# taz.de -- Kolumne Das Schlagloch: Mühen der Ebenen
> Der Ausstieg ist entschieden. Die Anti-AKW-Bewegung hat jetzt neue
> Aufgaben: Nun geht es darum den Müll sicher zu verstauen.
(IMG) Bild: Kundgebung für ein "bedingungsloses Grundeinkommen" vor dem Brandenburger Tor.
Die Kommission hat eine Energiestrategie vorgelegt. Im Konsens. Das ist
erstaunlich, denn Betreiber von AKWs waren in ihr ebenso vertreten wie
Kernkraftgegner. Inhaltlich ist der Konsens noch erstaunlicher: Die Zukunft
Deutschlands sei auch ohne Atomenergie gesichert. Allerdings setze das
starke Staatstätigkeit voraus.
Der Bericht zählt dazu 62 Maßnahmen für eine forcierte Energiewende auf,
von der Privilegierung von Wind, Sonne und Kraft-Wärme-Koppelung über
Raumordnungsgesetze, die Umstellung des Nahverkehrs auf Elektromobilität,
die Umlenkung von Straßenbaumitteln auf die Schiene bis hin zur Schlachtung
heiliger Tiere: der Kilometerpauschale und dem ungebremsten Tempo auf den
Autobahnen.
## Von Ueberhorst zu Töpfer
Nun ja, der Bericht ist vom Juni 1980. Damals gab es noch keine Windräder
und Solardächer - außer bei ein paar Freaks; in Brokdorf ging es militant
zu; die Grünen lagen bei 1,5 Prozent, die SPD war gespalten. 1979 beschloss
das Parlament die Einsetzung der "Enquetekommission "Zukünftige
Kernenergie-Politik".
Ihrem Vorsitzenden, dem jungen Abgeordneten Reinhard Ueberhorst (SPD),
gelang die Quadratur des Interessenkreises: Nach einem Jahr legte die
Kommission aus Abgeordneten und Sachverständigen dem Parlament vier
Szenarien vor, von einer Zukunft mit sehr viel Atomenergie bis zu einer
ohne. Möglich wären sie alle, so der Konsens.
Es war ein politisches Meisterstück. Befördert durch den Druck der Straße,
den Unfall von Harrisburg, durch Atomkraftgegner, die ein Maß an Expertise
entwickelt hatten, das nicht mehr wegzupolemisieren war. Vor allem aber
durch das Verfahren der Kommission: Experten wurden nicht parteilich
ausgewählt, sondern im Konsens; in den Diskussion wurden nur Kriterien,
Zahlen und Gutachten verwendet, die unstrittig unter allen Beteiligten
waren.
So wurde ein Diskurs über Möglichkeiten möglich - auch wenn der große
Vorsitzende die Unionsabgeordneten am Ende zu einem Minderheitsvotum
verdonnerte.
Warum erinnere ich daran? Weil es ein Musterbeispiel ist, wie Parlamente
Entscheidungen erarbeiten könnten. Die Arbeit der Ueberhorst-Kommission ist
in der Politikwissenschaft prominent geworden, hat spätere Vorstöße auf dem
deutschen Sonderweg vorbereitet. Nur, starke Entscheidungen im Parlament
wurden damals nicht daraus. Diskurs ist das eine, das Spiel der Mächte und
der Lobbys etwas anderes. Und l982 begann die Ära Kohl.
Der Rückblick ist vielleicht nützlich, wenn wir auf die nächste Zukunft
blicken. Deutschland ist dabei, aus dem Atomzeitalter auszusteigen. Niemand
sonst unter den großen Industrienationen geht mit. Das heißt: Wir betreten
Neuland. Und deshalb kann die Arbeit der Töpfer-Kommission (warum die
Ethikkommission hieß, bleibt mir ein Rätsel) nur ein Anfang sein.
Sie bestätigt die Ausstiegsbeschlüsse von Rot-Grün, favorisiert dezent
dezentrale Lösungen, hält wenig von unterirdischer CO2-Lagerung, macht
Vorschläge zur Stärkung der kommunalen Stromerzeugung und einiges mehr, das
vor dreißig Jahren schon möglich war. Sie benennt die Richtung, aber
überlässt das Weitere dem politischen Prozess. Mehr war in drei Monaten
wohl nicht drin - und nicht gewollt.
## Neues Kompetenzzentrum
Der Boden für die Auseinandersetzungen, die nun folgen müssen, ist damit
bereitet: darüber, ob wir großtechnische Windanlagen im Meer fördern oder
die dezentrale Entwicklung, die den Anteil der Erneuerbaren an der
Stromerzeugung in zehn Jahren auf 17 Prozent gesteigert hat. Kaufprämien
für Elektroautos oder mehr Geld für eine moderne Bahn - vor uns liegen
hunderte von Entscheidungen, die das Energiesystem von 2050 prägen werden.
Und jede Weichenstellung schließt Optionen aus.
Was die Kommission zum Entscheidungsprozess vorschlägt - einen
"Parlamentarischen Beauftragten für die Energiewende", der jährlich
berichtet, und ein "Nationales Forum", das den Diskurs von Wissenschaft,
Wirtschaft und Bürgern organisiert - das kann nicht reichen. Wenn die
Energiewende das große "nationale Gemeinschaftswerk" werden soll, dann ist
ein Rahmen nötig, in dem sich Dutzende von Großunternehmen, hunderte von
Kommunen, Millionen von Bürgern orientieren können.
Ein Energieministerium täte not, vor allem aber ein starkes
Kompetenzzentrum im Parlament - bis jetzt gibt es nicht mal einen
Energieausschuss. Eine neue Enquetekommission wäre fällig, die ähnlich
kompetent und effizient wie die von 1979 die Optionen untersucht,
Zielkonflikte und Instrumente benennt, Entscheidungen so vorbereitet, dass
die Abgeordneten wissen, was sie tun.
Aber auch für die Anti-AKW-Aktivisten verändert sich die Arbeit. Nichts kam
mir so lächerlich vor wie der Aufruf, mit der Parole "Alles abschalten und
sofort" zu Pfingsten die laufenden Atomkraftwerke zu blockieren. Die große
Schlacht ist geschlagen, jetzt geht es darum, das gewonnene Land zu
besiedeln. Es macht keinen Sinn mehr, Gorleben (oder seine Alternativen) zu
verhindern - jetzt geht es darum, den Müll sicher zu verstauen.
## Langer Marsch zur Sonnenallee
Über den Ausstieg ist entschieden - ob der Einstieg aber konzerngesteuert
oder in Bürgerhand erfolgt; ob, wo und wie viele Windräder zumutbar sind;
ob der Wechsel zu sparsamen Tiefkühltruhen dem Käufer oder dem Hersteller
überlassen werden soll - dieser Streit und der über hundert andere Dinge
wird nicht auf der Strasse entschieden. Und wenn schon Massenaufläufe, dann
eher Ermöglichungs- und nicht Verhinderungsdemonstrationen.
250.000 Menschen waren es am Wochenende, die würden reichen, entlang der A
7 eine Menschenkette zu bilden, alle 4 Meter ein Demonstrant für das
Eurosolar-Projekt, quer durch Deutschland. Alle 700 Meter ein Windrad, an
der Autobahn, wo das Baurecht es leicht macht und die Ästheten weniger
Probleme haben - das ergäbe dezentralen Strom wie von vier Atomkraftwerken.
Die wirbelnden roten Lampen könnte man aus dem All sehen, wie die
Chinesische Mauer (und das sogar bei Nacht). Ich hätte auch schon einen
Namen dafür: Hermann-Scheer-Allee.
31 May 2011
## AUTOREN
(DIR) Mathias Greffrath
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