# taz.de -- Abzug der Bundeswehr: Auf Wiedersehen, Afghanistan
       
       > Die Deutschen ziehen sich sukzessive aus Afghanistan zurück. Anfang Juli
       > soll die Verantwortung für die Sicherheit in vier Städten und drei
       > Provinzen übergeben werden.
       
 (IMG) Bild: Bald weht hier keine Deutschlandfahne mehr: Masar-i-Scharif.
       
       Es war Dienstag, spät abends, als mitten in Kabul auf erschreckende Weise
       klar wurde, wie unberechenbar die Situation in Afghanistan mittlerweile
       geworden ist. Zu dieser Zeit hatten im Hotel Intercontinental mehrere
       Diplomaten ihr Zimmer bezogen, sie wollten an einer Konferenz zur Übergabe
       der Sicherheitsverantwortung von der Nato an die Afghanen teilnehmen,
       eigentlich ein feierlicher Moment. Dann kamen die Angreifer.
       
       Nach Augenzeugenberichten stürmte eine Gruppe von bis zu acht Kämpfern der
       Taliban das schwer gesicherte Luxushotel. Die Angreifer schossen umher,
       zudem waren mehrere Detonationen zu hören. Offenbar kamen 11 Zivilisten ums
       Leben, neben Afghanen auch ein Türke und ein Spanier.
       
       Die Nato setzte Hubschrauber ein, auf einem Video ist in der Folge das
       brennende Dach des Hotels zu erkennen. Erst nach Stunden endeten die
       Gefechte.
       
       Es ist kein Zufall, dass der Zwischenfall genau vor dieser Konferenz
       passiert. Denn Anfang Juli soll die Sicherheitsverantwortung in insgesamt
       vier Städten und drei Provinzen des Landes an die Afghanen übergeben
       werden. "Die Taliban wollen ein Szenario herbeiführen, in dem sie den
       Alliierten zeigen: Ihr habt es nicht unter Kontrolle", sagt die
       FDP-Verteidigungspolitikerin Elke Hoff, "jetzt müssen wir die Nerven
       bewahren."
       
       ## Geplanter Rückzug der Nato bis 2014
       
       Ende dieses Jahres soll Afghanistans Präsident Hamid Karsai weitere Städte
       und Provinzen bekannt geben, in denen in den Folgemonaten die Afghanen
       übernehmen. Für die Nato ist diese Übergabe ein entscheidender Schritt auf
       dem Weg zum geplanten Abzug aller Kampftruppen bis 2014. Und auch
       Deutschland ist von den Veränderungen im Norden des Landes betroffen.
       
       Seit Monaten zeigt sich daher auch eine Veränderung der Strategie der
       Aufständischen in dem Land. Zunehmend verlagern sich die Angriffe von
       Militärkonvois und internationalen Soldaten auf zivile Ziele, erst vor
       wenigen Tagen starben 38 Menschen bei einem Anschlag auf ein Krankenhaus im
       Osten des Landes. "Das Perfideste, das man sich denken kann", sagt der
       Grünen-Verteidigungsexperte Omid Nouripour.
       
       Besonders hochrangige Afghanen werden angegriffen: In der nordafghanischen
       Provinz Tachar starb Ende Mai der afghanische General Daud, der als
       wichtige Person für den Übergang galt, im Juni wurde eine Polizeistation
       südwestlich von Kabul angegriffen. "Die Afghanen setzen zunehmend auf
       weiche Ziele", sagt Omid Nouripour.
       
       Eine Situation, mit der auch die Bundeswehr im Norden umgehen muss. Denn
       dort muss die Bundeswehr in diesen Wochen mit zwei Herausforderungen
       umgehen. Die US-Amerikaner könnten durch den geplanten Abzug erster Truppen
       vom Hindukusch auch aus dem Norden Unterstützung abziehen. Und parallel
       dazu muss die stückweise Abgabe der Sicherheitsverantwortung umgesetzt
       werden.
       
       ## Masar wird unabhängig
       
       Für Deutschland beginnt der Prozess hinter einem blauen Torbogen. Er steht
       etwas verloren zwischen dem Bundeswehrlager nahe Masar-i-Scharif und der
       Stadt selbst, darauf befestigt ein Foto vom afghanischen Präsidenten Hamid
       Karsai und das Bild einer Landesfahne im Wind. "Herzlich willkommen in
       Masar-i-Scharif" steht dort in der Landessprache Dari geschrieben. Der
       Bogen spannt sich über eine viel befahrene Hauptstraße, es staubt;
       Kutschen, Fahrräder, Autos drängen sich. Vor dem Bogen liegt das unendlich
       weite Land, dahinter die Stadt, die als erste im Norden Afghanistans die
       Verantwortung für die eigene Sicherheit übernehmen soll.
       
       Masar-i-Scharif gilt als relativ sicher - trotz schwerer Zwischenfälle wie
       der auf das UNO-Gebäude vor wenigen Wochen. Die Bedeutung des
       Übergabeprozesses in der Stadt wird in der deutschen Politik
       heruntergespielt. Man dürfe sich so eine Übergabe nicht vorstellen, "als ob
       ein Band durchgeschnitten würde", heißt es aus dem
       Verteidigungsministerium. Schon jetzt gebe es in Masar-i-Scharif keine
       ausländischen Patrouillen mehr, die Übergabe erfolge Stück für Stück.
       Zunehmend rücken dann die internationalen Truppen in Beraterfunktionen
       zurück, sichtbar sind dann nur noch die Afghanen für die Bevölkerung.
       
       Masar-i-Scharif ist zwar die erste Stadt im Norden, in der der
       Übergabeprozess in diesem Sommer anläuft, doch schon bald werden weitere
       Städte und Provinzen folgen. Welche, entscheidet der afghanische Präsident
       Hamid Karsai auf Empfehlung eines internationalen Komitees noch in diesem
       Jahr. Ende Dezember will er die Details bekannt geben.
       
       ## "Deutschland stolpert in die Übergabe"
       
       Für Deutschland entscheidet sich zeitgleich auch die Frage des Abzuges der
       ersten Kampftruppen. Denn schon im Dezember sollen die ersten
       Bundeswehrsoldaten Afghanistan verlassen. Welche Provinzen dies betrifft,
       ist ungeklärt.
       
       Nicht überall in Deutschland ist man mit der Strategie der Bundesregierung
       in dem Übergabeprozess zufrieden. "Es wirkt so, als stolpere die
       Bundesregierung in eine Übergabe, ohne dass diese international abgestimmt
       ist", sagt André Wüstner, der stellvertretende Vorsitzende des deutschen
       Bundeswehrverbands. Wüstner kritisiert, dass die Abstimmung erst auf der
       Bonner Afghanistan-Konferenz im Dezember erfolgen kann; bis dahin sei kaum
       ein durchdachtes Handeln zu erwarten.
       
       In den Reihen der Koalition gibt man sich dennoch optimistisch. "Wir
       erreichen mit der Übergabe der Sicherheitsverantwortung endlich die Ziele
       des Einsatzes", sagt FDP-Fraktionsvize Elke Hoff, "nur so können wir den
       jetzt schon zehn Jahre andauernden Einsatz zu Ende bringen".
       
       29 Jun 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Gordon Repinski
       
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