# taz.de -- Kommentar Flüchtlingsfrage: Boatpeople und europäische Ignoranz
       
       > Seit Monaten interveniert die Nato in Libyen, aber niemand interveniert,
       > um den tausenden von Flüchtlingen zu helfen. Die deutsche Rolle ist
       > hierbei besonders unrühmlich.
       
       Wie viele Libyen-Kriegsflüchtlinge müssen noch sterben, bevor Europa
       aufwacht? Ob es 1.000, 1.200 oder 1.650 sind - die Zahl der Afrikaner im
       Mittelmeer, die die Flucht nach Europa nicht überlebt haben, ist bereits
       höher die Zahl der getöteten Libyer im März, die die UNO veranlasste, ein
       Mandat zum militärischen Eingreifen zum Schutz der libyschen
       Zivilbevölkerung zu erteilen.
       
       Seit Monaten dient dieses UN-Mandat nunmehr der Nato als Grundlage für
       ihren Luftkrieg gegen Gaddafi. Aber niemand interveniert zum Schutz der
       fliehenden afrikanischen Migranten.
       
       Deutschland spielt dabei eine besonders unrühmliche Rolle. Die
       Bundesregierung hält sich bis heute aus dem internationalen Militäreinsatz
       in Libyen heraus mit dem Argument, es zähle eine politische Lösung - für
       deren Zustandekommen sie allerdings nicht das Geringste unternimmt. Jetzt
       hält sie sich auch aus der Flüchtlingsaufnahme heraus mit dem Argument, es
       zähle die humanitäre Hilfe vor Ort - aber auch dafür tut Deutschland
       nichts, außer 7 Millionen Euro zu zahlen; ein lächerlicher Betrag
       angesichts eines UN-Hilfsappells, 400 Millionen Dollar bereitzustellen.
       
       Diese Ignoranz ist atemberaubend. Flüchtlinge zu retten ist schließlich der
       klassische Fall humanitärer Intervention. Humanitäre Hilfsflotten haben
       bereits zehntausende Menschen aus dem belagerten Misurata befreit. Aber
       zehntausende weitere suchen Schutz, in Tripolis und in anderen libyschen
       Städten.
       
       In den höllischen Wüsten des Tschad waren noch vor wenigen Jahren mehrere
       tausend EU-Soldaten zum Schutz von Kriegsflüchtlingen aus Sudans
       Kriegsregion Darfur im Einsatz, und bis heute stehen französische Truppen
       im Land. Aber die Entsendung von militärischen Hilfskonvois dorthin zur
       Versorgung und Rettung von zehntausenden verdurstenden Afrikanern, die aus
       Libyen auf überladenen Lkws durch einige der unwirtlichsten Gegenden der
       Welt tuckeln, übersteigt offensichtlich die europäische Vorstellungskraft.
       
       Wenn einmal in Libyen alles vorbei ist und ein demokratisch gesinntes
       Übergangsregime die Gaddafi-Diktatur abgelöst hat, werden hochbezahlte
       europäische Experten die libyschen Hotels füllen und Lehren über gute
       Regierungsführung und rechtsstaatliche Vergangenheitsbewältigung erteilen.
       Und wenn man ihre Ratschläge nicht hören will, werden sie es überhaupt
       nicht verstehen.
       
       8 Jun 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Dominic Johnson
       
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