden.
       
       Spätestens beim Auftritt der Sängerin Peaches verschwimmt die
       Unterscheidung zwischen Kultur und Politik aber unweigerlich. Bürgerprotest
       hin oder her, viele sind wegen ihr hier. Ein internationaler Superstar, der
       auf einer Bühne spielt, die trotz aller Mühen etwas provinziell anmutet.
       Freiwillig habe sie sich gemeldet, weil sie die Bürgerinitiative
       unterstützen wolle, erzählt die Kanadierin auf Englisch von der Bühne
       herab. Um anschließend in gewohnter Bescheidenheit zu rufen: "Ich bin ein
       internationaler Superstar. Ich kann überall auf der Welt wohnen, wo ich
       will. Aber ich lebe in Berlin und ich will, dass es so bleibt, wie es ist."
       Sie gebe keinen "Fuck" auf den Verkehr und liebe breite Gehsteige.
       
       Es folgt eine halbstündige Show, in der die Sängerin nicht nur ihre Hits
       ins Mikro singt, ruft und schreit, sondern immer wieder ermahnt: "Sign the
       petition!" Sie hat sogar einen eigenen Song über den Protest komponiert,
       dessen Refrain aus einem monotonen, aber energischen "Stoppt K21, stoppt
       K21" besteht. Die Menge tobt, vor der Bühne ist kein Durchkommen mehr, und
       tatsächlich ist die Schlange vor den Unterschriftenlisten danach länger als
       den ganzen Tag zuvor.
       
       15 May 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Sebastian Fischer
       
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