# taz.de -- Streit um Amnestiegesetz in Uruguay: Aufmarsch gegen das Vergessen
       
       > Zehntausende demonstrieren für ein Ende der Straflosigkeit bei Verbrechen
       > aus der Zeit der Diktatur. Präsident Mujica laviert, im linken
       > Regierungsbündnis kriselt es.
       
 (IMG) Bild: Demonstration für die Opfer der Militärdiktatur am vergangenen Freitag in Montevideo.
       
       PORTO ALEGRE taz | Montevideo am Freitagabend: Eine riesige Menschenmenge
       zieht über die zentrale Allee 18. Juli in Uruguays Hauptstadt. An der
       Spitze des Zuges tragen die Marschierenden ein riesiges Transparent mit der
       Aufschrift "Wahrheit und Gerechtigkeit, Recht für alle, Verantwortung des
       Staates", dahinter halten sie die vergrößerten, oft vergilbten
       Schwarz-Weiß-Porträts von "Verschwundenen" des Militärregimes (1973-85)
       hoch. Auf der Höhe des Rathauses ruft man ihre Namen auf, an die 200 sind
       es.
       
       Seit 1996 organisieren die "Mütter und Familienangehörigen der
       Verhaftet-Verschwundenen" alljährlich den Schweigemarsch gegen die
       Straflosigkeit. Diesmal war die Resonanz besonders groß, Zehntausende
       kamen. Die von ihnen geforderte Annullierung des Amnestiegesetzes aus dem
       Jahr 1986 bestimmt seit Wochen die politische Agenda. Am frühen Morgen
       hatte das linke Regierungsbündnis "Frente Amplio" im Abgeordnetenhaus eine
       bittere Abstimmungsniederlage hinnehmen müssen: Weil ihr Parlamentarier
       Víctor Semproni nach einer 14-stündigen Debatte das Plenum verließ, kam es
       zu einem Patt von 49 zu 49 Stimmen.
       
       Das von seinen Parteifreunden geplante Projekt, das im April den Senat
       knapp passiert hatte, wäre "nicht sicher" und werde zu "größeren
       Schwierigkeiten" führen, sagte Semproni vage. Wie Präsident Mujica hatte
       der heute 74-Jährige in den 70er Jahren der Tupamaro-Guerilla angehört und
       war in Haft gefoltert worden. Er handelte offenbar in Abstimmung mit
       Mujica.
       
       Das Amnestiegesetz sichert Polizisten und Militärs Straffreiheit für
       Menschenrechtsverletzungen zu, die vor dem 1. März 1985 begangen wurden. In
       zwei Referenden 1989 und 2009 war es knapp bestätigt worden. 2009 hatte es
       der Oberste Gerichtshof für verfassungswidrig erklärt. Vor zwei Monaten
       entschied auch der Interamerikanische Menschenrechtsgerichtshof, es
       widerspreche internationalen Rechtsstandards. Staatschef Mujica sträubte
       sich gegen die Annullierung des Gesetzes, um die Militärs nicht zu
       brüskieren. Als er am Tag vor der Abstimmung öffentlich an Semproni
       appellierte, nun doch der Parteidisziplin zu folgen, nahm ihm das kaum
       jemand ab.
       
       ## "Jetzt müssten einige Taube anfangen zuzuhören"
       
       Der Dissident habe Mujicas "Politik der nationalen Versöhnung" gerettet,
       analysierte denn auch der Politologe Adolfo Garcé. Umfragen zufolge ist der
       Rückhalt des Präsidenten Mujicas bei der Bevölkerung von 75 Prozent beim
       Amtsantritt im März 2010 auf 41 Prozent abgesackt, auch wegen seines
       widersprüchlichen Vorgehens in der Menschenrechtsfrage.
       
       Frustrierte Parteifreunde bezeichneten das Patt im Parlament hingegen als
       "Pyrrhussieg" Mujicas, der den Ausgang auch noch öffentlich bedauerte. Die
       Marschierer vom Freitagabend jedenfalls zeigten kein Verständnis für das
       Lavieren des Präsidenten.
       
       "Jetzt müssten einige Taube anfangen zuzuhören", meinte sein früherer
       Kampfgefährte Jorge Zabalza, "aber wenn sie in der Lage sind, sich auf eine
       Bühne zu stellen, die von Bajonetten umzingelt ist, wie sollen sie dann die
       Mütter auf dem Bürgersteig gegenüber hören" - eine Anspielung auf die
       häufigen Auftritte Mujicas bei den Militärs. Es gebe noch andere Wege, um
       das Amnestiegesetz außer Kraft zu setzen, hofft der Menschenrechtler
       Ignacio Errandonea und forderte die Öffnung der Armeearchive.
       
       Mujica selbst wäre folgender Kompromiss am liebsten: Er könnte eine
       Strafverfolgung in 88 von den konservativen Vorgängerregierungen
       blockierten Fällen per Dekret ermöglichen. Anschließend, so sein Kalkül,
       wäre eine Einigung mit der Opposition über eine Aufhebung des
       Amnestiegesetzes möglich - allerdings ohne Rückwirkung, die neue Prozesse
       ermöglichen würde. Das wiederum lehnen die Menschenrechtler und auch seine
       eigene Parteibasis ab. Die Lage bleibt verfahren.
       
       22 May 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Gerhard Dilger
       
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