# taz.de -- Grenzwächter über Migrationspolitik: "Das Mandat von Frontex ist begrenzt"
       
       > Europa schottet sich ab. Welche Rolle Frontex dabei genau spielt,
       > beantwortet Klaus Rösler, operativer Einsatzleiter der
       > EU-Grenzschutzagentur.
       
 (IMG) Bild: Gefährliche Fahrt: Ein Flüchtlingsboot vor der Küste Lampedusas.
       
       taz: Herr Rösler, Sie sind zuständig für die operative Arbeit der
       EU-Grenzschutzagentur. Wie kann es passieren, dass seit Anfang des Jahres
       in dem von Frontex kontrollierten Seegebiet im Mittelmeer über 1.000
       Flüchtlinge ertrunken sind? 
       
       Klaus Rösler: Man muss zunächst mal das Einsatzgebiet von Frontex kennen
       und in Beziehung setzen zu den davon entfernten mutmaßlichen Unglücksorten
       und den herrschenden Umständen: überfüllte, seeuntaugliche Boote, schlechte
       Wetterverhältnisse. Unabhängig davon kann ich die Zahl nicht bestätigen.
       
       Die Zahl kommt vom UN- Flüchtlingshilfswerk. 
       
       Okay, aber um das zu präzisieren: Es waren ja nicht hundert Boote mit
       jeweils zehn Leuten an Bord unterwegs. Es gab also nicht sehr viele
       Unglücke, sondern das waren einige sehr schlimme, öffentlichkeitswirksame
       Ereignisse, bei denen vor der libyschen Küste völlig überladene
       Kleinstfahrzeuge mit hunderten von Leuten an Bord gekentert sind. Dann gab
       es noch eine Situation am 6. April, bei der ein völlig überladenes Boot,
       nachdem es von der italienischen Küstenwache bereits gesichtet worden war
       und Rettungsmaßnahmen schon im Gange waren, bei hoher See südlich von
       Sizilien gekentert ist und rund 200 Menschen ertrunken sind.
       
       Der wichtigste Grund für die letzten Unglücksfälle ist, dass auf kriminelle
       Weise, auf Druck libyscher Behörden, viel zu viele Leute auf viel zu
       untaugliche Boote gepackt werden und auch bei schlechtem Wetter quasi
       gezwungen werden, Libyen zu verlassen. Interviews von Frontex-Beamten mit
       Flüchtlingen haben ergeben, dass libysche Behörden die Leute praktisch zur
       Ausreise zwingen.
       
       Der Vorsitzende des Menschenrechtsausschusses des Deutschen Bundestags, Tom
       Koenigs, hat der taz gegenüber vorgeschlagen, dass Frontex ein explizites
       Mandat zur Seenotrettung bekommen sollte. 
       
       Grenzüberwachung und Seenotrettung hängen zusammen, haben aber völlig
       unterschiedliche rechtliche Grundlagen. Für Seenotfälle gilt
       internationales Seerecht, Frontex braucht dafür kein Mandat. Eine Frage
       wäre auch: Was ist eigentlich ein Seenotfall? Ein Boot mit Flüchtlingen ist
       in internationalen Gewässern nicht automatisch in Seenot; leider gibt es
       dazu auf europäischer Ebene noch keine einheitliche Interpretation, sondern
       unterschiedliche Auslegungen verschiedener Staaten.
       
       Welche Verantwortung trägt Frontex für die Zustände in den Aufnahmelagern
       für Flüchtlinge auf Lampedusa oder anderswo? 
       
       Das ist Zuständigkeit der jeweiligen Mitgliedstaaten. Wir sprechen
       unbefriedigende Zustände für die Migranten immer wieder gegenüber den
       Behörden der Mitgliedstaaten an. Doch wir können rechtlich keinen Druck
       ausüben, damit sich etwas verändert. Frontex koordiniert hauptsächlich die
       Maßnahmen der Grenzüberwachung, macht Grenzkontrolle und erst in zweiter
       Linie Interviews mit Flüchtlingen.
       
       Dazu brauchen wir natürlich Arbeitsbedingungen in den
       Aufnahmeeinrichtungen, die von den nationalen Behörden im Normalfall auch
       im erforderlichen Umfang zur Verfügung gestellt werden. Diese Interviews
       dienen einmal dazu, Vertrauen herzustellen, um über kriminelle Netzwerke
       von Schleppern Informationen zu gewinnen, die für die Bekämpfung des
       kriminellen Teils der Migration von Bedeutung sind. Dann geht es aber auch
       darum, die Identität der illegalen Migranten und deren mögliche
       Schutzbedürfnisse festzustellen.
       
       Stellen die Leute bei Ihnen einen Asylantrag? 
       
       Nein, Grenzschützer sind nicht zuständig für die Anerkennung von Asyl. Ein
       Antrag auf Asyl kann nur von den Behörden des Mitgliedstaates geprüft und
       eventuell gewährt werden.
       
       Aber die Leute müssen ja erst einmal überhaupt die Gelegenheit bekommen,
       Asyl zu beantragen. 
       
       Bei Frontex-koordinierten Einsätzen muss man darauf achten, dass wenn
       jemand ein Schutzersuchen an der Grenze stellt, dieses auch erkannt,
       aufgenommen und an die zuständigen Behörden weitergeleitet wird. Insofern
       darf der Grenzschutz die Augen nicht davor verschließen, dass eine
       Minderheit der Leute, die an die Grenze kommen, auch ein legitimes
       Schutzbedürfnis haben.
       
       Das ist doch reine Theorie. Wie sieht es in der Praxis aus? Die
       Aufnahmelager in Griechenland sind so schlimm, dass deutsche Gerichte sich
       mittlerweile weigern, Flüchtlinge nach Griechenland zurückzuschicken. 
       
       Die weigern sich, weil ihrer Auffassung nach in Griechenland kein wirksames
       Asylverfahren praktiziert wird. Die beklagenswerte Situation in den
       Aufnahmelagern mag dabei eine Rolle spielen. Für Frontex sind die
       Einwirkungsmöglichkeiten begrenzt. Wenn an der Grenze das Wort "Asyl" fällt
       und Frontex bekommt davon Kenntnis, dann muss man dafür sorgen, dass dieses
       Verlangen auch ernst genommen wird und alle Informationen an die
       griechischen Behörden weitergeleitet werden. Alles andere liegt in der
       jeweiligen nationalen Verantwortung. Wir können Verbesserungen vorschlagen,
       aber irgendwo ist dann auch das Mandat von Frontex begrenzt.
       
       Sie sind als Agentur der Europäischen Union an die Genfer
       Flüchtlingskonvention und andere humanitären Standards gebunden. Wie gehen
       Sie damit um, dass Sie diese Standards nicht umsetzen können, weil Sie von
       anderen, nationalen Behörden abhängig sind? 
       
       Es belastet einen schon. Man ist persönlich hin und wieder unzufrieden mit
       der Tatsache, dass die Qualität der eigenen Arbeit nicht ausreicht, um ein
       Problem signifikant einer Lösung näherzubringen. Das ist etwas
       verklausuliert formuliert, aber niemand bei Frontex freut sich darüber,
       dass wir die Anzahl der illegalen Grenzübertritte zwischen der Türkei und
       Griechenland auf ein niedrigeres Niveau gebracht haben, weil wir sehen,
       dass die Anschlussmaßnahmen in nationaler Verantwortung, die Aufnahme und
       Behandlung der Flüchtlinge, sich nicht signifikant verbessert haben. Es
       wäre völlig fehlerhaft zu glauben, Frontex gebe sich mit der Reduzierung
       der Zahl zufrieden und verschließe die Augen davor, was im Inland läuft.
       Aber wir haben kein Mandat dafür, die Maßnahmen, die in nationaler
       Verantwortung liegen, zu verändern.
       
       Zukünftig soll die Zusammenarbeit mit Drittländern, beispielsweise
       afrikanischen Staaten, noch intensiviert werden. Wie sieht diese
       Zusammenarbeit im Moment aus? 
       
       Wir wollen diese Länder in die Migrationskontrolle mit einbeziehen. Wir
       sagen immer, Migrationskontrolle kann nicht auf Grenzschutz oder
       Grenzkontrolle im unmittelbaren Grenzraum verengt werden. Frontex hat aber
       bis jetzt kein Mandat, um selbst eigene Mitarbeiter oder von Frontex
       koordinierte Mitarbeiter der Mitgliedstaaten in Drittländer zu entsenden.
       
       Streben Sie das an? 
       
       Die jetzt im EU-Rat zur Verhandlung stehende neue Frontexverordnung sieht
       vor, dass Frontex Grenzschutzverbindungsbeamte in Drittländer entsenden
       kann und Frontex sich an der Durchführung von Trainings oder anderen
       EU-Projekten beteiligen oder selbst diesbezüglich tätig werden kann.
       
       Die EU reagiert auf die Migration aus Nordafrika in dem Sinne: Wir müssen
       Frontex ausbauen und stärken, in der Hoffnung, dass diese ganzen Leute aus
       Afrika möglichst nicht bei uns ankommen. 
       
       Ich kommentiere natürlich nicht die politischen Äußerungen oder
       Wunschvorstellungen, die es gibt. Auf europäischer Ebene nehme ich mit
       einem gewissen Selbstbewusstsein zur Kenntnis, dass Frontex sich in den
       sechs Jahren seiner Existenz zu einer operativen Koordinierungsbehörde
       entwickelt hat, die offensichtlich auch ziemlich zügig einsetzbar ist. Das
       ist der Grund, weshalb Frontex immer an mindestens zweiter Stelle genannt
       wird, wenn es um die Lösung eines europäischen Problems an den Außengrenzen
       geht.
       
       War es für Ihre Organisation in den letzten Jahren nicht frustrierend, dass
       Sie quasi immer wieder Opfer Ihres eigenen Erfolges geworden sind? Wenn Sie
       an einer Stelle die Außengrenze der EU erfolgreich in Ihrem Sinne
       abgedichtet haben, verlagerte sich der Flüchtlingsstrom nur an eine andere
       Stelle. 
       
       Verlagerung ja, aber es ist trotzdem nicht frustrierend. Migrationspolitik
       und Migrationskontrolle lässt sich nicht allein mit Grenzschutz lösen. Ich
       muss zur Kenntnis nehmen, dass ich als Grenzschutzkoordinator die
       Migration, die es in der Menschheitsgeschichte immer gegeben hat, nicht
       stoppen kann. Bei bestimmten Hauptrouten kann ich etwas tun, damit diese
       Routen nicht missbraucht werden, aber ich kann damit Migration nicht
       aufhalten.
       
       8 Jun 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Jürgen Gottschlich
       
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