# taz.de -- Debatte Linkspartei: Die Sache mit dem Schal
       
       > Die Linkspartei muss sich gegen Antisemitismus-Vorwürfe wehren. Nun gibt
       > es einen Fraktionsbeschluss - der das Problem aber auch nicht komplett
       > aus der Welt schafft.
       
 (IMG) Bild: Mühsam: Die Linke sucht einen Weg aus der Antisemitismus-Debatte.
       
       Mit einer Erklärung hat die Linkspartei im Bundestag jetzt auf den Vorwurf
       reagiert, sich nicht genügend von antisemitischen Positionen abzugrenzen.
       In einem Fraktionsbeschluss distanzierte sie sich von jenen Stimmen zum
       Nahostkonflikt, die zum Boykott israelischer Produkte oder zum Teilnahme an
       der diesjährigen "Gaza-Flottille" aufrufen oder die eine Einstaatenlösung
       für Palästina und Israel fordern.
       
       Nach den medialen Angriffen der letzten Wochen sucht die Parteiführung nun
       offenbar Halt in abstrakten Standardfloskeln und Formelkompromissen, die
       den deutschen Nahostdiskurs seit jeher prägen.
       
       Entzündet hatte sich die Debatte um einen angeblichen Antisemitismus in der
       Linkspartei zuletzt an einer "Studie" mit dem Titel "Antisemiten als
       Koalitionspartner?" des Politologen Samuel Salzborn und des Historikers
       Sebastian Voigt. Diese Studie ist schlicht eine politische Kampfschrift,
       die grundlegenden wissenschaftlichen Anforderungen nicht genügt.
       
       Ein eindeutig antisemitischer Text, der unter dubiosen Umständen auf einer
       Webseite der Duisburger Linken gefunden wurde, ein Schal, der eine
       Nahostkarte ohne Israel zeigte, sowie der Ruf nach einem Israel-Boykott,
       der von Linke-Politikern unterstützt wurde - all diese Vorfälle
       verallgemeinern die Autoren auf mehr als fahrlässige Weise und ziehen
       daraus den Schluss, der "antizionistische Antisemitismus" sei in der Linken
       zu einer "weitgehend konsensfähigen Position geworden".
       
       Alle Argumente, Fakten und Personen, die nicht in dieses Zerrbild passen,
       werden von den Autoren ignoriert oder kleingeredet. Sogar eindeutige
       Beschlüsse der Parteigremien, die der These von Salzborn und Vogt
       widersprechen, werden verschwiegen. Die differenzierten Kriterien, mit
       denen die Autoren Antisemitismus diagnostizieren wollen, wenden sie im Text
       nicht an, vielmehr setzen sie auf bloße moralische Empörung.
       
       ## Für Gespräche mit der Hamas
       
       Den Gipfel des vorgeblichen Antisemitismus in der Linkspartei erblicken sie
       etwa in der Forderung einiger Linke-Politiker, politische Gespräche auch
       mit der Hamas zu führen. Das hat zwar nichts mit einer Solidarisierung mit
       der Hamas und deren antisemitischen Programmatik zu tun, sondern folgt der
       schlichten Einsicht, dass die Hamas als relevante Konfliktpartei nun einmal
       nicht ignoriert werden kann.
       
       Eine Einsicht, die auch 24 ehemalige Regierungschefs, Außenminister und
       andere Politiker aus Europa und dem Rest der Welt gewinnen mussten, die
       sich in einem offenen Brief an US-Außenmisterin Hillary Clinton und an die
       EU gewandt haben.
       
       Obwohl die Vorwürfe, die von Salzborn und Vogt gegen die Linkspartei
       vorgebracht wurden, zum Teil haltlos oder irreführend sind, wurden sie
       kürzlich sogar zum Aufhänger einer Aktuellen Stunde im Bundestag. Dort
       forderte der SPD-Abgeordnete Christian Lange die Linkspartei dazu auf,
       endlich das Existenzrecht Israels anzuerkennen.
       
       Dass sie dies längst mehrfach getan hat, focht ihn nicht an. Ähnlich
       tendenziös argumentierte die Frankfurter Rundschau, als sie einem
       Linke-Politiker eine "antisemitische Entgleisung" vorwarf. Was hatte der
       getan? Er hatte erklärt, Israels Anspruch, zugleich jüdisch und
       demokratisch sein zu wollen, sei ein Widerspruch in sich. Wer aber wollte
       das ernsthaft bestreiten? Daher rührt schließlich die Ungleichbehandlung
       der arabischen Minderheit in Israel. Diese zu kritisieren bedeutet noch
       lange nicht, das Existenzrecht Israels zu bestreiten.
       
       ## Blind für den rationalen Kern
       
       Leider tritt die Gegenseite in der Debatte auch nicht immer besser auf. So
       weist Norman Paech, Völkerrechtler und Ex-Linke-Abgeordneter, in der jungen
       Welt zwar gekonnt und mit guten Argumenten und Belegen alle gegen die Linke
       erhobenen Vorwürfe zurück. Was er jedoch fast zwanghaft vermeidet, ist, die
       Vorwürfe auch nur einen Moment ernst zu nehmen. Dabei könnte es ja sein,
       dass die Debatte trotz aller falschen Vorwürfe einen rationalen Kern hat,
       über den nachzudenken sich lohnen könnte.
       
       Paradigmatisch dafür steht der Schal, mit dem die Linke-Abgeordnete Inge
       Höger auf einer "Palästina-Konferenz" abgelichtet wurde. Norman Paech
       argumentiert, in Israel gäbe es genau die gleichen Karten mit exakt den
       gleichen Grenzen, nur dass sie die Überschrift "Israel" trügen.
       
       Das mag richtig sein. Aber Paech verzichtet leichten Herzens darauf, zu
       fragen, was ein solches Bild wohl bei jüdischen Betrachtern auszulösen
       vermag - eine Deutsche mit einem Schal, auf dem Israel symbolisch von der
       Landkarte getilgt wurde. Höger ist deshalb noch keine Antisemitin. Aber sie
       bewegt sich in einer Grauzone der Palästinasolidarität, die zum
       Antisemitismus anschlussfähig ist - ein entscheidender Unterschied, den
       Salzborn und Vogt nicht zu kennen scheinen.
       
       ## Eigenartige Koalitionen
       
       Dass manche Politiker der Linkspartei eine historische Sensibilität
       vermissen lassen, wenn sie sich in dieser Grauzone bewegen, hat damit zu
       tun, dass sich beim Nahostkonflikt längst verhärtete Fronten und
       eigenartige Koalitionen gebildet haben. Engagement gegen Antisemitismus
       geht nicht nur in Deutschland oft mit einer einseitigen Parteinahme für
       Israel einher.
       
       Viele Kritiker Israels hingegen neigen dazu, Antisemitismusvorwürfe zu
       bagatellisieren. Das mag angesichts ritualisierter falscher Vorwürfe
       erklärlich sein - richtig ist es deswegen noch lange nicht.
       
       Engagiert gegen die israelische Besatzung einzutreten und klar gegen jeden
       Antisemitismus Stellung zu beziehen fällt manchen offenbar schwer.
       Zweifelhaft ist, ob die Linksfraktion das Problem administrativ lösen kann,
       indem sie Verhaltensregeln vorgibt. Diese suggerieren eine Eindeutigkeit,
       wo es keine Eindeutigkeit gibt. Sie ersetzen aber keine innerparteiliche
       Debatte und Reflexion.
       
       Schlimmer noch: Mit ihrer prinzipiellen Distanzierung von einer
       Einstaatenlösung erweckt sie den Eindruck, diese Forderung an sich sei
       bereits antisemitisch. Mag sein, dass auch radikale Israelfeinde sie
       erheben können - andererseits ist sie im Nahen Osten längst eine Art
       Realität. Und eine Welt, die sich nicht nach Nationen und Religionen
       unterteilt, darf ja weiter ein Ziel fortschrittlichen Engagements sein,
       solange dabei die Rechte aller gewahrt bleiben.
       
       14 Jun 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Peter Ullrich
       
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