# taz.de -- Deutsche Vertretung in Bengasi: Treffpunkt der Opfer und Überläufer
       
       > Die Bundesregierung wird bald eine Vertretung in Bengasi haben. Dann
       > sitzen Opfer Gaddafis mit denjenigen zusammen, die mit dem alten Regime
       > Geschäfte machten.
       
 (IMG) Bild: Hochburg der Aufständischen und bald Sitz der deutschen Vertretung.
       
       "Das kommt aus Deutschland!" Auf einem Korridor im Gerichtsgebäude von
       Bengasi halten zwei Revolutionäre dem Reporter eine Hülle unter die Nase.
       "Gewicht: 231,4 g" ist darauf gedruckt. Im Innern: eine Gasmaske. Hunderte
       davon lagen in Fahrzeugen, aus denen Gaddafi-Milizionäre nach Luftschlägen
       geflohen waren. "Eure Unternehmer haben Geld mit dem Regime verdient, und
       unsere Leute vegetierten in den Kerkern!", empören sich die beiden.
       
       Othman Suleiman Gerhi gehört zwar zu den Opfern, die sie damit meinen
       könnten. Er sieht die Dinge aber höchst pragmatisch. "Falls die
       Bundesregierung uns jetzt unterstützen will - herzlich willkommen." Der
       stämmige Mann Anfang fünfzig ist im Übergangsrat der Repräsentant von
       Tobruk. Als er von den Gefängnissen erzählt, in denen er unter Gaddafi als
       oppositioneller Student jahrelang eingesperrt war, muss er lange Pausen
       einlegen.
       
       Manchmal schließt er die Augen, atmet durch, ehe er weiterreden kann: Er
       und die Mitgefangenen wurden in einen Sarg gelegt, in den für Hände und
       Füße große Löcher gesägt waren. Durch eine Öffnung auf der Höhe des
       Gesichts konnten Geheimdienstler immer wieder Wasser über den Mund laufen
       lassen, sodass man fast erstickte. Andere rissen den Wehrlosen
       währenddessen Finger- und Fußnägel aus.
       
       ## Türöffnerin für deutsche Firmen
       
       Wenn sich in der neu eingerichteten Vertretung der Bundesregierung in
       Bengasi bald deutsche Wirtschaftsvertreter und Angehörige des
       provisorischen Regierungsrats treffen, dann dürften sie sich
       gegenüberstehen: die langjährigen Opfer Gaddafis und diejenigen, die mit
       dem alten Regime Geschäfte machten - und sie mit der neuen Regierung
       fortzusetzen wünschen. Ihnen will Katrin Leskowski beim Übergangsrat die
       Türen öffnen.
       
       Die rothaarige junge Dame im Hosenanzug sitzt in einem Büro mit Blick auf
       die Hamburger Binnenalster. Beim Afrika-Verein der deutschen Wirtschaft
       betreut sie seit viereinhalb Jahren den Libyen-Kontaktkreis. Seit 1934
       bahnt der Unternehmerverband zwischen deutschen Firmen und afrikanischen
       Entscheidungsträgern Kontakte an, organisiert Reisen deutscher Politiker in
       den Maghreb, ist oft dabei, wenn ein deutscher Bundeskanzler oder
       Wirtschaftsminister auf Staatsbesuch fährt.
       
       Katrin Leskowski kennt die Schlüsselfiguren der Ministerien in Tripolis.
       Sie weiß, dass man sich durch Geschäfte mit dem Gaddafi-Regime nicht
       automatisch schuldig machte. "Gasmasken zum Beispiel werden auch von den
       Beschäftigten in der Ölindustrie beim Arbeitsschutz benötigt."
       
       Dass alle Vertreter des neuen Libyen Gaddafi-Opfer waren, daran zweifelt
       die Nordafrika-Referentin mit feinem Lächeln. Gaddafi-Funktionäre, sagt
       sie, hätten sich bei ihr schon frühzeitig gemeldet. Unaufgefordert.
       Manchmal aus libyschen Ministerien heraus, manchmal auch aus libyschen
       Auslandsvertretungen hätten sie vorgefühlt und angerufen, um zu sagen:
       "'Lieber Afrika-Verein, ich möchte euch mitteilen, ich bin ein Überläufer.'
       Unter anderen auch Leute, die heute im Übergangsrat mitarbeiten."
       
       Kurz nach dem Beginn der Revolution liefen in der Hamburger
       Lobbyvereinigung die Telefone heiß. Unternehmer erkundigten sich, wie es in
       Libyen jetzt weitergeht. "Keiner wollte sich natürlich auf die falsche
       Seite schlagen." Leskowski nahm eine Lageeinschätzung vor, das Resultat war
       eindeutig: Die ölverarbeitende Industrie liegt vornehmlich im Osten. Für
       ein geteiltes Libyen gibt es keine Überlebensperspektive. Vorausschauende
       Gaddafi-Funktionäre desertieren. Man wird die Bundesregierung drängen, in
       Bengasi rasch ein Verbindungsbüro zu eröffnen. "Engländer und die Franzosen
       waren von Anfang an vor Ort."
       
       ## Loch im Stuck
       
       Abdelsalam Boushguma vertritt in der provisorischen Regierung die Stadt
       Adschdabija, ein kleiner, freundlicher Herr mit graumeliertem Schnurrbart,
       zerknittertem Anzug und dem flachen libyschen Fez. Im Range-Rover
       vorausfahrend, lotst er uns durch die Außenbezirke Bengasis in die 140
       Kilometer entfernte und bis vor Kurzem noch heftig umkämpfte Stadt. An
       vielen Punkten legt er Stopps ein, zeigt die Granateneinschläge im
       Krankenhaus, die Ruinen von Wohnhäusern, die durch den willkürlichen
       Beschuss durch die Gaddafi-Milizen zerstört wurden, ermöglicht Gespräche
       mit den Opfern.
       
       Am Ende will er uns den Höhepunkt der Gewalt vor Augen führen und fährt mit
       uns zu einer Mauer, hinter der sich ein gepflegter Garten auftut. Darin:
       sein Haus - mit mehr als zehn Zimmern, Marmorbädern, gedrechselten
       kostbaren Materialien nicht nur für hiesige Verhältnisse ein Schlösschen.
       
       ## Suche nach Waren
       
       Schwer atmend steigt er die Treppe hoch, führt uns in einen riesigen Salon
       und deutet zur Decke empor: "Verstehen Sie jetzt?" Man muss genau hinsehen,
       um zu erkennen, was er meint: In der Deckenzier fehlt eine Ecke, ein
       Querschläger hat den Stuck dort weggeschlagen. "Gaddafi", stöhnt er,
       schüttelt den Kopf und lässt sich auf einen der Polstersessel im Salon
       fallen. Dort kommt er schon bald auf andere Themen: Ob man aus Deutschland
       nicht die ein oder andere Ware beschaffen könne?
       
       Abdelsalam Boushguma ist zwar Jurist und hat soeben einen
       Verfassungsentwurf vorbereitet. Aber er ist auch Geschäftsmann. Sein
       zweites Anwesen befindet sich in Marokko, wo seine Familie lebt. Ein Sohn
       studiert dort auf der Eliteuniversität al-Akhawaine. Manchen in der Stadt
       gilt er als Wendehals: "Sein Geld hat er durch Provisionsgeschäfte
       gemacht", sagt ein Ladenbesitzer. "Ausländischen Firmen hat er Verträge mit
       staatlichen Unternehmen ermöglicht und dafür dicke Prozente eingestrichen.
       Nach Gaddafi will er einfach weitermachen wie vorher."
       
       Der Anwalt ist in Adschdabija eine durchaus kontroverse Figur.
       Konkurrierende Volksvertreter, räumt er ein, möchten ihren Mann an seiner
       Stelle in den Übergangsrat puschen. "Aber das sind einfache Leute, ohne
       Bildung. Ich hoffe, dass der Vorsitzende bald Stellung bezieht und mich in
       meiner Funktion bestätigt."
       
       Bei einer der Sitzungen, die in Bengasi an einem geheimen Ort stattfindet,
       kann man sie alle beieinander sehen: Den "provisorischen Präsidenten"
       Mustafa Abdel Jalil. Ehemals Justizminister unter Gaddafi, verdankt er
       seine Bekanntheit und sein Ansehen dem Umstand, dass er es, anders als
       andere, wagte, öffentlich Kritik am Machthaber zu üben. Oder Abdelhafiz
       Ghoga. Eigentlich nur Sprecher des Rates, agiert er so geschickt, dass er
       inzwischen qua Gewohnheit als Vizepräsident apostrophiert wird.
       
       Jede Stadt entsendet ihre Vertreter, kleinere Gemeinden je einen, größere
       drei oder vier. Bengasi vertritt gemeinsam mit anderen die Rechtsanwältin
       Salwa Bughaigis, die unter dem alten Regime die Opfer willkürlicher
       Enteignungen verteidigte. Dem provisorischen Regierungsrat sind Ausschüsse
       für alle Bereiche von Regierung und Veraltung zugeordnet.
       
       ## "Liberté! Liberté!"
       
       Im Rechtsausschuss wirkt Salwa Dgheli mit, eine junge Technokratin, die ihr
       Studium an der Sorbonne absolviert hat. Sie arbeitet so fieberhaft daran,
       die Rechtsprechung im Übergangssystem zu verbessern, dass sie sich auf
       Diskussionen über das zukünftige System nicht einlassen möchte.
       
       Ihr Kollege Abdallah Musa el Mahoub, ein älterer Herr, ist ebenfalls in
       Frankreich ausgebildet worden, aber vor so langer Zeit, dass er die Sprache
       wieder vergessen hat. Wie stellt er sich das zukünftige Recht vor.
       "Montesquieu! Descartes! Mirabeau!" Gut, aber was bedeutet das praktisch?
       "Liberté! Liberté!" Mit großer Geste wirft er sich das libysche Togagewand
       um, macht einen Kratzfuß und wandelt dem Sitzungssaal entgegen.
       
       Auch Othman Suleiman Gerhi aus Tobruk und Abdelsalam Boushguma sind
       erschienen. Gerhi will die Gründung einer Interessengruppe vorantreiben,
       einer Vereinigung ehemaliger politischer Gefangener und Folteropfer.
       "Solche Interessengruppen könnten im neuen Libyen zum Grundstock späterer
       Parteien werden - oder sie vielleicht auch ersetzen." Boushguma tritt
       unruhig von einem Fuß auf den anderen: Wird der Rat ihn heute als den
       einzigen legitimen Vertreter Adschdabijas anerkennen? Die Hoffnung
       schwindet schnell, erneut wird die Entscheidung vertagt.
       
       In Hamburg bereitet Katrin Leskowski derzeit die Libyenreise des
       Afrika-Vereins vor. Um neue Ansprechpartner macht sie sich keine Sorgen.
       Mit dem Gaddafi-Personal könne man teilweise weiterarbeiten. So ähnlich sei
       das schon in Tunesien gewesen. "Die gleichen Leute kommen überall wieder
       nach oben."
       
       21 Jun 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Marc Thörner
       
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