# taz.de -- Das Schlagloch: Wozu Rundfunkgebühren?
> ARD und ZDF sollten auf Werbung verzichten und dem Quotendruck entsagen.
Und da bist du auch noch stolz drauf?" Ich war empört, und mein junger
Freund, verlässlich links und taz-Leser, lachte: "Allerdings!" Er habe noch
nie Rundfunkgebühren gezahlt, er sähe das auch gar nicht ein. ARD und ZDF
seien genau so schrottig wie Sat.1, die kommende Zwangsabgabe ein Skandal.
Als ich ihn daraufhin einen demokratiezerstörenden Schnorrer nannte, war er
beleidigt.
Er hatte einen wunden Punkt bei mir getroffen. Zunächst einen
nostalgischen. Ich bin in der Zeit aufgewachsen, in der es nur zwei
Fernsehsender und drei Hörfunkwellen gab. In den Trümmern des Krieges von
BBC-Besatzern gegründet, kam dieser öffentlich-rechtliche Rundfunk (ein
abtörnendes Wortungetüm) dem nahe, was der Medienwissenschaftler Roger
Silverstone die "zweite Heimat" nannte: einen medialen Raum, der, zum
Ausgleich für Zerstreuung der Familien und Ausdifferenzierung der
Gesellschaft, eine virtuelle Agora schafft. Eine Mischung aus Vorparlament
und Ganztags-Gesamtschule der Nation.
Demokratietheoretisch gesehen war der Frequenzmangel ein Segen: Da alle
dasselbe hörten, wenn sie am Radioknopf drehten, synchronisierten sie sich
ihre Erfahrungswelten. Jeder, der sich zuschaltete, nahm, ob er wollte oder
nicht, an der pluralen Kultur dieses Landes teil: Bertolt Brecht und Willy
Millowitsch, Heinz Erhardt und Hans Magnus Enzensberger, die "Welt der
Arbeit" und der Operettenzauber. Die Nachrichten waren für alle dieselben,
und in den ersten Fernsehjahren konnte man noch Hamlet zur Primetime im
Ersten sehen. Zwangskultivierung?
Ende der virtuellen Agora
Dann gab es mehr Frequenzen, und l983 kam der Systemwechsel: Duales System
hieß nun: private Presse und halbprivates Fernseh- und Rundfunkwesen. Die
Sache sei "gefährlicher als Kernenergie", fand Helmut Schmidt damals, und
die Folgen dieses Urknalls sind bekannt: der Fallout in den Kanälen von RTL
und Sat1, die Selbstboulevardisierung der öffentlichen Sender, die
Auslagerung alles Anspruchsvolleren in die Spartenkanäle.
Dem Ideal einer "bürgerlichen Öffentlichkeit" folgt das schon lange nicht
mehr. Diese, so kürzlich noch einmal Jürgen Habermas, braucht Leitmedien,
in denen die wichtigen Fragen der Nation "zu Problemstellungen verarbeitet
und mit begründeten Stellungnahmen zu konkurrierenden öffentlichen
Meinungen gebündelt" werden. Und Analoges gilt für die Kultur: Seit wir die
mediale Vielfalt haben, sind die Erfahrungswelten getrennter - und
einfältiger - geworden: Unterschichten lernen auf Unterschichtenschulen und
sehen Unterschichten-TV, Eliten hören Deutschlandfunk und sehen Arte.
Bedenklicher noch als der "Kulturverfall" ist die Zersplitterung der
Diskurse in einer Gesellschaft, in der es angesichts der kommenden
Herausforderungen - Migration, Klima, Sozialsysteme, Bildungsmisere etc. -
darauf ankäme, Kenntnisse zu verbreiten und die Fähigkeit zu intelligentem
Streit und Konsens zu stärken.
Die Senderflut ist nicht mehr rückgängig zu machen, einiges hat sie ja auch
wohltuend aufgelockert; heute kann man nur noch Dämme einbauen, und neue,
bessere Angebote machen. Immer noch gibt es, mehr oder weniger in
Remmidemmi eingebettet, vortreffliche Sendungen im öffentlichen Rundfunk.
Insofern ist die gesetzliche Zementierung einer "Haushaltsgebühr" von 17,98
Euro eine gute Tat.
Strukturwandel des Internets
Eine beherzte Reform ist sie freilich nicht. Denn die hätte ARD und ZDF
zugemutet, auf Werbung zu verzichten - und sie so auf Dauer vom Quotendruck
befreit. Sie hätte den Einfluss der Parteien in den Anstalten
zurückgeschraubt (Brender!) und den Journalisten in den Rundfunkräten mehr
Mitbestimmung eingeräumt - und so Voraussetzungen für eine
Qualitätsoffensive geschaffen (was nicht heißt: nur noch Grau und
Bildung!). Vor allem aber hätte sie klarstellen müssen, dass im Internet,
dieser medialen Prärie neuer Art, alle "Anbieter" gleiche Rechte haben: die
unter kommerziellen Druck stehenden Verlage und die Garanten einer von
Interessen unverzerrten Öffentlichkeit.
Angesichts der Mediengewohnheiten der Jungen wurde eine große Chance
verpasst, die Anstalten mit ihren intellektuellen Kapazitäten, ihren
Korrespondentennetzen und Archivschätzen offensiv ins Netz zu drängen. Ich
bin sicher, die Verfassungsrichter hätten wohlwollend genickt.
Ein Gut wie Wasser und Strom
Immerhin, mit der Haushaltsabgabe ist ein Schritt in die Richtung getan:
Rundfunk ist als nationales Kulturgut anerkannt und den Schulen,
Universitäten, Theatern gleichgestellt - aber ebenso Parks, Stadien und
Musicalbühnen. Wir zahlen dafür Steuern; wir zahlen für Wasser und Strom.
Dass viele junge Menschen die Haushaltsabgabe für die kulturellen und
politischen Ressourcen, ohne die der demokratische Staat nicht existieren
kann, als Zwang empfinden, hat viele Gründe: vor allem den, dass das "Gefäß
des gemeinsamen Denkens" (Alexander Kluge) seit dem Urknall von 1984 schon
so ramponiert worden ist, dass die Nachwachsenden diesen Zustand für normal
halten.
Immerhin, aus der staatskritischen Bloggercommunity kommt gelegentlich
schon die Erkenntnis, dass die bunte Vielfalt der "Netzdemokratie" auch
dazu führt, "dass es kein gemeinsames Nachdenken mehr gibt, sondern dass
jeder über etwas anderes nachdenkt". Das Netz kann nicht zur "Dritten
Heimat" werden oder zur "klassischen Öffentlichkeit". Aber ein paar
Provinzen zuverlässigen Festlands im Meer der wogenden Vielfalt wären wohl
möglich - und nötig.
Ach ja: Nachdem ich ihm eine halbe Stunde lang die Sendungen von
Deutschlandfunk, der Dritten Programme, von Monitor und Arte, die
Bundesliga, Georg Schramm und Maybrit Illner runterdeklamiert hatte, gab
mein Freund auf. Er werde, versprach er, von nun an bezahlen - wenn auch
nur, um mich loszuwerden. Es bleibe ihm ja auch nichts andres übrig, wollte
ich sagen, aber hielt den Satz zurück. Es war einer meiner seltenen
bürgergesellschaftlichen Erfolge, und den wollte ich nicht durch Triumph
gefährden.
21 Jul 2010
## AUTOREN
(DIR) Mathias Greffrath
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