# taz.de -- Der Grüne Robert Habeck über Wohlstand: "Wir brauchen keine Autofirmen"
       
       > Seit der grüne Fraktionschef Robert Habeck nicht mehr das
       > Wirtschaftswachstum, sondern 21 andere Kriterien für Wohlstand zur Hand
       > nimmt, ist Schleswig-Holstein plötzlich ein Musterland.
       
 (IMG) Bild: Weniger Autos steigern den Wohlstand.
       
       taz: Herr Habeck, sind "weniger Autos natürlich besser als mehr Autos", wie
       es der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann gesagt
       hat? 
       
       Robert Habeck: Ja, das sehe ich wie Kretschmann. Und die wenigeren Autos
       müssen weniger Benzin verbrauchen als heute.
       
       Ist Kretschmann bei seinem Versuch, das Denken über Wirtschaft zu
       verändern, zu dröge oder zu forsch? 
       
       Ich finde, Kretschmann macht das cool. Ich stehe auf Menschen, die klar
       sagen, was Sache ist. Und ich wünsche mir das auch von Ministerpräsidenten.
       Das ist doch das, worunter wir alle leiden: dass Leute nur noch in Phrasen
       reden, aus Angst vor Lobbys oder davor, irgendwo anzuecken.
       
       Winfried Kretschmanns Kritiker vom kleineren Koalitionspartner SPD sagen,
       dass weniger Autos auch weniger Wohlstand bedeuten. 
       
       Das ist aber falsch. Vermutlich werden weniger Autos noch nicht mal zu
       weniger Wirtschaftswachstum führen, sondern zu neuen Branchen. Ganz sicher
       aber nicht zu weniger Wohlstand. Das kann aber die alte Wachstumstheorie,
       orientiert am Bruttoinlandsprodukt, nicht beschreiben - und die SPD nicht
       begreifen.
       
       Sie haben eine wissenschaftliche Studie erstellen lassen und wollen
       Wohlstand künftig mit einem "nationalen Wohlfahrtsindex" statt mit dem
       Bruttoinlandsprodukt messen. 
       
       Genau. Die Wachstumsdebatte ist ja nicht neu. Neu ist, dass es tatsächlich
       gelingt, Wohlstand zu beschreiben - nicht blumig oder wortreich, sondern
       indem ökologische oder soziale Folgen einen monetären Wert erhalten.
       
       Wirtschaftswachstum und Wohlstand werden entkoppelt? 
       
       Das ist nicht zwingend so. Aber das Wachstum einer Gesellschaft führt nicht
       automatisch zu mehr Wohlstand einer Gesellschaft. Eine Ölpest, die
       aufwendig beseitigt werden muss, Atomkraft, Kohlekraftwerke - das
       klassische BIP muss das alles toll finden, weil es die Wirtschaft
       ankurbelt. Das ist doch absurd. Die Studie übersetzt CO2-Ausstoß, Lärm,
       Schadstoffe, Verkehrstote, aber auch soziale Ungleichheit in monetäre
       Einheiten und rechnet sie gegen. Es handelt sich also nicht um gefühliges
       Zeugs.
       
       Tut es nicht? 
       
       Tut es nicht. Man kann innerhalb des Ansatzes die verschiedenen Parameter
       kritisieren, andere ergänzen oder die Faktoren anders bewerten. Das muss
       auch so sein, bei einem Pionierprojekt. Aber eine solche Debatte abzulehnen
       heißt, Industriepolitik des letzten Jahrtausends zu betreiben.
       
       Schleswig-Holstein wird bei Ihnen zum Musterland, während es für
       Gesamtdeutschland abwärtsgeht. Kritiker monieren, Sie rechneten sich Ihr
       BIP-Kellerkind schön. 
       
       Mir geht es nicht um Musterland, Selbstzufriedenheit oder Schönrechnen. Und
       die pauschale Kritik übersieht das Wesentliche. Das ist nicht die
       summarische Zusammenfassung, sondern die Details, aus denen sich
       Handlungsrichtlinien für politisches Tun ableiten lassen. Die allerdings
       sind sehr anders als die Schlussfolgerungen, an die Union oder SPD glauben,
       von der FDP gar nicht zu reden.
       
       Es ist trotzdem verblüffend, dass Schleswig-Holstein urplötzlich ein
       Musterland sein soll. 
       
       Das ist nicht verblüffend, das entspricht viel mehr der Wahrnehmung der
       Menschen hier als Ihr Kellerkindgerede. Die Leute leiden doch nicht
       darunter, dass wir keine extreme Einkommensspreizung haben, freuen sich,
       wenn die AKWs abgeschaltet werden und es keine Maismonokulturen gibt. Das
       Land hat Schwächen, es ist bei den Bildungsabschlüssen zurück, hat zu wenig
       Hochschulabsolventen und entwickelt zu wenige Patente. Aber die
       vermeintliche Hauptschwäche, keine Großindustrie und Exportindustrie zu
       haben, ist tatsächlich seine Stärke. Wir brauchen hier keine große Auto-
       oder Petroindustrie. Das Potenzial liegt bei den Life-Sciences, der
       Bioökonomie, neuen Produktionsketten, einer Renaissance der Landwirtschaft,
       den Erneuerbaren mit all ihren Verästelungen.
       
       In die Höhle wollen Sie demnach nicht zurück? 
       
       Das müssen Sie wohl fragen. Aber das ist ausdrücklich keine
       De-Wirtschaftsstrategie, sondern eine, die zum ersten Mal für ein
       Bundesland entlang von definierbaren - und das heißt ausdrücklich auch
       kritisierbaren - Strategien zu anderen wirtschaftspolitischen
       Schlussfolgerungen kommt, als es auf den Grundlagen des BIP geschieht.
       Politisch verändert sich dadurch die ganze wirtschaftspolitische Debatte.
       
       Zu Ihren Gunsten wohl? 
       
       Logo, sonst wäre es ja witzlos. Die Ansage ist, dass jetzt die
       konventionellen Wachstumstheoretiker nachweisen müssen, warum es
       ausreichend ist, weiter an einem qualitätsblinden Wachstumsbegriff
       festzuhalten. Nehmen Sie eine Straße, die zu vielen Unfällen führt. Davon
       profitieren Abschleppunternehmen, Autoindustrie, Polizisten, Krankenhäuser
       und am Ende die Sargindustrie. Eine super Sache für das BIP, aber ein
       Riesenunglück für die Opfer. Deshalb muss man Verkehrstote, Lärm und so
       weiter negativ einrechnen. Dann kann man beweisen, dass eine solche Straße
       nicht nur ethisch falsch ist, sondern auch nicht wirtschaftsfördernd.
       
       Wenn weniger Särge gebraucht werden, muss der wackere Sarghändler seine
       treuen Angestellten entlassen. 
       
       Diese Branche hat ja irgendwie immer Konjunktur. Aber grundsätzlich stimmt
       das: Wirtschaftliche Transformation bedeutet: Alte Arbeitsplätze fallen
       weg. Das gilt ja auch für Kohlekraftwerke und die Atomindustrie. Aber das
       ist kein Grund, die AKWs weiterlaufen zu lassen. Dafür entstehen neue
       Arbeitsplätze. Natürlich in erneuerbaren Energien, aber auch beim Abbau der
       AKWs. Wir eruieren das gerade: Welche Branchen werden gebraucht und welche
       Arbeitsplätze entstehen, wenn Krümmel und Brunsbüttel jetzt geschleift
       werden? Eine aufregende Frage.
       
       Wenn Sie Ihr grünes BIP durchsetzen wollen, brauchen Sie als Basis eine
       neue gesellschaftliche Vorstellung von Lebensglück - oder gar eine neue
       Ideologie? 
       
       Im Gegenteil: Wir lösen uns von der weltanschaulichen Debatte, die es ja
       gibt. Wir lassen sowohl Wachstumsgläubige als auch Wachstumskritiker
       einfach stehen, übersetzen ehemals ideologische Fragen in ökonomische
       Faktoren und kommen zu einer Objektivität, die die Gesellschaft neu
       beschreiben kann.
       
       Wie definieren Sie denn Ihr gutes Wachstum? 
       
       Nicht mehr schädliche Wirkungen als gute auslösen.
       
       Was heißt das konkret für ein modernes Unternehmen, das energieeffiziente
       Produkte herstellt? Möglichst viel Wachstum oder keines? 
       
       Es geht darum, ein Wachstum zu steuern, das den Zustand einer Gesellschaft
       besser macht. Die Idee, kein Wachstum zu haben, mag für eine schrumpfende
       oder saturierte Gesellschaft wie die deutsche attraktiv sein. Aber global
       gesehen wäre ein Wachstumsstopp verantwortungslos. Dafür gibt es zu viel
       Armut in Gesellschaften. Aber Wachstum darf nicht die Rendite von wenigen
       Aktionären erhöhen, sondern muss den Wohlstand einer Gesellschaft insgesamt
       erhöhen.
       
       Das leisten energieeffiziente Produkte? 
       
       Wenn eine Firma viele Motoren verkauft, die deutlich energiesparender sind,
       dann ist das gutes Wachstum. Wenn weniger Lärm, CO2 und Schadstoffe in die
       Umwelt eingehen, verbessert sich der Wohlstand eines Landes. Diese Produkte
       muss die Politik fördern.
       
       Wenn man mit besseren Motoren viel mehr Autos produziert, werden sich die
       Schäden trotzdem erhöhen. 
       
       Wenn das passiert, muss man politisch handeln. Zum Beispiel mit höheren
       Kfz-Steuern oder Maut. Es spricht aber nicht gegen die Methodik oder gegen
       qualitatives Wachstum.
       
       Können Sie mit so einer anspruchsvollen Diskussion Ministerpräsident
       werden, Herr Habeck? 
       
       Es gibt ja schon einen grünen Ministerpräsidenten, der dieses Umdenken mit
       seinem Amtsantritt angestoßen hat. Auch Frau Merkel hat gesagt, dass wir
       eine neue Wachstumsberechnung brauchen. Die Debatte ist also da.
       
       Würden Sie sich der Frage zuwenden? 
       
       Und um nicht in Ihre Falle zu tappen, antworte ich: Niemand, der sich nicht
       solche Fragen zumutet, sollte mehr Ministerpräsident werden.
       
       6 Jun 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Peter Unfried
       
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