# taz.de -- Wettskandal im italienischen Fußball: Besenschwinger in der Provinz
       
       > Cremona ist klein, beschaulich und sehr italienisch. Und Schauplatz des
       > wohl größten Wettskandals der Fußballgeschichte. Und auch die Mafia soll
       > ihre Finger mit im Spiel haben.
       
 (IMG) Bild: Trikot von Giuseppe Signori, in Cremona aus dem Fenster des örtlichen Gerichts hängend.
       
       Einst wurden Geigen hergestellt in Cremona. Jetzt ist die Stradivari-Stadt
       erneut ein Resonanzerzeugungsraum, allerdings für Misstöne. Cremona ist
       Dreh- und Angelpunkt des Wettskandals im italienischen Fußball.
       
       Nach einer Schlafmittelattacke des Torwarts auf seine Mitspieler beim
       Lokalverein deckte die hiesige Staatsanwaltschaft ein Netz an Wettbetrügern
       und Spielmanipulatoren auf, das von Mailand bis Bari reichen soll.
       Zumindest 18 Partien stehen unter Manipulationsverdacht. 44 Personen werden
       beschuldigt.
       
       Staatsanwalt Roberto Di Martino hielt sogar Einflüsse der Mafia für
       möglich. Der schmächtig gebaute Mann mit dem angegrauten Lockenhaar und dem
       spitz auslaufenden Kinn ist auf den Fall seines Lebens gestoßen. Er hat
       Tausende Telefonate abhören lassen und kann sich inzwischen über
       Teilgeständnisse freuen, die seine Sicht bestätigen. "Ich habe das nur aus
       Liebe zu meinem Verein gemacht", erklärte etwa der Sportdirektor des
       Drittligaklubs Ravenna Calcio, Giorgio Buffone, seine Versuche, mit
       Managern anderer Klubs bereits vor Anpfiff Einigkeit über Spielergebnisse
       zu erzielen, um beiden Seiten zusätzliche Einnahmen über sichere Wetten zu
       bescheren. "Die Manipulationen zielten auch auf die Serie A", äußerte sich
       ein anderer der Verdächtigen, der Zahnarzt und Freizeitzocker Marco Pirani.
       
       ## "Momentan sind wir Journalisten es, die die Fakten schaffen"
       
       Äußerungen wie diese werden nicht nur von Di Martino begierig aufgenommen,
       sondern auch von der Hundertschaft von Journalisten, die im und um den
       Justizpalast ihr Lager aufgeschlagen hat. Die schmale Via dei Tribunali vor
       dem Gericht ähnelt wegen der Menge an Übertragungswagen dem Mediencampus
       bei der Tour de France. Die Bar, die dem Gericht am nächsten gelegen ist,
       mutierte binnen kurzer Zeit zum inoffiziellen Pressezentrum. Telefonnummern
       der Anwälte der Beschuldigten werden ausgetauscht, Informationen
       weitergegeben - und hin und wieder Zweifel geäußert. Ein Mitarbeiter der
       Gazzetta dello Sport meint: "Momentan sind wir Journalisten es, die die
       Fakten schaffen. Es wurde viel geschrieben, aber die Beweise fehlen." Eine
       Kollegin vom Bezahlfernsehen Sky hält hingegen viele Hinweise für
       glaubwürdig. Sie befürchtet aber, dass die Sportjustiz nur lächerlich milde
       Urteile fällen wird: "Das war schon bei Calciopoli 2006 so. Borrelli, der
       ursprünglich vom Verband als Untersuchungsrichter eingesetzt wurde, hat
       sich frustriert zurückgezogen."
       
       Der frühere Mailänder Generalstaatsanwalt Francesco Saverio Borrelli war
       ein gefürchteter Ankläger. Einen Mann seines Formats leistet sich der
       Fußballverband nicht. Die FIGC setzt auf Stefano Palazzi, den Sportrichter,
       der zwar Juventus Turin 2006 zum Zwangsabstieg verurteilte, auf dem Wege
       durch drei Instanzen das Strafmaß für alle anderen Vereine und die meisten
       Angeklagten aber radikal verkürzte. Ein Gefälligkeitsrichter ist Palazzi
       sicher nicht, ein Besenschwinger aber auch nicht.
       
       ## Cremoneser Spieler sollen nicht gewettet haben
       
       Er kam am Montag nach Cremona. "Ich bedanke mich dafür, die Unterlagen
       erhalten zu haben", sagte der braungebrannte Römer und tauchte in das
       bereitstehende Taxi ab. Informationen über einen Zeitplan seiner
       Entscheidungen wollte er nicht geben. Immerhin stehen wegen
       Manipulationsverdacht der Aufstieg von Atalanta Bergamo und AC Siena und
       damit der gesamte Spielplan der Serie A zur Disposition. Doch Palazzi
       entdramatisiert nach Kräften. Eine ähnliche Stimmung herrscht in den
       Wettsalons von Cremona. Bloß nicht daran denken, dass etwas schiefgelaufen
       ist. "Bei mir hat sich niemand beschwert, dass er bei einem der
       verdächtigen Spiele verloren hat. Keiner wollte Geld zurück. Es kommen
       jetzt sogar mehr Leute zum Wetten, denn wir machen gute Angebote", sagt der
       Betreiber einer Goldbet-Filiale. Cremoneser Spieler - neben Torwart Paoloni
       gehört auch Verteidiger Gervasoni zu den Beschuldigten - hätten bei ihm
       nicht gewettet. "Ich hätte sie aber auch gar nicht erkannt", meint er.
       
       Mit maliziösem Lächeln fügt er nur hinzu, dass die Konkurrenz von
       Stanleybet, die mit Massimo Eridiano einem der Männer im Zentrum des
       Wettskandals die Franchise-Lizenz für zwei Annahmestellen in Pescara
       ausstellte und zudem mehrere Jahre lang einen Schiedsrichter in der von
       Betrugsverdacht am ärgsten betroffenen dritten Liga beschäftigte, zwei Tage
       vor Bekanntwerden des Manipulationsskandals von Cremona ihre Filiale in
       dieser Stadt schloss. Besteht da ein kausaler Zusammenhang? Der
       Goldbet-Mann hebt mit unschuldigem Blick die Arme.
       
       Während für Wetter, Wettbetreiber und Sportrichter das Leben ganz normal
       weitergeht, harrt eine Journalistenschar weiter tapfer vor dem Justizpalast
       aus, um zu erfahren, wie korrupt das italienische Fußballsystem wirklich
       ist. Und freut sich. "Für uns ist das prima. In der Sommerpause haben wir
       sonst nichts zu tun. Jetzt hoffen wir jeden Tag auf eine Neuigkeit, damit
       der Einsatz hier verlängert wird", sagt lachend ein freier Mitarbeiter
       eines landesweiten Senders. So ein Betrugsskandal ist bei aller Bestürzung
       eben auch eine eierlegende Wollmilchsau für Medienschaffende.
       
       14 Jun 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Tom Mustroph
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Digitalisierung
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Tonmeister über Stradivari-Digitalisierung: „Jeder Klang ist Geschmackssache“
       
       Thomas Koritke ist Tonmeister und hat den Klang weltbekannter Geigen
       digitalisiert. Ein Gespräch über Stradivari, Störgeräusche und
       Straßensperren.
       
 (DIR) Juventus Turins Rückkehr: Mentaler Hammer
       
       Juventus ist unter Antonio Conte zurück an die Spitze gestürmt. Das Gebaren
       des Klubchefs erinnert indes an die alte Arroganz des Rekordmeisters.
       
 (DIR) Italienische Fußball-Liga: Es drohen spanische Verhältnisse
       
       Auch Italiens Erstliga steht ein Spielerstreik zum Saisonauftakt bevor. Die
       Profi-Gewerkschaft möchte die Fußballer vor Solisteuer und
       Kleingruppentraining bewahren.
       
 (DIR) Buch über Zockerei im Fußball: "Eine Kultur der Maßlosigkeit"
       
       René Schnitzler, ehemaliger Profi und Kumpan der Wettmafia, stellt die
       Fußballszene als einen Haufen Spielsüchtiger dar. Als 18jähriger war der
       Autor erstmals im Kasino.
       
 (DIR) Urteil im Manipulationsskandal: Sieben Tore - sieben Elfer
       
       Die Fifa zieht sechs besonders dreiste Schiedsrichter wegen "passiver
       Bestechung" und Spielmanipulation aus dem Verkehr. Sie wurden lebenslang
       gesperrt.
       
 (DIR) Debatte Fußball in Griechenland: Hoffen auf den Feuersturm
       
       Griechenlands Fußball wird von einem Wettskandal erschüttert. Da drängen
       sich Parallelen zur Schuldenkrise auf. Denn das ganze System ist krank.
       
 (DIR) Wettskandal in Italien: Die Camorra kickt mit
       
       Die Mafia soll bei den jüngsten Manipulationen im italienischen Fußball
       jede Menge Geld gewaschen haben. Mit illegalen Wetten macht sie 60
       Milliarden Euro Umsatz im Jahr.
       
 (DIR) Manipulationen im italienischen Fußball: Schlafmittel für den Verteidiger
       
       In Italien weitet sich der Wettskandal aus: Nach Spielern sollen auch
       Politiker und die Mafia verwickelt sein. In einem Büro wurden Schecks in
       Höhe von 400.000 Euro gefunden.