# taz.de -- Serie Atomkraft in Asien (IV): Der Buddha lächelt weiter
       
       > Die in Indien regierende Kongresspartei will trotz Zweifel ihr
       > Atomprogramm retten. Einer ihrer Stars gewährt seltene Einblicke in das
       > innerparteiliche Ringen um den richtigen Kurs.
       
 (IMG) Bild: Nichts fürchtet die regierende Kongresspartei so sehr wie eine wachsende Protestbewegung gegen AKWs.
       
       DELHI taz | Es ist acht Uhr abends. Über Delhi senkt sich die Dunkelheit.
       Die Stadt schläft schneller als die meisten Metropolen. Der
       Parlamentsabgeordnete Manish Tewari hat eine ruhige, heiße Sommernacht in
       seiner Privatvilla gewählt, um über Fukushima zu reden. Sein gepflegtes
       Anwesen passt perfekt in das neokoloniale Stadtviertel Lodhi Garden, dessen
       Gärten immer noch aussehen, als hätten die Engländer Indien nie verlassen.
       Das bedeutet nicht, dass Tewari für westliche Verhältnisse luxuriös lebt -
       wohl aber für indische.
       
       Der Gastgeber lässt sich in seinem Arbeitszimmer vor einer drei Meter hohen
       Bücherwand auf einem Sessel nieder. Hinter ihm steht in Leder gebunden das
       A-Z der indischen Rechtsliteratur, darunter sämtliche Fälle des Obersten
       Gerichtshofs. Dort ist Manish Tewari noch immer als Rechtsanwalt
       eingeschrieben. Doch das spielt für ihn längst keine Rolle mehr. Der Sohn
       einer berühmten Politikerfamilie gilt heute als Hoffnungsträger der
       indischen Regierung. Er ist keiner jener neureichen, der Korruption
       verdächtigen Provinzgrößen, die derzeit die Mehrheit der Abgeordneten in
       Delhi stellen. Schon sein Vater und sein Großvater kämpften unter Gandhi
       und Nehru für die Freiheit Indiens. An diesem Abend will Tewari für sein
       Land sprechen, für die aufstrebende Weltmacht. Gut möglich, dass er für
       höhere Aufgaben probt, denn Tewari kann in Indien noch alles werden. Er ist
       erst 45 Jahre alt und schon nationaler Sprecher der regierenden
       Kongresspartei.
       
       Manish Tewari ist das tägliche Gesicht seiner Partei in den Medien. Ein
       Knochenjob, den er schon seit über drei Jahren durchzieht. Gerade hat er es
       mit Indiens beliebtester Schauspielerin zu tun. Katharina Kaif hat in einem
       Interview Rahul Gandhi, den Kronprinzen und Generalsekretärs der
       Kongresspartei, einen "Halbinder" genannt. Weil Rahuls Mutter Sonia Gandhi,
       die Vorsitzende der Kongresspartei, eine geborene Italienerin ist. Also
       musste Tewari es mit der Frau aufnehmen, die laut Umfragen mehr indische
       Männer fasziniert als jede andere. Er tat es trotzdem schonungslos und
       bezichtigte Kaif, sich der Sprache der Fanatiker zu bedienen. Doch selbst
       ein so jungenhafter, telegener Typ wie Tewari hat es schwer, sich gegen
       Bollywood durchzusetzen. Vielleicht ist ihm das Gespräch an diesem Abend
       eine willkommene Abwechselung.
       
       ## Das Gesicht der Partei
       
       Er trägt ein Polohemd und Jeans. Zunächst bietet er Tee und Kaffee an. Dann
       legt er los: "Natürlich markiert Fukushima nach Three Mile Island und
       Tschernobyl einen weiteren Wendepunkt in der Atomdebatte", sagt Tewari.
       "Die Katastrophe in Fukushima hat ein Ausmaß, das jeden normalen Bürger
       seine Regierung fragen lässt, ob sie die Probleme der Atomkraft wirklich
       beherrscht. Energiepolitik darf keine Menschenleben kosten!"
       
       Das klingt gut und ist in Indien eine beliebte rhetorische Masche: Nie käme
       es hier einem Politiker in den Sinn, die Notwendigkeit einer Debatte zu
       leugnen. Auch darf der Bürger aus Sicht der Regierung ständig alles infrage
       stellen. Nur was geschieht dann? Der Trick der indischen Regierung besteht
       darin, beim Aufkommen eines neuen Problems so viel öffentlichen Wirbel zu
       erzeugen, dass sich das Publikum von dem Rummel täuschen lässt und glaubt,
       nun werde etwas geschehen.
       
       Genauso war es nach dem 11. März. Nur wenige Tage nach Beginn der
       Atomkatastrophe in Japan ordnete der indische Premierminister Manmohan
       Singh Untersuchungen in allen indischen Atomkraftwerken an. Er traf auch
       eine rasche politische Entscheidung: Indiens bis dato nur von
       Atomlobbyisten besetzte Atomsicherheitsbehörde soll in Zukunft von
       unabhängigen Experten geleitet werden. Damit beruhigte er die
       Öffentlichkeit. Das Thema verschwand aus den Medien. Doch die Ergebnisse
       sind bis heute dürftig: Die von dem AKW-Betreiber NPCIL selbst
       vorgenommenen Untersuchungen ergaben, wenig überraschend, keinerlei
       nennenswerte Probleme - nur dass eine Aufstockung von Dieselgeneratoren für
       Stromausfälle nötig sei. Der nötige Gesetzentwurf für eine neue
       Zusammensetzung der Atomsicherheitsbehörde aber schmort bis heute in den
       Schubladen des zuständigen Ministeriums. "Die Unabhängigkeit der
       Sicherheitsbehörde ist ein Schritt in die richtige Richtung", sagt Tewari.
       So richtig überzeugt klingt das nicht.
       
       ## Widerstand gefürchtet
       
       Doch der Parteisprecher ist ohnehin kein Mann für technische Details. Umso
       genauer spürt er den Puls der öffentlichen Meinung. Dass Fukushima für den
       Medienbetrieb keine Priorität mehr hat, bedeutet für ihn nicht, dass die
       Atomwirtschaft wieder so leicht zu rechtfertigen ist wie früher. Sehr genau
       hat er die Ereignisse in dem [1][Fischerdorf Sakhri Nate am AKW-Bauplatz
       Jaitapur] in Südwestindien verfolgt. Dort hat sich seine Regierung auf den
       Bau der größten Atomanlage der Welt mit französischer Hilfe festgelegt.
       Doch Tewari befürchtet Widerstand: "Wer ein Atomkraftwerk baut, will seinen
       Standort hundert Jahre bewahren. Das geht nicht gegen den ständigen
       Widerstand der Bevölkerung vor Ort", warnt er seine Vorderen vor der Wut
       der Einheimischen in Jaitapur.
       
       Tewari erfüllt mit solcher Kritik exakt die Rolle, die ihm seine
       Parteichefin Sonia Gandhi zugedacht hat: den Kopf hinzuhalten, wenn sich
       die Regierung im Zuge der Machtausübung der Gunst ihrer Wähler begibt. In
       diesem Sinne fürchtet Tewari die Bulldozermentalität der AKW-Bauer. Nach
       offiziellen Plänen will sein Land bis 2050 über 60 neue Reaktoren mit einer
       Leistung von 50 Gigawatt errichten. Doch statt dieses Ziel zu beschwören,
       erwägt Tewari im persönlichen Gespräch lieber ein Scheitern. Er erinnert an
       die 70er Jahre, als lokale Widerstandsbewegungen so erfolgreich waren, dass
       Indien bald keine großen Staudämme mehr bauen konnte. Der Zorn war damals
       groß und einer der Gründe, warum die indische Premierministerin Indira
       Gandhi 1977 den Notstand ausrufen ließ und die Demokratie vorübergehend
       abschaffte. Aus heutiger Sicht war dies der historisch größte Fehltritt der
       Kongresspartei. Davon spricht Tewari natürlich nicht explizit, aber man
       kann ihn durchaus so verstehen, dass er es aus Sicht seiner Partei für
       selbstmörderisch hält, eine Anti-AKW-Bewegung in Indien zu provozieren.
       
       Gleichwohl weiß der Sprecher über die große Bedeutung der Atomenergie für
       seine Partei. "Es gibt 435 AKWs auf der Welt. Fukushima darf jetzt nicht
       zum Maßstab gemacht werden", schiebt Tewari rasch nach, um nicht in
       Verdacht zu geraten, selbst ein AKW-Gegner zu sein. Das könnte ihn nämlich
       die Stellung kosten. Schließlich bleibt die Atomenergie trotz Fukushima das
       Steckenpferd seines Regierungschefs. Manmohan Singh setzte 2008 Macht und
       Amt aufs Spiel, als er per Kampfabstimmung im Parlament den
       indisch-amerikanischen Atomvertrag durchsetzte. Er befreite damit Indien
       vom Pariastatus unter den Atommächten.
       
       ## Die leidige Chinafrage
       
       Das Land kann heute zivile Atomtechnologie aus aller Welt einkaufen -
       früher war das Delhi untersagt. Viele Inder sind stolz darauf, und die
       Regierung verbucht es als ihren Erfolg. Doch hat das zur Folge, dass die
       einst durchaus zählbaren Atomkritiker in der Kongresspartei heute kaum noch
       zu Wort kommen. Kann das der Partei nach Fukushima nicht schaden? Nun, auf
       diese Frage hat der Parteisprecher gewartet. Jetzt ist er endlich da, wo er
       hinwollte: bei der großen Welt- und Außenpolitik, die ihm eine Katharina
       Kaif an gewöhnlichen Tagen verbietet.
       
       "Grundsätzlich wurde die Atomfrage in Indien entschieden, als der Buddha
       1974 zum ersten Mal lächelte", holt Tewari weit aus. Er spielt auf Indiens
       ersten Atomwaffentest vor 37 Jahren an. Er erzählt von den Diskussionen der
       damaligen Zeit, deren Ausgang Indira Gandhi entschied. "Seither hat die
       Atomdiskussion bei uns keine moralische Dimension mehr", folgert er. Na
       also, auch indische Demokraten setzten der Debatte manchmal Grenzen.
       
       Doch ist Atommacht-Patriotismus nach Fukushima überhaupt noch angesagt?
       "Das hat nichts mit Patriotismus zu tun" entgegnet Tewari. "Als Nation hat
       Indien solchen Egoismus überwunden." Der Sprecher läuft richtig zu Form
       auf. Deshalb muss jetzt die Frage kommen, mit der man jeden ambitionierten
       Inder am meisten ärgert - die Frage nach China. Die Inder sind es leid, zu
       hören, dass die Chinesen weiter sind als sie. Warum hat China seine
       AKW-Baupläne nach Fukushima ausgesetzt und Indien nicht? "Wir eifern nicht
       China nach. Wir haben unsere eigenen Denkmuster. Was für die Chinesen geht,
       funktioniert bei uns nicht unbedingt", sagt Tewari. Erwartungsgemäß
       missfällt ihm diese Wende des Gesprächs. Ihm aber an dieser Stelle
       Abblocken vorzuwerfen wäre ungerecht. Es kann gut sein, dass bisher kein
       anderer Spitzenpolitiker der Kongresspartei so lange öffentlich über
       Fukushima geredet hat wie ihr Sprecher Manish Tewari in dieser langen,
       warmen Sommernacht in Delhi.
       
       29 Jul 2011
       
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