# taz.de -- Unterwegs mit einem Plagiatsjäger: Suchen, finden, stürzen
       
       > Abgeschrieben, abgetreten: Guttenberg und Koch-Mehrin wurden beim
       > Schummeln erwischt. Wer ist der Nächste? Auf Streife mit einem
       > Plagiatsjäger.
       
 (IMG) Bild: Zeigt, wo geschummelt wurde: Grafik auf GuttenPlag.
       
       BERLIN taz | Er möchte Goali genannt werden. Den Rasen im Garten hat er
       heute gemäht. Zehn Millimeter hoch. "Ich bin ein Spießer", sagt er. Lacht
       ins Skype-Mikrofon.
       
       Auf dem Dachboden des Einfamilienhauses hat er sein Büro. Auf dem
       Schreibtisch sechs Kaffeetassen, vier Apfelsaftflaschen, eine zweite
       Tastatur, vier Golfbälle, Papiertaschentücher, eine Glühbirne. "Es schaut
       nach rastloser Arbeit aus," sagt er. Hier jagt Goali Plagiate. Und ich darf
       heute mit auf die Jagd.
       
       Mitte vierzig ist der Mann mit dem Pseudonym, er wohnt in Süddeutschland,
       führt ein unauffälliges Leben. Trotzdem macht er mit anderen Schlagzeilen.
       Sie stürzen Politiker. Gerade hat Silvana Koch-Mehrin ihre Ämter
       aufgegeben. Jetzt haben wir uns einem neuen Fall genähert.
       
       ## Plagiate riechen
       
       Goali ist eher zufällig geworden, wovon auf einmal überall die Rede ist:
       Plagiatsjäger. Im Februar sitzt er gerade an einem Arbeitsauftrag, als er
       über Guttenplag stolpert. Zwei Tage schaut Goali zu, bis er sich in den
       Chat einklinkt und Teil der Community wird. "Ich wollte wissen, was da
       läuft. Plötzlich wurde es dort brechend voll." Jemand hatte geschrieben,
       die Seiten 39 bis 44 würden nach Plagiat riechen.
       
       Goali, wie riecht ein Plagiat? Er schmunzelt, überlegt. "Es riecht nach
       Faulheit." Weil er mitmachen möchte, fragt er im Chat nach, ob er helfen
       kann. Kurz darauf bekommt er die Guttenberg-Dissertation von einem anderen
       Nutzer als PDF. Und darf selbst beginnen.
       
       Ohne etwas Bestimmtes zu suchen, liest er sich zwei Äbsätze durch. Bis ihm
       ein Wort auffällt: "Geburtswehen". Das kommt nicht häufig vor. Er sucht
       sich ein zweites, simples Wort aus dem Titel der Arbeit und gibt beide in
       die Google-Books-Suche ein - den Index, der tausende Bücher listet. Findet
       mehrere Bücher, die sie enthalten. Das vierte steht bei ihm im Regal.
       Volltreffer. Die Abschnitte stimmen überein. "Ich habe eine Gänsehaut
       bekommen". Am nächsten Tag ruft Goali im Lehrstuhl an und meldet das
       Plagiat.
       
       Möchte er nicht irgendwann Anerkennung für den Job, den er ja irgendwie im
       Dienst der Wissenschaft macht, Anerkennung unter seinem echten Namen? Goali
       grinst: "Mit dem Bundesverdienstkreuz rechne ich schon noch. Nein, im
       Ernst, man braucht ein hohes Maß an intrinsischer Motivation, so etwas zu
       machen. Gegenfrage: Warum führst du bis 23 Uhr Interviews mit mir? Warum
       mähe ich den Rasen auf zehn Millimeter?"
       
       Goali hat seine eigene Website gegründet, VroniPlag. Benannt nach der
       ersten Dottoressa, deren Arbeit untersucht wurde - Veronica Saß, Tochter
       von Edmund Stoiber. Der Titel ist ihr mittlerweile von der Universität
       aberkannt worden.
       
       Jetzt bin ich dran. Mit Jagen. Wir nehmen uns Jorgo Chatzimarkakis vor, am
       vergangenen Donnerstagabend. Es dauert vier Tage, da bittet der
       FDP-Europaabgeordnete die Uni Bonn persönlich, seine Doktorarbeit
       überprüfen zu lassen.
       
       Und das kommt so: Gerade hatte jemand Goali gegenüber einen Verdacht zu
       Chatzimarkakis Arbeit ausgesprochen. Er schickt mir also die PDF-Version
       der Doktorarbeit. Titel: "Informationeller Globalismus. Kooperationsmodell
       globaler Ordnungspolitik am Beispiel des elektronischen Geschäftsverkehrs",
       der Philosophischen Fakultät der Universität zu Bonn vorgelegt.
       
       Goali leitet mich an. Ich gehe nach dem Zufallsprinzip vor und soll ein
       besonderes Wort suchen. Goali hilft mir, und wir picken uns die
       Wortkombination "politisch-gesellschaftliche Infrastruktur" heraus.
       
       Bisher läuft das potenzielle Plagiat "noch nicht in der Meute", sagt Goali.
       "Aber die Jägersprache lieben wir eigentlich nicht", schiebt er hinterher.
       Wir zwei sind die Ersten, die sich mit dieser Arbeit beschäftigen. Die
       Stelle, die wir untersuchen, ist laut Goali "nicht richtig sauber". Es wird
       zwar eine Quelle angegeben. Anführungszeichen fehlen aber, und es ist nicht
       klar, worauf sich die Fußnote bezieht. Ich gebe unsere besonderen Wörter
       bei Google Books ein. Wir finden das Buch "Außenpolitik, Band 48" von 1997.
       Es wird ein Snippet angezeigt, ein Ausschnitt aus der Originalquelle mit
       den entscheidenden Wörtern. Treffer!
       
       ## Vom Jagdfieber gepackt
       
       Der Abschnitt der Quelle entspricht fast genau dem der Dissertation.
       Langsam kann ich das Jagdfieber verstehen. Bin aufgeregt. Wir legen die
       Seite in einem nicht indizierten - nicht von einer Suchmaschine zu
       findenden - privaten Bereich auf VroniPlag an. Ich soll die
       Plagiatskategorie wählen. Ich wähle: verdächtig.
       
       Jetzt werden die zwei Textstellen gegeneinander geschnitten. Ich tippe
       beide Absätze in Felder ein und klicke auf "Speichern".
       
       Sobald die Seite gespeichert ist, muss ich mit Beobachtern rechnen, erklärt
       mir Goali. "Zehn Leute gucken da bestimmt sofort drauf. Eigentlich müsstest
       du dich jetzt im Chat vorstellen."
       
       Ich melde mich an. Kontaktiere den User, der den Hinweis auf die
       Dissertation gegeben hat. Er antwortet: "super fund, top :)". Ich erkläre
       schnell, dass ich das nicht allein war. Trotzdem freue ich mich. Es ist der
       dritte Fund in der Dissertation. Goali beglückwünscht mich: "Wenn der in
       vier Wochen zurücktritt, hast du den dritten Stein gesetzt." Es klingt, als
       hätte ich den dritten Stein geworfen. Dabei bin ich doch selbst nicht
       unfehlbar.
       
       Es erscheint mir schwierig, einzuschätzen, was hier bewusste Täuschung und
       was schlampiges Zitieren ist. Goali beruhigt mich: "Das ist wie beim
       Hausbau. Die Wissenschaft muss auf einem gesunden Fundament stehen." Die
       Usernamen im Chat deuten mehrheitlich auf Männer hin. Ist das Jagen ein
       geschlechtsspezifischer Sport? Obwohl mir mein Fund gefällt, weiß ich, dass
       ich Goali Aufforderung, selbst weiterzusuchen, kaum nachkommen werde. Zu
       kleinteilig kommt mir die Suche vor, meine Motivation nicht ausreichend
       hoch. Und die Verantwortung. Ein Plagiatsverdacht, einmal ausgesprochen,
       ist ein Makel, der haften bleibt.
       
       VroniPlag geht an die Öffentlichkeit, als das Plagiat etwa vierzig Seiten
       mit Funden hat. Nachdem der Fall am Sonntag publik wird, äußert sich
       Chatzimarkakis auf seiner Homepage und räumt ein, dass seine Zitierweise
       Raum für Spekulationen schaffe. Immerhin meldet er sich sofort zu Wort.
       Koch-Mehrin schwieg zu lange.
       
       Auch wenn unsere Suche schnell mit einem Ergebnis belohnt wurde - die
       Plagiatsjagd ist ein zeitintensives Hobby. Nicht immer wird man in einer
       200-Seiten-Arbeit so flott fündig. Wie schafft das Goali zwischen Arbeit
       und zwei Kindern? Es gehe nur mit viel Verzicht. Wenig Schlaf, extreme
       Disziplin. Wann er das letzte Mal einen Tag offline war? Er kann sich nicht
       erinnern.
       
       ## Eine Elite am Pranger
       
       Vielleicht zahlt sich seine anonyme Jagd irgendwann aus. Abgesehen von der
       Genugtuung, die er verspürt, könnte sich auch beruflich etwas ergeben.
       Früher oder später werden die Hochschulen Menschen brauchen, die die
       Plagiatsstreife beherrschen. Noch gibt es aber keinen Markt für seine
       Fähigkeiten. Ein Grund, warum Goali anonym bleiben möchte. Obwohl er es
       schon schön fände, wenn Annette Schavan sagen würde: "Ihr macht das gut,
       macht mal weiter. Ich stelle euch einen Etat zu Verfügung."
       
       Dr. Debora Weber-Wulff geht einen Schritt weiter. Die Berliner Professorin
       für Medieninformatik ist in den Wikis aktiv und meint, der Bundestag sollte
       seine Doktortitel nicht verwenden. Im Wahlkampf sollte kein "Dr." auf
       Plakaten stehen. Im Wirtschaftsleben sollte der "Dr." nicht auftauchen. "Es
       geht bei diesen Titeln um Wissenschaft. Parteipolitik und Industrie haben
       damit nichts zu tun", sagt Debora Weber-Wulff, eine gebürtige
       US-Amerikanerin, die über den Umgang der Deutschen mit Titeln nur den Kopf
       schütteln kann. Dass bestimmte Parteien von Plagiatsjägern ins Visier
       genommen werden, bestreitet sie. Plagiatsforscher oder Plagiatswiki-Aktive
       sollten die Frage eher umdrehen: Was sind das für Parteien, in denen
       offenbar extrem viel Wert auf Titel gelegt wird?
       
       Was Goali von Politikern hält? "Wenn man an deren Mäntelchen klopft, fällt
       der ganze schöne Staub ab, und die stehen nackig da." Plagiatsjagd verkehrt
       Regeln. Wirft ein anderes Licht auf Chatzimarkakis, der offene Diskussionen
       sonst so sehr schätzt. Lässt anonyme Online-User einer Elite auf die Füße
       treten.
       
       21 May 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Nicola Schwarzmaier
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Silvana Koch-Mehrin
 (DIR) Silvana Koch-Mehrin
 (DIR) Europäisches Parlament
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Gericht über Ex-Doktorin Koch-Mehrin: Keine Bagatell-Plagiatorin
       
       Der FDP-Politikerin Koch-Mehrin wurde zu Recht der Doktortitel entzogen,
       urteilt ein Karlsruher Gericht. Die „Bagatellschwelle“ sei bei weitem
       überschritten worden.
       
 (DIR) Doktortitel weg: Silvana bleibt Koch, kein Doktor
       
       Die FDP-Politikerin Silvana Koch-Mehrin bekommt ihren Doktortitel wohl
       nicht mehr zurück. Sie scheiterte mit einer Klage – wird aber wohl in
       Berufung gehen.
       
 (DIR) Silvana Koch-Mehrin: Erst gefeiert, dann vergessen
       
       Als Silvana Koch-Mehrin 2004 ins Europaparlamant einzog, war sie
       FDP-Hoffnungsträgerin und Medienliebling. Davon ist wenig geblieben.
       
 (DIR) Plagiatsvorwürfe gegen Bernd Althusmann: CDU-Kultusminister räumt Fehler ein
       
       Der niedersächsische Kultusminister Bernd Althusmann steht unter
       Betrugsverdacht. Er soll in seiner Promotionsarbeit falsch zitiert haben.
       Die Uni Potsdam hat eine Prüfung eingeleitet.
       
 (DIR) Noch mehr Plagiate: FDP wird zur Copy&Paste-Partei
       
       Die Liberalen sind gespalten, wenn es um die Causa Koch-Mehrin geht. Die
       Haltung der FDP-Spitze sorgt für Unmut in der Partei. Und es gibt weitere
       Plagiatsfälle.
       
 (DIR) Doktorarbeit von Koch-Mehrin: Die Universität schlägt zurück
       
       Der Doktorvater und der Universitätsdekan zeigen sich irritiert.
       Silvana-Koch-Mehrin hatte den Gutachtern eine Mitschuld an ihrer
       plagiierten Doktoarbeit gegeben.
       
 (DIR) Plagiatsaffäre um Doktorarbeit: Koch-Mehrin stellt sich stur
       
       Das will sie nicht so leicht auf sich sitzen lassen: Silvana Koch-Mehrin
       will prüfen lassen, ob die Aberkennung ihres Doktortitels rechtens ist.
       
 (DIR) Plagiatsfall Silvana Koch-Mehrin: Doktortitel futsch
       
       Silvana Koch-Mehrin ist nicht nur ihre politischen Führungsämter los,
       sondern jetzt auch ihren Doktortitel. Die Universität Heidelberg entzog ihr
       den Titel.
       
 (DIR) Plagiatsfall nun auch bei der SPD: Wieder ein Doktor, der keiner ist
       
       Die Plagiatjäger haben wieder zugeschlagen, dieses Mal bei der SPD. Uwe
       Brinkmann, ehemaliger Parteifunktionär, soll in seiner Doktorarbeit
       abgeschrieben haben.
       
 (DIR) Nach Plagiatsvorwürfen an Koch-Mehrin: Zwischen den Zeilen, Satz für Satz
       
       Meine Leistungen haben sich gar nicht gelohnt... Was die FDP-Politikerin
       Silvana Koch-Mehrin mit ihrer Rücktrittserklärung wirklich sagen wollte.
       
 (DIR) Plagiatsvorwürfe an Koch-Mehrin: Rückzug aus der Angriffszone
       
       Auch Silvana Koch-Mehrin soll bei ihrer Doktorarbeit abgeschrieben haben.
       Sie legt alle FDP-Ämter ab, behält aber ihr Mandat. Die
       EU-Parlamentsfraktion will zu ihr halten.
       
 (DIR) Bayreuther Professor über Causa Guttenberg: "Ich sehe kein allgemeines Problem"
       
       Uni-Ombudsmann Diethelm Klippel bezeichnet Guttenberg als Einzelfall und
       plädiert, alles beim Alten zu lassen. Das Verhältnis zwischen Doktorand und
       Betreuer hält er nicht für antiquiert.