# taz.de -- Neue US-Strategie zum Cyberwar: Wenn aus Spaß Ernst wird
       
       > Die USA wollen Internet-Angriffe künftig als kriegerische Handlung
       > werten, auf die militärisch reagiert werden kann. Die Vorstellung kommt
       > Beobachtern im Netz absurd vor.
       
 (IMG) Bild: "NexGen Cyber Innovation and Technology Center" des Rüstungsunternehmens Lockheed Martin.
       
       30 Seiten stark ist [1][ein Papier] stark, in dem das amerikanische
       Verteidigungsministerium seine neue Cyberwar-Strategie ausrollt. Laut einem
       Bericht des Wall Street Journal vom Dienstag will sich die US-Regierung
       dabei künftig herausnehmen, besonders schwere Hackerangriffe als "echte"
       Kriegshandlungen zu werten, auf die auch mit dem Einsatz von Waffengewalt
       reagiert werden kann. Im Netz wurde die Nachricht mit Erschrecken
       aufgenommen, stellt die neue Doktrin doch eine Eskalation in Sachen
       Cyberkrieg dar.
       
       Große materielle Schäden, Todesopfer oder eine "deutliche Störung des
       öffentlichen Lebens" gelten als Gründe für einen potenziellen Gegenschlag.
       John Hudson, Journalist des politischen Magazins The Atlantic, [2][hält das
       Pentagon für verwirrt:] "Man ist sich nicht klar, wie man den Cyberkrieg
       führen soll". In einer Analyse der neuen Doktrin bemängelt er unter
       anderem, dass unklar sei, wer für Durchführung und Kontrolle zuständig ist.
       Denn CIA und Verteidigungsministerium überschneiden sich in ihren
       Kompetenzen und stritten sich in der Vergangenheit heftig.
       
       Auch sei die neue Doktrin nicht ungefährlich, weil sie dazu führen könnte,
       dass auch Gegner sie annehmen. [3][Das sieht] David Hoffman vom
       außenpolitischen Fachblatt Foreign Policy ähnlich: "Man stelle sich vor,
       der Iran würde die gleiche Strategie übernehmen. Was würde passieren, wenn
       er als Rache für [den Industrieanlagen angreifenden Schädling] Stuxnet
       amerikanische Industrieanlagen mit Raketen beschießt?"
       
       Genauso unklar ist, wie Cyberangriffe überhaupt zugeordnet werden sollen.
       Sie kommen oft genug von Dritten, deren Nähe zu Regierungsorganisationen
       meist nur vermutet werden kann. "Patriotische" Hacker fühlen sich nicht
       selten berufen, ohne Auftrag ihres Landes Server im "Feindgebiet" zu
       attackieren - geschehen ist dies etwa in Estland im Jahr 2007, als
       russische Hacker wichtige Websites lahmlegten. Dabei geht es stets um
       praktische Fragen: Wenn, wie erst vor wenigen Tagen, bekannt wird, dass der
       Rüstungskonzern Lockheed Martin angegriffen wurde - ist dies bereits eine
       kriegerische Handlung oder Industriespionage?
       
       ## Wikileaks als Cyberwar?
       
       Experten aus der Forschung halten die neue Strategie des Pentagon für
       problematisch. Andreas Schmidt, Cyberwar-Spezialist an der TU Delft, warnte
       bereits im Frühjahr in der taz [4][vor gefährlichen Übertreibungen]: "Es
       hat Gründe, dass wir für das Phänomen der Erkältungen einen anderen Begriff
       verwenden als für die schwarze Pest." Man könne nicht jeden
       Internet-Sicherheitsvorfall als Cyberkrieg schwarzmalen, gleich ob es sich
       um die Verunstaltung von Websites oder
       Distributed-Denial-of-Service-"Sitzblockaden" vor Online-Portalen handele.
       
       Schon die Veröffentlichung der jüngsten Wikileaks-Dokumente hatte in
       konservativen US-Politikerkreisen das Label "Cyberwar" hervorgerufen. Die
       Attacken von Anonymous gegen die Anti-Wikileaks-Bemühungen großer
       US-Konzerne entsprechen Schmidt zufolge aber eher einer Art "Schwarzem
       Block mit dem Hang zu forscherer Meinungsbekundung". Wo im keineswegs
       rechtsfreien Raum Internet die Grenzen des Strafrechts überschritten
       wurden, hätten daraufhin Strafverfolgungsbehörden Ermittlungen vorgenommen.
       "Aber Krieg? Nein."
       
       Verschärft könnte die Diskussion durch eine andere Tatsache werden:
       Momentan wartet die Privatwirtschaft auf die Freigabe milliardenschwerer
       Anti-Cyberwar-Budgets, die das Pentagon, aber auch das
       US-Heimatschutzministerium, gerade aufstellen. Im Interesse der Industrie
       liegt es daher nicht, dass die Gefahrendiskussion wieder auf ein
       menschliches Maß herunterkommt.
       
       2 Jun 2011
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /1/netz/netzpolitik/artikel/1/kriegshandlung-hackerangriff/
 (DIR) [2] http://www.theatlanticwire.com/technology/2011/06/pentagon-confused-about-how-fight-cyber-war/38357/
 (DIR) [3] http://hoffman.foreignpolicy.com/posts/2011/06/01/the_cyber_arms_race
 (DIR) [4] /1/netz/netzpolitik/artikel/1/erkaeltung-ist-nicht-die-schwarze-pest/
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ben Schwan
       
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