# taz.de -- Vor dem Grünen-Parteitag: Der quälende Sieg
       
       > Darf die Partei dem Atomausstieg der Bundeskanzlerin zustimmen? Sie muss,
       > sagt Claudia Roth. Doch viele Mitglieder empfinden das als Verrat am
       > Gründungsmythos.
       
 (IMG) Bild: "Sicher ist nur das Risiko", waren sich Claudia Roth und Cem Özdemir 2009 einig. Nun scheint die Zustimmung zum schwarz-gelben Atomausstieg zum Risiko zu werden.
       
       BERLIN taz | Den schönsten Abend seit langer Zeit hat der CSU-Haudegen
       Peter Gauweiler Claudia Roth beschert. Es war am Dienstag in der Münchner
       Gaststätte Nockherberg, das ungleiche Paar redete über den Atomausstieg:
       "Mich juckt's am ganzen Körper", sagte Gauweiler irgendwann. "Aber man muss
       sagen, dass die Grünen diese Debatte gewonnen haben." Roth lacht, als sie
       davon erzählt. Gewonnen. Sagt ein Tiefschwarzer. Vor hunderten CSUlern.
       
       Genau diese Botschaft will die Grünen-Chefin der Republik im Ganzen und den
       Delegierten des Sonderparteitags im Besonderen vermitteln: Wenn die Grünen
       der schwarz-gelben Atomgesetznovelle zustimmen, besiegeln sie nicht den
       Sieg der Atomausstiegs-Kanzlerin. Sondern den eigenen. "Dieser Ausstieg ist
       der größte Erfolg, den eine Oppositionspartei jemals erreicht hat", sagt
       Roth in ihrem Büro und wedelt mit einem Lokalzeitungsartikel zum
       Gauweiler-Treffen.
       
       Es gibt da nur ein Problem: Die grüne Basis ist nicht Gauweiler.
       
       Am [1][Samstag entscheiden die gut 700 Delegierten], ob die Partei Merkels
       Atomausstieg unterstützt (siehe Kasten). Doch wer sich mit Grünen
       unterhält, bekommt den Eindruck, dass mehr auf dem Spiel steht. Der
       Gründungsmythos oder die Regierungsfähigkeit. Mindestens.
       
       ## Fukushima-Szenario denkbar
       
       Der radikalste Gegenspieler von Roth ist Karl-Wilhelm Koch. Er ist aus der
       Vulkaneifel angereist, sitzt in einer austauschbaren Hotellobby in Berlin,
       dicht bedruckte Papiere in der Hand, Lachfältchen und ergrauten
       Dreitagebart im Gesicht. Er sagt: "Schon bei einem mittleren Störfall im
       AKW Gundremmingen ist ein Fukushima-Szenario denkbar. So ein Ding noch
       jahrelang vor der Haustür von München laufen zu lassen ist Wahnsinn." Für
       Koch zählt jeder Tag ohne Atomenergie.
       
       Deshalb hat er zu Hause einen Alternativantrag für den Parteitag getippt.
       Koch will den Sofortausstieg. Bis 2013 wäre das Abschalten ohne Probleme
       technisch machbar, glaubt er. Weil erst die Grünen - mit der SPD als
       Juniorpartner - die Macht übernehmen müssen, steht 2017 in dem Papier. "Das
       wäre eine heiße Nummer, aber zu schaffen."
       
       Ein Laie ist der Lehrer Koch nicht. Er hat ein Buch zum "Störfall
       Atomkraft" herausgegeben und ein Ingenieursstudium hinter sich. Koch, das
       ist nicht unwichtig, opponiert zwar frontal gegen den Vorstand, vertritt
       aber eine offizielle grüne Position. 2017, das hatte noch im März der
       Parteirat beschlossen. "Es ist schon verrückt, wie schnell ich in dieser
       Frage an den ganz linken Rand gerückt bin."
       
       In der Logik der [2][Parteispitze ist das Klammern an den eigenen Beschluss
       überholt], ja naiv. "Mit Verlaub, die Grünen sind in der Opposition", sagt
       Roth. Selbst wenn sie 2013 an die Regierung kämen, würde die Zeit knapp für
       einen Schnellausstieg, sagt Roth. "Ich will doch nichts in der Opposition
       versprechen, was ich dann nicht halten kann."
       
       Dahinter steckt eine nüchterne Rechnung: Selbst wenn es 2013 für Rot-Grün
       reicht, wird die SPD niemals einen schnelleren Ausstieg mittragen. Mehr ist
       in der Sache also politisch nicht drin, analysiert der Vorstand, lieber
       will er deshalb die Kanzlerin mit einem starken Kompromiss verhaften. Zumal
       selbst Grünen-Anhänger laut Umfragen den Ausstieg ganz okay finden.
       
       ## Eine Prognose für den Parteitag? Schwer zu sagen
       
       Die Zäsur war Merkels Runde mit den Ministerpräsidenten. Anfang Juni ließ
       sie sich darauf ein, die Kraftwerke schrittweise abzuschalten. Das geht
       weiter als der 2001 vereinbarte Ausstieg von Rot-Grün. Den hat damals
       Jürgen Trittin als Umweltminister erfunden. Für ihn muss undenkbar sein,
       sich sein Baby von Merkel klauen zu lassen. Zusammen mit dem Realo Cem
       Özdemir drängte er im Vorstand früh auf die grüne Zustimmung.
       
       Roth war zögerlicher. Als Fachfrau für Emotion hat sie den kürzesten Draht
       zur Basis, sie schätzt Leute wie Klaus-Wilhelm Koch. Eine Prognose zum
       Ergebnis des Parteitags wagt sie nicht: "Dafür bin ich zu lange bei den
       Grünen. Das Anstrengende und Wunderbare an der Partei ist ja, dass wir
       tatsächlich unsere Streite ausfechten."
       
       Die [3][Kritiker mobilisierten zuletzt stark], die Grüne Jugend besetzte in
       Kreisverbänden systematisch die Delegiertenlisten. Gleichzeitig tingelten
       die Funktionäre in strapaziösen Touren durch die Städte.
       
       Bärbel Höhn telefoniert am Donnerstag aus dem Zug nach Gorleben. "Es war
       eher eine harte Woche." Was eher eine Untertreibung ist. Fraktionsvize Höhn
       besuchte Kreisvorstände, Mitglieder, Anti-AKW-Kämpfer, in Münster,
       Oberhausen, Aachen, Dannenberg. Und fasst zusammen: "Das waren sehr ruhige
       und sachliche Diskussionen, das Interesse an Information ist hoch." Viele
       Mitglieder wüssten gar nicht genau, was im Atomgesetz steht, welchen
       Punkten die Grünen zustimmen würden. Höhn tippt: In NRW, einem kritischen
       Verband, steht es 50:50.
       
       ## Nur die Machbarkeit ist in der Partei strittig
       
       Die Sache ist also offen, und beim Vorstand ist die Erinnerung an Göttingen
       noch frisch. Göttingen, das war der berühmte Afghanistanparteitag im
       September 2007. Damals haute die Basis dem Vorstand seinen Kompromiss zu
       einer Antiterrormission um die Ohren. Droht ein Göttingen II? "Der große
       Unterschied ist, dass in Göttingen die Meinungen diametral
       auseinandergingen", sagt Roth. "Bei der Atomfrage ist es anders: Eigentlich
       sind sich inhaltlich alle einig, nur die Schlussfolgerungen unterscheiden
       sich."
       
       Dieses Mal geht es nicht um Krieg oder Frieden. Beim Atomausstieg herrscht
       in der Partei breiter Konsens. Möglichst schnell, das sagen alle, nur die
       Machbarkeit ist strittig. Roth betont im Gespräch, dies sei kein
       Oben-gegen-unten-Konflikt.
       
       Bleibt die Frage: Was für einer dann? Während scharfe Worte von der Grünen
       Jugend kommen und hunderte Basisleute kritischen Anträge unterschreiben,
       hat sich kaum ein bekannterer Grüner mit Amt oder Mandat klar gegen die
       Vorstandslinie positioniert. Außer Ströbele. Und wer es doch tut, will
       entweder nicht zitiert werden oder betont gewunden, wie wunderbar die
       Analyse des Vorstands aber ganz grundsätzlich sei.
       
       Das hat etwas Verklemmtes. Man ist sich einig in der Funktionärsebene, will
       sich aber unterscheiden. Dagegen wirkt die CDU wie ein Debattierclub nach
       fünf Stunden Freibier. Letztlich fragt man sich, ob all das überhaupt so
       dramatisch ist. Zerreißen wird die Partei, wie es Die Welt am Freitag
       titelte, an einer Ablehnung sicher nicht. Schwarz-Gelb würde das Gesetz mit
       der SPD beschließen, nach ein paar Wochen spräche niemand mehr davon.
       "Außerdem goutieren unsere Wähler sogar, wenn die Basis den Vorstand
       abwatscht", sagt einer in der Parteizentrale.
       
       Claudia Roth sieht das natürlich anders. In ihrem Büro hängt ein Bild, das
       sie seit 1985 begleitet. Ein Mädchen steht im Wind, in der rechten Hand
       hält es eine Fahne. Die Grünen-Chefin redet darüber, so ausführlich, dass
       man den Gedanken nicht loswird, ihr wäre die Erwähnung in diesem Text nicht
       unlieb. Roth, eine grüne Jeanne dArc, die die Basis gegen Atom-Merkel
       führt. Jetzt müssen die Truppen nur noch folgen.
       
       24 Jun 2011
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
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