# taz.de -- Neuer Roman von William Gibson: Der Kommunismus der Dinge
       
       > Es sind Nerds wie William Gibson, die unsere Warenwelt am exaktesten
       > beobachten. Mit dem Roman "System Neustart" schließt der Autor seine
       > Blue-Ant-Trilogie furios ab.
       
 (IMG) Bild: Weil die Armee so vieles von dem erfunden hat, was heute als angesagte männliche Kleidung gilt, steht sie nun im Wettbewerb mit ihrem eigenen Produkt.
       
       William Gibson hat den diesjährigen 1. Mai verpasst. Die neue
       Krawallfunktionskleidung der Berliner Bereitschaftspolizei wäre ihm ins
       Auge gestochen. Das Material sieht superrobust aus (anfassen traut man sich
       ja nicht), hat einen guten Schnitt und ist in ein ungewöhnliches Graugrün
       gefärbt. Wäre sie nicht so neu, könnte die Uniform in Gibsons neuem Roman
       vorkommen. Darin werden Überlegungen zu Farben wie Kojotebraun und Laubgrün
       angestellt. Das Nato-Muster der Bundeswehr und ein "olivgrüner
       kampfbereiter israelischer Armee-BH" finden Erwähnung. Eben ist der Roman
       unter dem Titel "System Neustart" bei Tropen auf Deutsch erschienen.
       
       Als Autor avancierter Cyberpunkromane ist William Gibson in den 1980ern
       bekannt geworden. Er hat den Begriff des Cyberspace erfunden und ihn mit
       den Worten definiert, das sei der Raum zwischen zwei Telefonanschlüssen.
       Seine Romane zeichneten sich nie durch raffinierte Plots oder die
       psychologische Komplexität der Figuren aus. Gibson ist der Dichter der
       Dinge. Er versteht, wie wichtig sie für die Menschen sind.
       
       Sein neues Buch ist der letzte Teil der Blue-Ant-Trilogie. Die kniet sich
       tief hinein in unsere Gegenwart, die bekanntlich von einem hochtourig
       laufenden Kapitalismus und einer religiös anmutenden Warenverehrung geprägt
       ist. Jede einzelne Konsumentscheidung bedeutet uns und unseren
       Facebook-Freunden, also der Gesellschaft, irgendwas. Wir drücken unsere
       Wünsche und Ambitionen durch den Erwerb von Hosen, Autos, Möbeln, Gadgets
       und Kinderwagen aus.
       
       ## Unterschätzte Uniformen
       
       Hierbei aber kommen - im Roman wie in der Wirklichkeit - in letzter Zeit
       wieder vermehrt Dinge ins Spiel, die keinerlei ästhetischen Überschuss
       auszudrücken beanspruchen: Uniformen und Arbeitskleidung. Zur modischen
       Bedeutung der Hosen des bayerischen Emigranten Levi Strauss muss man nichts
       mehr sagen. Bei Armeeklamotten sieht die Sache anders aus. Sie werden
       gewöhnlich in ihrer modischen Tragweite unterschätzt. Nicht aber von
       Gibson, dem Nerd mit der Nase eines Trendscouts.
       
       Es sind die Nerds wie er, die unsere Welt exakt beobachten. Darin entdecken
       sie dann Ramones-T-Shirts und die erstaunlichen, pinguinförmigen
       Flugroboter der Eßlinger Bionikfirma Festo. Da googelt man gern hinterher.
       In einem Gibson-Roman ist es normal, dass eine junge Frau zu einer anderen
       sagt: "Ich war auch so etwas wie eine Coolhunterin, bevor das so genannt
       wurde, aber heutzutage ist es schwer, jemanden zu finden, der das nicht
       ist."
       
       Die Schlüsselfigur der nun abgeschlossenen Gegenwartstrilogie ist ein
       superreicher Belgier. Hubertus Bigend ist der paradigmatische Unternehmer
       von heute. Er interessiert sich nicht für Reichtum als solchen, wohl aber
       für Macht in einem ganz spezifischen Sinn. Ihn treibt nicht der Profit an,
       sondern die Neugier. Bigend liebt es, an den verborgenen Architekturen der
       Welt herumzudoktern, wie Gibson es formuliert. Seine Agentur Blue Ant ist
       immer vorn dabei, wenn es gilt, die neuesten Trends aufzuspüren, noch bevor
       sie die obskuren Nischen verlassen, in denen sie gezeugt wurden.
       
       Bigends Spezialisten kommen zum Schluss, dass der Designcode männlicher
       Straßenkleidung von heute größtenteils von amerikanischer Militärkleidung
       aus der Mitte des vergangenen Jahrhunderts beherrscht wird. Zugleich gibt
       es aber viele junge Männer, deren Objekt der Begierde die Armeeoriginale
       selbst sind, weil sie "mit ihrer Kleidung den Eindruck erwecken wollen, sie
       hätten besondere Fähigkeiten". Gear-queer, nennen das die Agenturleute.
       Gibsons deutsche Übersetzer, Hannes und Sara Riffel, haben dafür das schöne
       Wort "ausrüstungsgeil" geprägt. Ausrüstungsgeile junge Männer wollen nicht
       nur das Richtige haben, sondern etwas Besonderes. Dinge, die für spezielle
       Herausforderungen gemacht sind. Das trifft sich gut für Bigends Agentur.
       Denn "einen solchen Brennpunkt, auf den sich das Verlangen der Konsumenten
       richtet, hätten wir niemals konstruieren können".
       
       Weil die Armee so vieles von dem erfunden hat, was heute als angesagte
       männliche Kleidung gilt, steht sie nun im Wettbewerb mit ihrem eigenen
       Produkt. Inzwischen aber mangelt es dem US-Militär an den nötigen
       Designqualifikationen, glauben Bigends Experten. Dabei ist gutes Design
       wichtiger denn je. Die Freiwilligenarmee braucht Kleidung, die diejenigen
       anspricht, die sie rekrutieren will: junge Männer, die im zivilen Leben
       Skaterklamotten und Quatsch wie Portemonnaiekettchen und kleine Hüte
       tragen.
       
       Hier springen Oberbekleidungs- und Sportartikelhersteller ein, die mit
       Uniformschneidereien um die Aufträge fürs Militär konkurrieren. "Das ist
       der einzige Teil des Bekleidungsgewerbes, der nicht von der fantastischen
       Dysfunktionalität der Modebranche abhängig ist. Und die Gewinnspannen sind
       weit größer."
       
       Hubertus Bigend spielt also mit dem Gedanken, sich um einen Uniformauftrag
       des amerikanischen Militärs zu bewerben. Ihm fehlt nur noch ein Designer.
       Er glaubt ihn im Erfinder eines secret brands mit dem Namen Gabriel Hounds
       zu finden. Da der Verkauf der Ware über eine geheime Mailingliste
       organisiert wird, muss ihr Designer aufgespürt werden. Der Urheber der
       schlichten Kleidung aus schwerem Jeansstoff ist eine Frau. Mit ihrer
       Geheimmarke will sie dem ganzen Bullshit entgehen, der das Marktgeschehen
       so unerträglich macht.
       
       Damit ist sie nicht allein, weder in Gibsons "System Neustart" noch in der
       Wirklichkeit. Es gibt viele, die gegen die Saisons sind, gegen "den
       Schwachsinn" der Marken, gegen "all das Zeug, das sich auslatscht und
       auseinanderfällt, das einfach nicht echt ist". Diese Leute wollen Dinge
       besitzen, die weder an den gegenwärtigen noch einen gewesenen Augenblick
       gekoppelt sind. Dinge, die weder ganz vorn sind noch irgendwie retro.
       
       ## Konservative Wünsche
       
       Dieses ultrakonservative Begehren nach Qualität geht mit einer Form von
       Exklusivität einher, die nicht an Geld, sondern an Wissen gekoppelt ist.
       "Ihre Sachen sind wunderbar gearbeitet", lobt ein Fan die Erfinderin und
       Designerin von Gabriel Hounds. Spießiger geht's nicht. Und doch ist genau
       das die Haltung, die zu Beginn der zehner Jahre den Popmainstream
       herausfordert.
       
       Es handelt sich dabei um eine Form der Luxusproduktion. Sie ist in einer
       ganz bestimmten Hinsicht nicht weit weg von dem, was Bigends Experten im
       Einklang mit echten Kritikern auf den Aspekt der Ausrüstungsgeilheit
       reduzieren. Beiden Haltungen ist die Allergie gegen eine Markenwelt gemein,
       in der das Produkt nicht Sachargumenten unterworfen wird, sondern höheren
       ästhetischen Werten.
       
       Dieses Unbehagen ist nicht neu. Einer der Erfinder des modernen Corporate
       Designs, Otl Aicher, hat die Uniform als letztes Refugium des Designs
       betrachtet. 1970 schrieb er in typischer Kleinschreibung: "nur das
       militärdesign hat eine vom markt so unabhängige stellung bewahren können,
       daß ausgemachte pazifisten und anarchisten sich aus armeebeständen anziehen
       und ausstatten, um dem launischen konsumzwang zu entfliehen."
       
       Dieses Lob des Militärdesigns war logische Konsequenz seiner Kritik der
       Ästhetisierung der Umweltgestaltung. Man müsse kaufen, "was Manager und
       Agenturen uns auferlegen". Das Design liefere dafür den "Glorienschein",
       die bürgerliche Kunstauffassung die Theorie, "nach der es zwei welten gibt,
       die der arbeit und die der kultur, die des alltags und die des feierabends,
       die des geldes und die der schönheit, die der rechten hand, die nicht weiß,
       was die linke tut".
       
       Die Frage ist, ob Aichers Argumente noch gelten. Immerhin ist uns die
       bürgerliche Unterscheidung zwischen Arbeit und Kultur, Alltag und
       Feierabend abhanden gekommen. Trotzdem vermittelt Militärkleidung weiterhin
       das modernistische Versprechen eines Kommunismus der Dinge: Wir hoffen,
       dass wenigstens diese Sachen nach funktionalen Kriterien gestaltet werden
       und nicht aufgrund irgendwelcher Images, für die wir dann das Doppelte
       bezahlen.
       
       ## Ausrüstungsgeilheit
       
       Was bedeutet also die um sich greifende Ausrüstungsgeilheit, die sich auf
       Uniformen genauso richten kann wie auf Trekkingschuhe, Jeeps oder Gadgets,
       die mit i anfangen? Ist sie Symptom eines neuen Konsumentenbewusstseins,
       das den ausgeleierten Billigbullshit, den übercodierten Designerquatsch
       satthat? Zeigt sich darin der Wunsch nach einer glücklichen Verbindung von
       Nachhaltigkeit und Funktionalismus? Oder ist es doch nur der gute alte
       Warenfetischismus in besonders raffiniertem Gewand?
       
       William Gibson ist der gear-queerste aller zeitgenössischen Romanciers. Auf
       die oben formulierten Fragen gibt er als kluger Autor trotzdem keine
       Antwort. Man muss sich selber seinen Teil dazudenken. Wir können an dieser
       Stelle nur versuchen, es an seiner statt zu tun, mit der typischen Replik
       des 21. Jahrhunderts: Alles ist möglich, vielleicht sogar zur selben Zeit.
       
       Die neueste Uniform der türkischen Armee zeigt ein digitales Tarnmuster,
       das von Satelliten nicht erkannt werden kann. Das Material besteht aus
       antibakteriell wirkenden Nanofasern, die achtmal schneller trocknen als
       reguläre Gewebe, Schutz vor UV-Strahlung bieten und außerdem gegen Öl,
       Schmutz und Salz resistent sind. Entworfen wurde der battle dress von der
       großen Modedesignerin Arzu Kaprol. Fragt sich nur, wo man die Sachen
       kriegt.
       
       6 Jun 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ulrich Gutmair
       
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